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Kein guter Tag zum Heiraten
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Barbara Aumüller Violett beißt rot: Es kann schon aus ästhetischen Gründen am Ende dieser Inszenierung keine Versöhnung geben. Der Anzug des Grafen und das Kleid der Gräfin lassen keine dauerhafte Annäherung zu (Kostüme: Susanne Uhl). So reicht man sich kurz die Hand und geht schnell auseinander - wie auch die anderen Paare (Figaro und Susanna, Marzelline und Bartolo, Barbarina und Cherubino) penibel darauf achten, in den letzten Takten der Oper weit auseinander zu stehen. Kein happy end, für niemanden, und die anstehende Dreifachhochzeit fällt wohl aus. Wobei man auch sagen kann: Alles Vorangegangene war ohnehin nur ein Spiel auf einem leeren quadratischen Spielfeld, das von riesigen Holzwänden mit etlichen meterhohen Drehtüren umgeben ist (Bühne: Karoly Risz). Wobei der Einsatz nicht allzu hoch gewesen sein kann, dazu bleiben die Figuren sozial zu unbestimmt und die Fallhöhe entsprechend gering. Und Mozarts großer Moment der Versöhnung wird szenisch zur Nebensache. Ärgert sich, weil die Hochzeitspläne aufgeschoben werden müssen: Figaro
Die um das Phänomen des Spielens (genauer: des eine Rolle Spielens) kreisende Metaphorik, von Regisseur Tilman Köhler im Programmheft ausgebreitet, müsste auf der Bühne deutlicher zu erkennen sein als in dieser soliden, aber im Detail viel zu ungenauen Inszenierung. Die Regie kommt weitestgehend ohne Requisiten aus und entwickelt die Handlung oft nur in Andeutungen, schließlich kennt man das Stück. Die Reduktion führt dennoch zu manchen Problemen: Wo soll Cherubino sich im ersten Akt vor dem Grafen verstecken? (Zunächst unter Susannas Rock, dann auf einem eilig herbeigebrachten Stuhl.) Wie löst man das Finale des zweiten Aktes mit der verschlossenen Tür, wo es gar keine Türen gibt? (Ziemlich bemüht durch eine Bodenklappe, durch die Cherubino und später Susanna im Unterboden verschwinden können). Und wie versteckt man sich im nächtlichen Garten, wenn die Bühne leer und hell ist? (Alle schauen konsequent aneinander vorbei). Sicher, Mozarts und Da Pontes genial aufgebauter Figaro funktioniert auch in diesem abstrakten Ambiente, zumal die eher konventionelle Personenregie zwar auch nicht allzu genau durchgestaltet ist, aber von einem spielfreudigen Ensemble auf der Bühne verlässlich umgesetzt wird. Letztendlich aber bleibt die Regie an der Oberfläche: Eine Allerweltsinszenierung, die nicht weh tut, aber die Größe des Stücks unterschlägt. Die Lobhudeleien, die im Anschluss an die Aufführung vor dem Publikum anlässlich der Auszeichnung "Opernhaus des Jahres 2023" (vergeben von der Zeitschrift Opernwelt) auch über die gerade gesehene Produktion ausgetauscht wurden, waren nicht recht nachvollziehbar. Fürchten aus unterschiedlichen Gründen gräfliche Willkür: Cherubino (links) und Susanna
Nun lag die Spannung vor dieser Premiere wohl weniger auf der Inszenierung als vielmehr im Debüt von Thomas Guggeis als neuem Frankfurter Generalmusikdirektor. Der hatte zuletzt als Kapellmeister an der Berliner Staatsoper vor allem mit Wagner und Strauss für Furore gesorgt, in Wien und Dresden Korngolds Die tote Stadt dirigiert - allesamt Komponisten, die dem Dirigenten großen Orchesterzauber ermöglichen. Mit Mozarts filigraner Leichtigkeit und der Wendigkeit der Musikkomödie tut Guggeis sich erst einmal unerwartet schwer. Die Ouvertüre gerät bei flottem Tempo allzu unscharf, die "kleinen" Noten gehen verloren, das Frankfurter Opern- und Museumsorchester klingt zu dick und plüschig. Dem gesamten ersten Akt fehlt es an innerem drive und an Esprit, die Musik klingt zu gewichtig. Vielleicht lag da ja doch eine gewisse Nervosität über diesem Spielzeitauftakt, jedenfalls gewinnt die Interpretation im zweiten Akt an Schärfe. Gleichwohl kann man den Figaro pointierter, leichtfüßiger, witziger, nicht zuletzt orchestral schlanker dirigieren. So gelingen die Nummern am besten, in denen es ernst wird; die Arien der Gräfin etwa und auch die Finalszene mit der entscheidenden Bitte um Vergebung "Contessa, perdono". Da gibt Guggeis der Aufführung ohne Pathos, aber mit Würde musikalisch das Format, das der Szene fehlt. Nur Farbenblinde werden hier auf eine Annäherung hoffen: Graf und Gräfin Almaviva
Das gute, in den Hauptpartien mit jungen Stimmen besetzte und sehr homogene Frankfurter Ensemble wird angeführt von Adriana González, die mit leuchtend warmer Stimme zuletzt auch bei den Salzburger Festspielen die Gräfin gesungen hat und mit einem betörenden, sehr intensiven Pianissimo aufwarten kann. Nicht nur ihr gegenüber bleibt der Graf musikalisch ein Leichtgewicht - Danylo Matviienko ist eine blendende Bühnenerscheinung und verfügt über einen beweglichen, eleganten, aber nicht allzu großen Bariton, der den Machtanspruch der Figur zu wenig vermitteln kann. Da hat der agile, zupackend singende Kihwan Sim als Figaro vokal größere Durchschlagskraft. Elena Villalón ist eine Susanna mit silbrig quirligem, eher leichtem, aber nicht untergewichtigem Sopran. Und Kelsey Lauritano macht mit schlankem, nervös vibrierendem Mezzo die Liebesnöte Cherubinos sehr schön hörbar - szenisch ist die Figur von Beginn an androgyn angelegt, wodurch die Verkleidungsszenen recht bemüht erscheinen. Freuen sich über nicht mehr erhofftes Familienglück; Mama Marcellina, Sohn Figaro und Papa Bartolo
Auch die Nebenpartien sind gut besetzt. Idil Kutay singt eine leuchtend warme und intensive, damit fast zu groß besetzte Barbarina, was man gerne hinnimmt. Cecelia Hall als Marcelline und Donato Di Stefano geben ein überzeugendes komisches Intriganten- und später Elternpaar ab. Magnus Dietrich als Basilio und Don Curzio und Franz Mayer als Antonio geben ihren kleinen Rollen klares Profil. Und in den vielen Ensembles zeigen sich die Sängerinnen und Sänger sehr gut aufeinander abgestimmt. Keine Wünsche offen lässt der samtweich klingende, dabei präzise singende, gerade zum "Opernchor des Jahres 2023" gewählte Chor der Frakfurter Oper (Einstudierung: Tilman Michael). Herzlicher, nicht unbedingt enthusiastischer Beifall des Premierenpublikums für die Aufführung wie für den jungen neuen Chefdirigenten des Hauses.
Das frisch gekürte "Opernhaus des Jahres" startet mit einem soliden, nicht allzu aufregenden Figaro in die neue Saison. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Choreographische Mitarbeiterin
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Figaro
Susanna
Graf Almaviva
Gräfin Almaviva
Cherubino
Marcellina
Bartolo
Basilio / Don Curzio
Barbarina
Antonio
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