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Le Grand Macabre

Oper in zwei Akten
Text von Michael Meschke und György Ligeti nach Michel de Ghelderode
Musik von György Ligeti


In englischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere am 15. November 2023 in der Oper Frankfurt
(rezensierte Aufführung: 26. November 2023)

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Oper Frankfurt
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So schlimm wird der Weltuntergang schon nicht werden

Von Stefan Schmöe / Fotos von Barbara Aumüller

Le Grand Macabre beginnt mit einer von Autohupen gespielten Intrada. Es gab mal Zeiten, da hätte alleine das verlässlich für ein halb leeres Theater gesorgt, und György Ligeti hat es ja durchaus nicht dabei belassen. Zwar gibt es immer wieder gesanglich fließende Passagen, aber auch viel Durcheinander. Von Melodie keine Spur, und die Sprache ist zotig. Doch anstatt entsetzt auszurufen: "Wo bleibt denn da das Schöne?" und die Aufführungen zu meiden, ist das Haus in der hier besprochenen fünften Vorstellung rappelvoll und das Publikum begeistert. Ligetis skurrile Vielleicht-doch-nicht-Weltuntergangsrevue ist offensichtlich ein Werk, das den krisengeplagten Zeitgeist trifft. Klimakrise, Ukrainekrieg, die drohende zweite Regierung Trump und zu allem Überfluss eine grottenschlechte Fußballnationalmannschaft - da kommt ein Komet, der um Mitternacht in die (Theater-)Welt einschlagen soll, gar nicht unpassend.

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Stau der Flüchtenden: Nekrotzar, der "Grand Macabre", ist seinem Leichenwagen entstiegen (im Sarg: Venus) und verpflichtet Piet (vorne rechts) als Gehilfen bei seinen Weltvernichtungsplänen.

Das vom Komponisten als "Anti-Anti-Oper" bezeichnete Werk wendet sich gegen die konventionelle Oper wie gegen die Experimente der Avantgarde und findet zu einer (wenn auch sehr ironisch) erzählenden Form zurück. Aus dem märchenhaften "Breughelland", wo Ligeti die Handlung verortete, holen Regisseur Vasily Barkhatov und Bühnenbildner Zinovy Margolin diese allerdings gleich wieder zurück in die Gegenwart. Das Nahen der vermeintlich alles zerstörenden Kometen wird hier nicht durch den Hofastrologen Astradamors im zweiten Bild verkündet wie vom Libretto vorgesehen, sondern flimmert gleich zu den ersten Tönen als breaking news diverser Fernsehsender aus aller Welt auf einem großen Bildschirm. Im ersten Teil der Aufführung befinden wir uns mitten in einem Verkehrsstau - offenbar versuchen die Menschen zu fliehen. Der rätselhafte Nekrotzar, der sich zum "großen Makabren" erklärt und den Weltuntergang Punkt Mitternacht voraussagt, entsteigt dem Fahrzeug eines Bestattungsunternehmens. Astradamors und Gattin Mescalina sind das bis vor ein paar Minuten noch ideale Ehepaar, das sich ausgerechnet jetzt verkracht, und zwar so richtig. Der zweite Teil zeigt dann keinen Hofstaat, sondern eine wilde Kostümparty (Kostüme: Olga Shaishmelashvili) bei geschlossenen Vorhängen. Man will den Untergang nicht direkt mit ansehen. Aber ausgefallen feiern bis zum Ende, das bitte schon.

Vergrößerung in neuem Fenster Nekrotzar mit den Insignien, nun ja, des Todes hält Einzug bei der Weltuntergangsparty des Fürsten Go-Go.

Dieses Setting folgt dem sattsam bekannten Schema von Katastrophenfilmen: Panik, nicht Wahrhaben wollen, Versagen der Obrigkeit - nur der smarte Held, der genrehaft gerade noch die Welt rettet, der fehlt. Der ist bei Ligeti auch gar nicht nötig, denn es passiert am Ende schlichtweg gar nichts. Kein Untergang, nirgends. Wobei theoretisch ein Restrisiko bleibt, dass diese Gesellschaft vielleicht doch längst im Jenseits weiterfeiert und es dort gar nicht so anders ist als hier. Jedenfalls ist das bei Ligeti eine denkbare Möglichkeit; Barkhatovs Ansatz aber ist allzu konkret, um diese Option aufrechtzuerhalten. Vielmehr schaut sich Hochstapler Nekrotzar, dessen Suizidversuche kläglich scheitern, hier die Nachrichten von aktuellen Kriegsschauplätzen an. So, wie die Welt sich gerade gibt, ist kein Weltuntergang auch keine Lösung. In dieser Ambivalenz bleibt die Inszenierung abgründig zynisch. Ansonsten hangelt sie sich im Netflix-Format ziemlich unterhaltsam durch den Abend, ohne allzu viel Tiefgang zu gewinnen. Wir schauen einer Gesellschaft zu, die ziemlich ungerührt ihrem vermeintlichen Untergang entgegenschaut. Die Parallelen zu unserer Situation sind derart offensichtlich, dass die Regie da gar nicht erst irgendetwas andeuten muss.

