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Das Leben ein Traum?
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Barbara Aumüller "Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein": Allzu sicher darf man sich nicht sein, ob es im Epilog dieser Oper Realität ist oder doch nur eine Wunschvorstellung, dass die beiden Außenseiter Görge und Gertraud ein glückliches Paar werden und gesellschaftliche Anerkennung finden. Görge ist der Träumer, der sich in seinen Büchern verliert und darauf hofft, dass Märchenfiguren lebendig werden. Als verwaister Erbe des Müllers hätte er Grete heiraten sollen, Tochter seines Vormunds und ihm durchaus zugetan. Aber im wirklich allerletzten Moment vor der feierlichen Verlobung erscheint ihm - im Traum, wo sonst - eine Prinzessin, Inkarnation einer besseren Welt, und er flieht. Das Glück findet er auch anderswo nicht. Stattdessen umgarnen ihn, zum Landstreicher geworden, rebellierende Bauern, die sein rhetorisches Talent für ihre Sache nutzen wollen. Er aber schlägt sich nach anfänglichen Sympathien für eine Revolution auf die Seite der als "Hexe" verfolgten Gertraud, die er heiratet - und in der er sehr viel später, im Heimatdorf zum erfolgreichen und angesehenen Müller geworden, seine Traumprinzessin erkennt. Falls so viel Glück nicht doch nur geträumt ist. Görge, genannt der "Traumgörge", vor Holzwand mit Katze
Wobei das eingangs angeführte Zitat natürlich aus einer ganz anderen Oper stammt, nämlich dem nur wenige Jahre später komponierten und ungleich erfolgreicheren Rosenkavalier von Richard Strauss. Von einem solchen Erfolg konnte Alexander Zemlinsky wahrlich nur träumen, obwohl er von der Qualität seiner Oper überzeugt war. Eigentlich sollte der Traumgörge 1907 in Wien uraufgeführt werden und die Proben für das höchst anspruchsvolle Werk waren längst angelaufen, als Gustav Mahler, zerrüttet von antisemitischen Anfeindungen, sein Amt als Hofoperndirektor niederlegte. Dessen Nachfolger Felix Weingartner verschob zunächst den Termin für die geplante Uraufführung und sagte diese dann ganz ab. Der Traumgörge fand im vergifteten Klima der Zeit keine Fürsprecher und wurde erst 1980 in Nürnberg uraufgeführt, lange nach Zemlinskys Tod. Der war als Sohn einer jüdischen Mutter und Mitglied der sephardischen Gemeinde 1938 vor den Nazis nach Amerika geflüchtet. Sein Glück in der Fremde fand er, anders als seine Opernfigur, nicht. Die geplante Verlobung wird Minuten später platzen: Görge und Grete
Nach weiteren Aufführungen in Bremen (1989), Münster (1991), Palermo (1995), an der Deutschen Oper Berlin (2007) und in Hannover (2016) sowie zwei CD-Einspielungen nach konzertanten Aufführungen liegt für diese Frankfurter Produktion (für 2020 geplant, wegen der Corona-Pandemie verschoben) das Notenmaterial in einer zweiten kritischen Fassung vor. Antony Beaumont, Musikwissenschaftler und Herausgeber der Werke Zemlinskys, hat einen sehr lesenswerten Beitrag für das Programmheft dazu verfasst. Wobei jede Aufführung des Traumgörgen vor dem Problem steht, die schwierige Titelpartie angemessen zu besetzen. In Frankfurt singt AJ Glueckert den verträumten Außenseiter mit strahlendem, in allen Höhen unanfechtbarem Tenor, der durchsetzungsfähig ist und gleichzeitig nicht eindimensional "heldisch" - ein Glücksfall. Wie auch Zuzana Marková, der die Doppelrolle der Prinzessin aus dem Traum und der vermeintlichen "Hexe" Gertraud anvertraut ist. Marková beeindruckt mit glutvollem und intensivem Sopran, nicht zu schwer und nicht zu kapriziös, dabei geheimnisvoll funkelnd im Timbre. Exzellent besetzt sind auch die weiteren Partien: Michael Porter mit strahlkräftigem Tenor und Ian MacNeil mit schlagkräftigem Bariton geben eindrucksvoll die pöbelnden, zum Pogrom allzu schnell bereiten Revolutionäre Züngl und Kaspar; Magdalena Hinterdobler singt mit leuchtendem Sopran Görges bodenständige Verlobte Grete und Liviu Holender mit draufgängerischem Bariton deren Jugendliebe Hans. Drei Jahre und ein Akt später: Görge und die als "Hexe" verstoßene Gertraud
