Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



My Fair Lady

Musical in zwei Akten
nach George Bernard Shaws Pygmalion und dem Film von Gabriel Pascal
Buch von Alan Jay Lerner, Deutsch von Robert Gilbert
Musik von Frederick Loewe

in deutscher Sprache mit Übertiteln (bei den Songtexten)

Aufführungsdauer: ca. 2 h 55' (eine Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 30. September 2023
(rezensierte Aufführung: 26. Oktober 2023)


Logo:  Theater Essen

Theater und Philharmonie Essen
(Homepage)
Blumenmädchen mit Migrationshintergrund

Von Thomas Molke / Fotos: © Björn Hickmann

Lange Zeit ist die Musical-Sparte am Essener Aalto-Theater sträflich vernachlässigt worden. Nun ist die Wahl auf eines der berühmtesten und erfolgreichsten Musicals aller Zeiten gefallen: My Fair Lady. Das Stück leitete nicht nur ab 1956 am Broadway und ab 1958 am Londoner West End mit über 2000 Aufführungen eine neue Ära des Musicals ein, sondern wurde auch durch die mit insgesamt acht Oscars ausgezeichnete Verfilmung mit Audrey Hepburn als Eliza Doolittle und Rex Harrison in der Rolle des Henry Higgins legendär. Um so schwieriger gestaltet es sich für Regisseur*innen, diesem Stück in einer Neuinszenierung einen neuen Anstrich zu verleihen, zumal die Fan-Gemeinde dieses Musicals es häufig als ein Sakrileg erachtet, wenn man auch nur die kleinste Kleinigkeit abändert, da das Stück über die Sprache, die über den gesellschaftlichen Status entscheidet, auch ohne Modernisierung funktioniert. Nach Ansicht der Regisseurin Ilaria Lanzino tut es das eigentlich nicht, da die deutsche Übersetzung an sich schon durch den in der deutschen Übersetzung für Eliza verwendeten Dialekt eine Entfremdung sei, wenn das Stück eigentlich in London spielen soll. Daher sucht Lanzino nach einem Weg, den Charme des Stückes zu erhalten und mit einer angemessenen Aktualisierung zu verbinden. Eliza hat bei ihr einen Migrationshintergrund und muss die deutsche Sprache mit Hilfe von Higgins zunächst erlernen, um ihren sozialen Status zu verbessern.

Bild zum Vergrößern

Eliza (hier: Mercy Malieloa) lernt bei Henry Higgins (Gerry Weinbauer) die korrekte Sprache.

Von der Grundidee ist dieses Konzept gar nicht schlecht, geht jedoch in Lanzinos Deutung leider nicht auf, weil bei einigen Übertragungen die Regie-Einfälle nicht funktionieren. Die Partie der Eliza ist dabei mit drei abwechselnd spielenden Darstellerinnen besetzt, die aufgrund ihres sprachlichen Hintergrundes der Rolle sicherlich sehr unterschiedliche Noten geben: Die farbige Mercy Malieloa stammt aus Südafrika, Anna Beatriz Gomes hat portugiesische und brasilianische Wurzeln, und Natalija Radosavljevic bringt eine serbische Färbung ins Spiel. So verkörpern gewiss alle drei Darstellerinnen einen glaubhaften Migrationshintergrund, der für die Rolle der Eliza genutzt wird. Vor Beginn der Ouvertüre sieht man Eliza mit einem riesigen Koffer durch den Saal auftreten. Sie sucht also in einem neuen Land Möglichkeiten für ein besseres Leben, und nachdem sie es zunächst erfolglos in einer Großküche versucht hat, beschließt sie, Blumenmädchen zu werden. Die Menschen, denen sie auf ihrem Weg begegnet und denen sie später ihre Blumen anbietet, stehen einzeln unter glockenförmigen Bühnenelementen, die wohl die gesellschaftliche Trennung und den Standesunterschied andeuten sollen. Auch Higgins' Wohnung, die mit der Wendeltreppe im Hintergrund und dem Mobiliar an eine opulente Ausstattung des Stückes erinnert, wird von einem großen leuchtenden Glockenbogen eingerahmt. Schließlich isoliert ja auch er sich vom Rest der Gesellschaft

Bild zum Vergrößern

Alfred P. Doolittle (Karel Martin Ludvik, in der Mitte) feiert mit seinen Freunden (links: Joungyoung Kim als Jamie, rechts: Andrei Nicoara als Harry, dahinter: Opernchor) in fescher bayerischer Lederhose Hochzeit.