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Ist das vielleicht schon das Jenseits? Piet ist jedenfalls noch recht fröhlich.

Die Regie politisiert das Werk durch die Verschiebung in die Gegenwart - und entpolitisiert es umgehend wieder durch die Passivität der handelnden Personen wie durch das Fehlen eines moralischen Appells. Darin spiegelt sich, wenn man so will, das Modell der Anti-Anti-Oper. Der große Aufschrei, das Entsetzen über die mögliche Katastrophe bleibt aus. Ist das nun Stärke oder Schwäche der Inszenierung? Vermutlich beides zugleich. Musikalisch ist die Angelegenheit einfacher. Frankfurts neuer Chefdirigent Thomas Guggeis mildert an Ligetis vielschichtiger Partitur nichts ab und spitzt nichts zu, vielmehr setzt er mit dem guten Opern- und Museumsorchester analytisch klar die disparaten Stilelemente nebeneinander. Der Tonfall bleibt sachlich und dezent parodistisch. Die Gesangsstimmen sind wie eine Fortsetzung der Instrumente in den Orchesterklang eingebunden, ohne sich dadurch unterordnen zu müssen. Ligetis abenteuerlicher Stilmix, ein musikalisches Welttheater ganz eigener Art, kommt hier sehr schön zur Geltung.

Vergrößerung in neuem Fenster Das soll der Weltuntergang gewesen sein? Nekrotzar ist enttäuscht und denkt über Suizid nach.

Dazu wird ganz ausgezeichnet gesungen - wobei ausgerechnet dem von Bariton Simon Neal stimmlich solide verkörperten und mit beklemmender Bürgerlichkeit unter der wirren Verkleidung gespielten Nekrotzar ein gewisses Maß an stimmlicher Größe fehlt, um die für die Partie eben auch erforderliche Gefährlichkeit auszustrahlen. Tenor Peter Marsh ist ein in allen Lagen enorm präsenter Piet vom Fass (da im englischen Original gesungen wird, wäre "Piet the Pot" die passendere Rollenbezeichnung). Anna Nekhames brilliert als Venus und als Chefin der geheimen Polizei mit überwältigenden Koloraturen. Elizabeth Reiter und Karolina Makuła geben ein lyrisch klangschönes Liebespaar Amanda und Amando ab, das beschließt, sich bis zur letzten Sekunde der Welt dem Geschlechtsleben hinzugeben. Souverän agieren Alfred Reiter als Astradamors und Claire Barnett-Jones als Mescalina sowie Michael McCown und Ian MacNeil als weißer und schwarzer Minister, deren Funktion einigermaßen rätselhaft bleibt, da es in dieser Inszenierung gar keinen Staat gibt, sondern nur den feierlustigen Club. Auch die kleinen Partien sind gut besetzt, und (meist hinter der Bühne) trägt auch der Chor zu einer musikalisch sehr überzeugenden Aufführung bei.






FAZIT

Alle Abgründe des Werkes lotet die gefällige, dabei ein wenig oberflächliche Inszenierung von Vasily Barkhatov zwar nicht aus, sehens- und hörenswert ist Ligetis absurde Weltuntergangsfantasie aber allemal.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Thomas Guggeis

Regie
Vasily Barkhatov

Bühne
Zinovy Margolin

Kostüme
Olga Shaishmelashvili

Licht
Joachim Klein

Video
Ruth Stofer
Tabea Rothfuchs

Chor
Tilman Michael

Dramaturgie
Maximilian Enderle



Statisterie der Oper Frankfurt

Chor der Oper Frankfurt

Frankfurter Opern-
und Museumsorchester


Solisten

Nekrotzar
Simon Neal

Piet vom Fass
Peter Marsh

Fürst Go-Go
Eric Jurenas

Venus / Chef der Gepopo
Anna Nekhames

Astradamors
Alfred Reiter

Mescalina
Claire Barnett-Jones

Weißer Minister
Michael McCown

Schwarzer Minister
Ian MacNeil

Amanda
Elizabeth Reiter

Amando
Karolina Makuła

Ruffiak
Nicolai Klawa

Schobiak
Yan Lei Chen

Schabernack
Yongchul Lim

Chorsoli
Marta Casas
Eui Kyung Kim
Otakar Souček
Won Woo Shim



Weitere Informationen
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