Dirigent Markus Poschner hat mit dem aufmerksamen, in der hier besprochenen Vorstellung allerdings manchmal etwas nachlässig über Details hinwegspielenden Frankfurter Opern- und Museumsorchesters sehr genau gearbeitet und behandelt die einzelnen Instrumentalstimmen sehr differenziert. Der Orchesterklang ist dadurch kammermusikalisch klar und durchhörbar. Massige Klangballungen vermeidet Poschner ebenso wie eine Überwältigungsästhetik, und er lässt das Orchester nie schwelgen. In dieser um Klarheit bemühten, analytischen Interpretation klingt Zemlinskys Partitur opalisierend funkelnd - um den Preis, dass sich selten ein Mischklang einstellt, der die Gesangsstimmen einhüllen und tragen könnte. Zemlinsky steht hier musikalisch näher bei Berg und Webern als in der Wagner-Nachfolge. Der Chor (Einstudierung: Tilman Michael) singt mit fulminantem Klang, dürfte aber hier und da ruhig etwas mehr zurückgenommen sein. Glückliches Finale, szenisch nicht ganz kitschfrei: Görge vom Kinderchor umringt, Gertraud schaukelnd
Dem großen Hörtheater, das die Frankfurter Oper bietet, setzt Regisseur Tilmann Köhler eine ziemlich schlicht gehaltene, insgesamt recht spröde Inszenierung entgegen, die das Werk in einer unbestimmten Märchenwelt belässt. Bühnenbildner Karoly Risz hat einen aus hellem Holz gezimmerten Kasten gebaut, bei dem Aussparungen an der Rückwand die Häuser eines Dorfes andeuten. Die Dorfgesellschaft des ersten Aktes ist vorsichtig historisierend in schwarz und weiß als Gesellschaft von Anzugträgern gekennzeichnet, die Kostüme der pöbelnden Revolutionäre des zweiten Aktes zeigen leichte Anspielungen an einen "Che-Guevara-Look" (Kostüme: Susanne Uhl). Darin kann man die Alternative zwischen Bürgerlichkeit und (gewaltbereitem) Protest erahnen, zwischen denen sich Görge beinahe verliert. Die Regie verzichtet aber auf eine konkrete (Um-)Deutung des Werkes und belässt es bei einer Reihe von unaufdringlichen Bildsymbolen. So ist aus dem "Vorhang" aus Holzbrettern eine Katze ausgesägt - im ersten Akt gewinnt ein Kater in einer skurrilen Traumerzählung Görges an Bedeutung, was auf diese Weise präsent bleibt. Eine goldfarben schimmernde Decke, die Görge und Gertraud im Nachspiel ausbreiten, verweist auf eine der Vorlagen des von Leo Feld mitunter ziemlich hölzern zusammengereimten Librettos: auf das Kunstmärchen Vom unsichtbaren Königreiche von Richard Volkmann-Leander. Dort entfaltet sich eine ebensolche Decke zum Königreich für das glücklich vereinte Paar. In Frankfurt sieht es dann doch eher nach einer Picknickdecke aus. Jenseits der musikalisch überzeugenden Interpretation bleibt es eine fragwürdige Entscheidung, die Traumprinzessin und die von der Bevölkerung als "Hexe" verstoßene Gertraud mit der gleichen Sängerin zu besetzen (Zemlinsky und Mahler hatten für die Uraufführung zwei verschiedene Sopranistinnen eingeplant). So wirkt Görges späte Erkenntnis, Gertraud sei die einst erträumte Prinzessin, ziemlich hinfällig, zumal diese von Beginn an als sehr attraktive, dabei aber wenig geheimnisvolle und schon gar nicht "hexenhafte" Frau dargestellt ist. Wenn das Bekenntnis von Görge zu ihr aber gar keine Aufgabe der eigenen Träume ist, dann verliert die Oper ein wesentliches dramaturgisches Spannungsmoment. So plätschert die Inszenierung unaufgeregt, aber auch unaufregend vor sich hin. Wobei man ihr zugutehalten muss, dass hier ein unbekanntes Werk nicht von einem gedanklichen Überbau erdrückt wird.
Zemlinskys goldglitzernd schillernde Musik trifft in Frankfurt auf spröde Kiefernholzoptik. Wobei die Inszenierung das große Hörtheater auch nicht weiter stört. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Choreografie
Chor
Kinderchor
Dramaturgie
Solisten
Görge
Prinzessin / Gertraud
Grete
Hans
Marei
Müller
Pastor
Züngl
Kaspar
Mathes
Wirtin
Wirt
Ein Bauer
Ein älterer Bauer
Erster Bursche
Zweiter Bursche
Eine Traumstimme
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