So weit passt zunächst noch alles zur Geschichte. Doch nun kommt die entscheidende Frage, wie man in dieses Ambiente die High Society der englischen Gesellschaft unterbringen soll, in der Eliza aufgrund der Wette zwischen Higgins und Pickering bestehen soll. Logisch konsequent ist das bei Lanzino die Einbürgerungsbehörde, wo zahlreiche Migrant*innen auf einen Pass oder eine Bleibeerlaubnis warten. Dieser Behördenraum wird aus dem Bühnenboden hochgefahren und zeigt kalte Wände mit Türen in unterschiedlicher Höhe, so dass der Ort einen surrealen Charakter erhält. Natürlich wartet hier auch Elizas Vater Alfred P. Doolittle, der wie die anderen Einwander*innen sein Glück im fremden Land versuchen will und dem das in zweiten Akt durch Hochzeit mit einer propperen "urdeutschen" blonden Frau im Dirndl gelingt, wobei er sich in fescher Lederhose zu einem Bayern assimiliert. Das mag zwar von der Grundidee witzig sein, passt aber nicht zum gesungenen Text, weder im ersten noch im zweiten Akt, auch wenn Karel Martin Ludvik in der Rolle des Alfred P. Doolittle in seinen beiden Liedern mit Joungyoung Kim als Jamie und Andrei Nicoara als Harry und dem munter agierenden Opernchor große Spielfreude zeigt. Die Einführung Elizas in die Gesellschaft in einen Einbürgerungstest umzuwandeln, geht ebenfalls nicht auf. Völlig albern wirkt es, die Tänzerinnen und Tänzer zum musikalischen Zwischenspiel als Buchstaben auftreten zu lassen, die sie bei der auf die Übertitelungsanlage projizierten Text ihrer Prüfung unterstützen, die Rechtschreibungs- und Zeichensetzungsfehler auszumerzen und so schließlich als Einzige von allen den Test zu bestehen.

Bild zum Vergrößern

Eliza (hier: Mercy Malieloa, in der Mitte rechts mit Mrs. Higgins (Marie-Helen Joël, Mitte links) brüskiert die feine Gesellschaft (auf der rechten Seite von links: Henry Higgins (Gerry Hungbauer) und Oberst Pickering (Rainer Maria Röhr)).

Fragen wirft auch die Deutung der Rolle der Mrs. Pearce auf. Natürlich kann man sie als heimliche Verbündete Elizas betrachten. Lanzino deutet an, dass sie als junge Frau vielleicht ein ähnliches Schicksal erlebt hat wie Eliza und vom Professor "geformt" worden ist. Anders als Eliza hat sie sich allerdings entschieden, bei dem Professor als Dienstmädchen zu bleiben. So ist sie es auch, die Eliza den ungeziemenden Ausdruck "Streu ihm Pfeffer in den Arsch" beibringt, den Eliza aufgrund ihrer anfänglichen Probleme mit der deutschen Sprache ja gar nicht kennen kann und mit dem sie im Original beim Pferderennen in Ascot die feine englische Gesellschaft brüskiert. Sinn macht das genauso wenig, wie die feine englische Gesellschaft als Personal von Wagner-Opern auszustaffieren und mit "Hojotoho"-Rufen und in Schüttelreimen sprechen zu lassen. Man weiß eigentlich gar nicht, wo diese feine Gesellschaft jetzt eigentlich sein soll. Befinden wir uns auf dem Grünen Hügel in Bayreuth und tritt Freddys Mutter Mrs. Eynsford-Hill (Helga Wachter) deshalb als Double von Angela Merkel im grünen Kostüm mit der berühmten Merkel-Raute auf? Dieser Gag passt überhaupt nicht ins Stück.

Bild zum Vergrößern

Freddy Eynsford-Hill (Tobias Greenhalgh) mit Mrs. Pearce (Christina Clark)

Charmant ist vielleicht noch die Idee, Freddy Eynsford-Hill versuchen zu lassen, Elizas Sprache zu lernen. Wenn er in der besuchten Aufführung Anna Beatriz Gomes als Eliza auf Portugiesisch Komplimente macht, wird allerdings ein wenig unklar, wieso Eliza in ihm keinen ernstzunehmenden Partner sieht. Immerhin zeigt sie sich sichtlich gerührt, dass Freddy versucht, ihre Sprache zu lernen, und unterstützt ihn auch dabei. Bei dem anschließenden Treffen mit Alfred P. Doolittle auf dem Standesamt taucht Freddy in der Inszenierung allerdings gar nicht mehr auf. Das Gespräch, das Higgins am Ende, nachdem Eliza ihn verlassen hat, laut Textbuch eigentlich mit seiner Mutter führt, übernimmt in dieser Inszenierung Mrs. Pearce, die sich aufgrund ihrer Vorgeschichte wesentlich besser in Eliza einfühlen kann, als das Henrys Mutter vermag. So kriegt Marie-Helen Joël als Henrys Mutter im ersten Akt zwar eine herrlich zynische Szene, die sie mit großartiger Komik gestaltet. Dafür taucht sie im zweiten Akt allerdings nicht mehr auf.

