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Liebesexperiment mit Zeitreise Von Thomas Molke / Fotos:© Sascha KreklauCosì fan tutte ist die dritte und letzte Zusammenarbeit des "Dream-Teams" Wolfgang Amadeus Mozart und Lorenzo Da Ponte. Ob noch weitere Werke gefolgt wären, lässt sich nur mutmaßen, da Mozart im Dezember 1791 - also knapp ein Jahr und 11 Monate nach der Uraufführung von Così fan tutte - verstarb. Im Gegensatz zu den beiden vorherigen Opern Le nozze di Figaro und Don Giovanni lässt sich bei Così fan tutte keine literarische Vorlage ausmachen, auf die Da Ponte in seinem Libretto zurückgegriffen hat. Es wird sogar vermutet, die Idee zu dem Stück beruhe auf einer realen Geschichte, die sich in der Wiener Aristokratie zur Zeit der Türkenkriege ereignet habe. Auch soll der Text ursprünglich für Mozarts Rivalen, Antonio Salieri, verfasst worden sein und nur ein Zerwürfnis zwischen den beiden dazu geführt haben, dass Mozart das Projekt angeboten wurde. Ein großer Erfolg war dem Werk zunächst nicht beschieden, was zum einen daran gelegen haben mag, dass knapp einen Monat nach der Uraufführung Kaiser Joseph II. starb und deswegen alle weiteren Aufführungen abgesagt werden mussten. Zum anderen setzten sich moralische Bedenken und Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Handlung durch, die zunächst eine Verbreitung der Oper verhinderten. Letztlich war es aber Mozarts großartiger Musik zu verdanken, dass das Werk mit Beginn des 20. Jahrhunderts dann doch die Bühnen erfolgreich eroberte und seitdem einen festen Platz im Repertoire besitzt. Don Alfonso (Philipp Kranjc, rechts) wettet mit Ferrando (Khanyiso Gwenxane, Mitte) und Guglielmo (Simon Stricker, links), dass ihre Verlobten nicht treu sein werden. Der Titel der Oper ist ein Zitat aus Le nozze di Figaro. Der intrigante Musiklehrer Don Basilio stellt damit die Treue der "schönen Frauen" ("Così fan tutte le belle") in Frage, als er Cherubino in Susannas Zimmer vorfindet, was zumindest bei Don Basilio eine gewisse Frauenfeindlichkeit manifestiert. Diese setzt sich bei dem abgeklärten Philosophen Don Alfonso, der Ferrando und Guglielmo in Così fan tutte zu der Wette verleitet, fort. Hinzu kommt eine abstruse Handlung, die jedes Regie-Team vor eine große Herausforderung stellt. Wie soll man glaubhaft vermitteln, dass zwei junge Frauen ihre Geliebten nicht erkennen, die angeblich in den Krieg ziehen und kurze Zeit später als verkleidete Türken mit angeklebten Bärten zurückkehren, um jeweils die Verlobte des anderen heftig zu umwerben? Dass nach der fingierten Hochzeit mit dem jeweils anderen Partner, die Männer plötzlich in ihrer ursprünglichen Gestalt zurückkehren, den Frauen ein schlechtes Gewissen für ihr Verhalten einreden und ihnen großmütig verzeihen, ist obendrein nicht mehr zeitgemäß. Despina (Margot Genet, vorne) macht sich über Fiordiligi (Rebecca Davis, hinten links) und Dorabella (Lina Hoffmann, hinten rechts) lustig, weil sie über den Verlust ihrer Verlobten trauern. Das Regie-Team um David Hermann wählt einen komplett anderen Zugang, um diese Logiklöcher zu umgehen, und lässt die Handlung über einen Zeitraum von 47 Jahren spielen. Um den Krieg dabei nicht auszuklammern, in den die Geliebten zu Beginn der Oper ziehen und aus dem sie am Ende nach der fingierten Hochzeit zurückkehren, beginnt die Geschichte in der Inszenierung 1913 und endet 1950. Dabei lässt Hermann die Figuren allerdings nicht altern, nur in unterschiedliche Rollenmodelle schlüpfen, die der jeweiligen Zeit geschuldet sind. Die erzählte Geschichte ist - sieht man von dem fehlenden Alterungsprozess ab - zwar auf diese Weise logisch aufgebaut, hat aber nicht mehr viel mit der eigentlichen Handlung zu tun. Nachdem Fiordiligi und Dorabella ihre beiden Verlobten tränenreich zum Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg verabschiedet haben, kehren Guglielmo und Ferrando schwer verwundet und kriegsversehrt 1918 aus dem Krieg zurück, suchen allerdings anders als in der Oper den Kontakt zur eigenen Verlobten. Die beiden Frauen weisen ihre ehemaligen Geliebten jedoch zurück, was Fragen aufwirft. Sind es die Traumata des Krieges, die die Paare voneinander entfernt haben? Dazu passt nicht, dass Ferrando nach dieser Zurückweisung mit der Arie "Un aura amorosa" die untrügliche Liebe seiner Dorabella beschwört. Danach trennen sich zunächst die Wege der beiden Paare, und man begegnet sich erst 10 Jahre später in einer Tropen-Revue wieder, die Fiordiligi und Dorabella besuchen. Guglielmo und Ferrando treten in dieser Revue sehr spärlich bekleidet mit zotteligen Haaren als exotische Ureinwohner auf, die sich in einer Farce aus enttäuschter Liebe mit Gift umbringen wollen und von der Ärztin Despina mit dem Biss einer Schlange kuriert werden. Die beiden Frauen zeigen sich von dem Spiel sichtlich amüsiert und lassen sich einbeziehen. Dabei kehren sie zu ihren ehemaligen Verlobten zurück, die sie dann schließlich unter der Perücke erkennen. So sieht man am Ende des ersten Aktes eine glückliche Wiedervereinigung der beiden Paare, die so in der eigentlichen Oper gar nicht vorgesehen ist. Zu Beginn des zweiten Aktes hat sich Langeweile bei den Paaren eingestellt: von links: Fiordiligi (Rebecca Davis), Guglielmo (Simon Stricker), Ferrando (Khanyiso Gwenxane) und Dorabella (Lina Hoffmann) (hinten links: Margot Genet als Despina). Nach der Pause sind wieder 10 Jahre vergangen, und die Paare sind immer noch verlobt. Mittlerweile hat sich Gewohnheit und Langeweile eingestellt, so dass die beiden Frauen den Vorschlag Despinas, durch einen Partnertausch Belebung ins Liebesleben zu bringen, gar nicht so abwegig finden. So geht es in ein verruchtes Etablissement, wo der berauschenden Lust und der freien Liebe keine Grenzen gesetzt sind. Hier lässt sich schließlich Dorabella auf Guglielmo ein, und auch Ferrando gelingt es nach anfänglichen Schwierigkeiten, Fiordiligis Herz zu erobern. Die beiden Männer müssen Don Alfonso gegenüber eingestehen, dass sie die Wette verloren haben und planen nun die Hochzeit mit der jeweils anderen Frau. Dass Ferrando dabei in das Hochzeitskleid und Fiordiligi in den Anzug schlüpft, ist genauso unnötig und überflüssig wie der Hinweis auf Gendern und andere Lebensgemeinschaften in den Übertiteln. Der Hinweis ist zwar sachlich richtig, passt aber an dieser Stelle selbst bei einer zeitgemäßen Übertragung nicht in das Stück. Kurz nach der Hochzeit bricht der Zweite Weltkrieg aus. Die frisch angetrauten Ehemänner müssen folglich wieder an die Front und kehren erst Ende des Krieges zurück. Nun bleibt man allerdings in der Konstellation, die man auch bei der Unterzeichnung der Eheverträge hatte, so dass die Vorwürfe, die die beiden Männer den Frauen nach der Rückkehr machen, gar nicht nachvollziehbar sind. Stattdessen werden Anfang der 1950er Jahre Fiordiligi als treu liebende Gattin Ferrandos und Dorabella als fleißig bügelnde Haus- und Ehefrau Guglielmos gezeichnet. Doch mit diesem Klischee-Bild will Hermann den Abend nicht enden lassen. Die Zeitreise scheint zu einer Art Kurzschluss zu führen. Die Figuren beginnen heftig zu zucken und befreien sich schließlich aus ihren Kostümen wie aus einem Korsett und stimmen dann in den fröhlichen Schlussgesang der Oper ein. Hochzeit mit vertauschten Partnern: links: Ferrando (Khanyiso Gwenxane) mit Fiordiligi (Rebecca Davis), rechts: Dorabella (Lina Hoffmann) mit Guglielmo (Simon Stricker), in der Mitte: Despina (Margot Genet) Sieht man vom mangelnden Alterungsprozess der Figuren ab, erzählt Hermann eine nachvollziehbare Geschichte, die mit dem Inhalt von Mozarts Oper allerdings nur marginal etwas zu tun hat. Eindrucksvoll sind das Bühnenbild von Jo Schramm und die opulenten Kostüme von Bettina Walter, die die einzelnen Zeitebenen der Inszenierung wunderbar einfangen. So wandeln sich Fiordiligi und Dorabella von vornehmen Damen des ausgehenden Kaiserreichs über modische Frauen der 1920er Jahre hin zur klassischen Hausfrau der frühen 1950er Jahre. Auch die Kostüme der Männer bilden die unterschiedlichen Epochen ab. Schramm hat ein großartiges Bühnenbild entworfen, das aus flexibel beweglichen hohen Wänden besteht, mit denen schnell neue Räume entstehen können. Dass sich allerdings innerhalb der einzelnen Szenen die Wände bewegen und mit ihnen teilweise auch die Darstellerinnen und Darsteller, verwirrt ein wenig. Neben der kleinen Bühne mit Palme, die für die Tropen-Revue im ersten Akt auf die Bühne geschoben wird, und dem mondän gestalteten Sofa der Vorkriegszeit mit exotischem grünem Pfau, fasziniert vor allem der Club im zweiten Akt, in dem die Paare ein rauschendes Fest der Liebe feiern. Aus dem Schnürboden, werden Fadenvorhänge in Quaderform herabgelassen, die mit interessanter Lichtgestaltung Käfige formen, in denen die Figuren ihrer Lust freien Lauf lassen. Auch musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen. Giuliano Betta zaubert mit der Neuen Philharmonie Westfalen einen jugendlich frischen Mozart-Klang aus dem Orchestergraben, der in den Tempi sorgfältig abgestimmt ist und die Sängerinnen und Sänger zu keinem Zeitpunkt überdeckt. Filigran lotet er dabei die unterschiedlichen Stimmungen der Musik aus. Als Gast ergänzt Rebecca Davis als Fiordiligi das Ensemble. Mit kraftvollem Sopran und strahlenden Koloraturen gestaltet sie die etwas widerspenstigere Schwester, die sich ein wenig mehr ziert als ihre Schwester Dorabella und sich zunächst nicht auf den Partnertausch einlassen will. In "Come soglio immoto resta" zeigt Davis die ganze Bandbreite ihrer Stimme, die sich von einer tiefen Lage problemlos in dramatische Höhen emporschwingen kann, wenn sie äußert, dass ihre Liebe zu Guglielmo unerschütterlich ist. Lina Hoffmann hält mit warmem Mezzosopran dagegen, der die Lebensfreude Dorabellas unterstreicht, auch wenn sie in ihrer großen Arie "Smanie implacibili" ähnlich wie Fiordiligi den Verlust ihres Geliebten mit dramatischen Höhen beklagt. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist das wunderbare Terzett mit Philipp Kranjc als Don Alfonso "Soave sia il vento", in denen die beiden Frauen den Männern eine gute Fahrt wünschen. Hier finden Davis' Sopran und Hoffmanns Mezzosopran mit Kranjcs Bass in einer betörenden Innigkeit zusammen. Margot Genet punktet als kecke Despina mit jugendlich frischem Sopran und humorvollem Spiel. Khanyiso Gwenxane stattet die Partie des Ferrando mit wunderbar lyrischem Tenor und sanft angesetzten Höhen aus. Ein Höhepunkt ist seine große Arie im ersten Akt "Un aura amorosa", in der er die Treue seiner Dorabella besingt. Umso enttäuschter zeigt er sich dann im zweiten Akt, wenn er in der Arie "Tradito, schernito" beklagt, dass Dorabella dem Werben seines Freundes Guglielmo nachgegeben hat. Hier begeistert Gwenxane mit sauber angesetzten Spitzentönen. Auch darstellerisch zeigt Gwenxane großen Spielwitz. Gleiches gilt für Simon Stricker als Guglielmo, der mit kraftvollem, virilem Bariton glänzt. Philipp Kranjc gibt den Philosophen Don Alfonso mit solidem Bass. Der von Alexander Eberle einstudierte Opernchor punktet nicht nur durch homogenen Klang, sondern zeigt auch mit der Statisterie in der Club-Szene im zweiten Akt große Spielfreude und gewaltigen Körpereinsatz. So gibt es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten, auch wenn das Stück mit Mozarts eigentlicher Geschichte nicht mehr allzu viel zu tun hat. FAZIT David Hermann erzählt eine in ihren Grundzügen nachvollziehbare Geschichte, die an den meisten Stellen auch auf den Text passt. Die eigentliche Handlung von Mozarts Oper wird durch die Zeitreise allerdings doch sehr stark entfremdet.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung Bühne Kostüme Licht Chor Dramaturgie
Neue Philharmonie Westfalen Cembalo Opernchor des MiR Statisterie des MiR
Solistinnen und Solisten*Premierenbesetzung
Fiordiligi
Dorabella
Guglielmo
Ferrando
Despina
Don Alfonso
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