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Ein interkulturelles Comic-Splatter-Fantasy-GrusicalVon Stefan Schmöe / Fotos von Lutz Edelhoff / © Theater Erfurt
Ein Fall für Traditionalisten - oder eher eine Falle? "Die Idee war, dass man die Oper textgetreu inszeniert", gibt Kostümbildner Tristan Jaspersen im Programmheft zu Protokoll. Aber eben nicht nur das, sondern auch: Er wolle "das Groteske und Verkorkste daran rüberbringen", womit streng genommen nicht das komplette Rheingold gemeint ist, sondern die "der Oper inne wohnende Sexualität" [sic!]. Nun dreht sich Wagners Ring des Nibelungen eigentlich permanent um Macht und Sex, und das Ganze wird serviert mit jeder Menge Magie oder, je nach Standpunkt, faulem Zauber. Wollte man jemandem, der ohne Wissen um die europäische Theaterkultur im Allgemeinen und Richard Wagner im Besonderen aufgewachsen ist, die Handlung des Rings oder wenigstens des Rheingolds erzählen, diese Person würde die Geschichte womöglich als Schundliteratur und Trivialmythologie einordnen. Grotesk und verkorkst eben. Alberich und Rheintöchter
Unter diesen Vorzeichen präsentiert das Team um Regisseur Jürgen R. Weber (das sind neben Tristan Jaspersen noch Bühnenbildner Hank Irwin Kittel, Video-Gestalterin Gretchen fan Weber, Lichtdesigner Florian Hahn und Dramaturg Arne Langer) das Rheingold als pralles Fantasy-Märchen aus sagenhafter Zeit. Allerdings mit einem gewaltigen Unterschied zur traditionellen Rezeption: Die Verankerung in der nordischen Mythologie ist aufgehoben. Zwar ist oft darauf hingewiesen worden, dass Wagner sich gedanklich bei der Konzeption des Rings in der antiken griechischen Götter- und Gedankenwelt bedient hat, aber hier ist der Ansatz noch ein anderer. Die Fantasie-Kostüme zeigen Elemente unterschiedlichster Kulturen und verweisen damit auf das Universelle (und emanzipieren sich von der belasteten Rezeptionsgeschichte). von links: Donner, Wotan, Loge und Froh
Wotan erinnert an einen Schamanen, Erda an eine vielarmige und -beinige indische Gottheit, Loge trägt eine Art Strahlenkranz aus Stroh wie einen Heiligenschein. Dabei wirken die Kostüme der Götter ziemlich ramponiert und sind mit Blut getränkt - Verweise auf eine düstere Vorgeschichte. Weber greift das Motiv des Rings auch im Sinne eines sich immer wiederholenden Kreislaufs auf und beginnt daher mit den letzten Takten der Götterdämmerung, die wie von einer zerkratzten Schellackplatte erklingen. Im Bühnenbild lassen sich immer wieder Spuren vergangener Kulturen erahnen. Das ist die eine (Deutungs-)Ebene; ästhetisch greift das Regieteam lustvoll in die Kitschkiste und inszeniert die Geschichte comichaft überzeichnet als schrille Splatter-Story, die abrupt zwischen skurriler Komik und blutigen Schockeffekten wechselt. Um an den Ring zu kommen, reißt Wotan dem Gefangenen Alberich den Arm ab. Die Unterwelt von Nibelheim sieht aus wie der verzerrte Querschnitt durch einen Totenkopf, auf den per Video jede Menge lebende Maden und Würmer projiziert werden. Es geht nicht sehr appetitlich zu in dieser Inszenierung. Loge und Riesen
Das vor allem ästhetisch streitbare Konzept bietet, wie man es von Weber kennt, pralles Theater ohne Leerlauf. Und es geht auf (wenn man sich darauf einlässt), weil ihm eine ganz ausgezeichnete musikalische Interpretation zur Seite steht. Albert Pesendorfer hat in seiner Karriere so ziemlich alle großen Bass-Partien gesungen, debütiert hier aber als Wotan, den er darstellerisch wie stimmlich mit großer Autorität und Würde und auch dem nötigen Glanz bei den hohen Tönen verkörpert. Brett Sprague gibt mit wendigem, nicht zu leichtem Tenor einen phänomenal agilen Loge, Máté Sólyom-Nagy einen im ersten und dritten Bild bestechend präsenten, im vierten Bild etwas angestrengten, gleichwohl sehr genau artikulierenden Alberich. Rose Naggar-Tremblay ist eine vergleichsweise jugendliche, geheimnisvoll timbrierte Erda, Sam Taskinen (Fasolt) und Kakhaber Shavidze (Fafner) ein kraftvoll-bewegliches Riesenpaar. Unter den weiteren, durchweg überzeugend besetzten Rollen ragt der junge Tenor Tristan Blanchet als jugendlich-strahlender Froh heraus. Alberich, gefangen, zwischen Loge und Wotan
Am Pult des insgesamt zuverlässigen Orchesters (das sich aus dem Philharmonischen Orchester Erfurt und der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach zusammensetzt) wählt Pedro Halffter flüssige Tempi und einen schlanken, sängerfreundlichen Klang. Der daraus resultierende erzählerische und unpathetische Duktus der Musik geht einher mit einer erfreulich guten Textverständlichkeit und einer engagiert umgesetzten Personenregie. Dass der durchaus provokante Regieansatz ambivalente Reaktionen hervorruft, versteht sich von selbst; in der hier besprochenen Aufführung stand ein einzelnes "Buh" aber gegen überwiegende Zustimmung des Publikums. Als kleinen Cliffhanger hat Wotan bereits das Schwert Nothung in Nibelheim unauffällig mitgehen lassen und fuchtelt beim Einzug nach Walhall kräftig damit herum. Ob es aber jemals zum Einsatz kommt, ist derweil eher unwahrscheinlich. Die Stadt Erfurt will die Leitung der Theatersparten neu strukturieren, und die derzeit amtierende kommissarische Theaterleitung hat die weiteren Teile des Rings vorerst abgesagt. Dabei würde man ja doch gerne sehen und hören, ob Webers Konzept über vier lange Ring-Abende trägt. Ungeachtet dessen kann sich dieses Rheingold auch als eigenständiges Werk behaupten. FAZIT Einmal mehr macht Jürgen R. Weber keine halben Sachen und mutet dem Publikum zwischen Comic-Trash und Schockeffekt ästhetisch so einiges zu, erzählt aber gleichzeitig ein jederzeit spannendes, musikalisch großartig umgesetztes schrilles Fantasy-Märchen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Licht
Dramaturgie
Solisten
Wotan
Donner
Froh
Loge
Alberich
Mime
Fasolt
Fafner
Fricka
Freia
Erda
Woglinde
Wellgunde
Floßhilde
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