Dass Eliza und Higgins am Ende ein Paar werden, hatte bereits Shaw in seinem Theaterstück Pygmalion abgelehnt. Das Musical lässt theoretisch eine Hintertür offen, auch wenn die Musik am Ende ganz deutlich von einem Happy End spricht. Lanzino sieht dieses Happy End jedoch nicht darin, dass Eliza und Higgins ein Paar werden, sondern lässt Higgins einsam im Bühnenbild seines Hauses in den Hintergrund fahren, während sich das Einbürgerungsbüro in eine Schule verwandelt hat, in der Eliza nun anderen Menschen mit viel Hingabe Sprachunterricht gibt.

Musikalisch schwelgen die Essener Philharmoniker unter der Leitung von Tommaso Turchetta in den leidenschaftlichen Melodien, so dass man zumindest in dieser Hinsicht eine Aufführung erleben kann, wie man sie sich wünscht. Bei manchen Liedern müsste man halt nur die Augen schließen, um von der Handlung auf der Bühne nicht in seinen Emotionen betrogen zu werden. Anna Beatriz Gomes ist eine bezaubernde Eliza und punktet mit mädchenhaftem Sopran. Gerry Hungbauer gibt darstellerisch einen wunderbar grantelnden Professor Higgins, kann stimmlich in seinen Liedern aber nur bedingt überzeugen. Rainer Maria Röhr verkörpert Oberst Pickering mit viel Herz, und auch Christina Clark wertet die Partie der Mrs. Pearce mit gefühlvollem Spiel auf. Tobias Greenhalgh überzeugt als Freddy Eynsford-Hill mit herrlich verliebtem Spiel, obwohl man die Partie stimmlich eher mit einem Tenor als mit einem kraftvollen Bariton verbindet. Greenhalghs Bariton klingt eigentlich viel zu selbstbewusst für den wankelmütigen Freddy. Der von Klaas-Jan de Groot einstudierte Opernchor punktet durch große Spielfreude. So gibt es alles in allem großen Beifall für eine Produktion, die szenisch ihre Schwächen hat.

FAZIT

Ilaria Lanzinos Aktualisierungsversuch des Musical-Klassikers ist im Ansatz klug gedacht, geht aber leider an vielen Stellen nicht auf.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Tommaso Turchetta

Inszenierung
Ilaria Lanzino

Bühne und Kostüme
Emine Güner

Choreographie
Till Nau

Choreinstudierung
Klaas-Jan de Groot

Dramaturgie
Laura Bruckner

 

Opernchor des Aalto-Theaters

Essener Philharmoniker


Solistinnen und Solisten

*rezensierte Aufführung

Henry Higgins
Gerry Hungbauer

Oberst Pickering
Rainer Maria Röhr

Eliza Doolittle
Mercy Malieloa /
*Anna Beatriz Gomes /
Natalija Radosavljevic

Freddy Eynsford-Hill
Tobias Greenhalgh

Mrs. Higgins
Marie-Helen Joël

Alfred P. Doolittle
Karel Martin Ludvik

Jamie
Joungyoung Kim

Harry
Andrei Nicoara

Mrs. Pearce
Christina Clark

Erster Obsthändler
Arman Manukyan

Zweiter Obsthändler
Hyeong-Joon Ha

Dritter Obsthändler
Mateusz Kabala

Dienstbot*innen
Kyung-Nan Kong /
Younghui Seong
Iva Seidl /
Jiajia Zhang
Michaela Sehrbrock /
Christina Hackelöer
Youngjune Lee /
Joo Youp Lee
Sven Westfeld 7
Jan Schulenburg

Mrs. Eynsford-Hill
Helga Wachter

Lady Boxington / Mrs. Hopkins
Marion Steingötter

Lord Boxington / Ein Beamter
Michael Haag

Ein anderer Beamter
Jan Schulenburg

Braut
Nadezda Schmidt

Eine Frau aus Hoxton
Heather Shockley

Kneipenwirt
Arman Manukyan

Stimme
Ernesto Binondo

Tänzer*innen
James Michael Atkins
Giovanni de Domenico
Luca Graziosi
Saskia Heming
Sofia Klein Herrero
Kokebnesh Lemma
Susannah Murphy
Heather Shockley


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Aalto Musiktheater
(Homepage)




Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2023 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -