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Ewiger Kampf
oder ewiges Streben Von Thomas Molke / Fotos:© Bettina StößMiguel de Cervantes' Don Quixote gilt als erster moderner Roman der Weltgeschichte, der heute noch zu den meistgelesenen Werken der Literatur zählt. Die Geschichte um den Landadeligen Alonso de Quijana, der nach der Lektüre unzähliger Ritterromane verrückt wird und beschließt, als fahrender Ritter Don Quixote durch die Welt zu reisen und das Unrecht zu bekämpfen, hat zahlreiche Kunstschaffende inspiriert, die Geschichte zu vertonen oder in Bildern zu verewigen. Neben dem klassischen Handlungsballett von Ludwig Minkus dürfte sich im Bereich der Musik heute noch vor allem das Musical Man of La Mancha von Mitch Leigh und Dale Wasserman großer Bekanntheit erfreuen. Giuseppe Spota hat die Geschichte nun zum Ausgangspunkt für den ersten Ballettabend gewählt, den er in dieser Spielzeit im Großen Haus im Musiktheater im Revier präsentiert. Dazu hat er die israelische Choreographin Jasmin Vardimon eingeladen, um zwei Kreationen zu diesem Thema unter dem Titel Don Q zusammenzuführen, die jeweils einen ganz anderen Aspekt der literarischen Vorlage ins Zentrum rücken, mit der eigentlichen Geschichte im Gegensatz zum Ballett von Ludwig Minkus allerdings gar nichts mehr zu tun haben. Don (Sebastian Schiller, Mitte) lässt sich von seinen Groupies (Ensemble) feiern. Den Anfang macht Spota mit seiner Choreographie Don, die er als spartenübergreifendes Projekt mit der Neuen Philharmonie Westfalen und dem Musiktheater angelegt hat. Ins Zentrum stellt er einen Rockstar, der ewigen Ruhm erlangen will. Unter dem Künstlernamen "Don" will er auf Welttournee gehen und sucht sich einen Manager, den er Sancho nennt. Auf dem Weg zum Ruhm trifft er auf zahlreiche Hindernisse und innere Dämonen, die es zu bekämpfen gilt. Dabei begegnet ihm ähnlich wie Cervantes' Held auch eine Dulcinea. Wie Don Quixote driftet er immer weiter in seine Traumwelt ab und erkennt am Ende, dass er nur einer Illusion verfallen ist. Die Musik zu diesem Teil, die live von der Neuen Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Askan Geisler begleitet wird, hat Christof Littmann extra für diesen Abend komponiert. Littmann ist am MiR kein Unbekannter, hat er doch auch für den großen Ballettabend in der vergangenen Spielzeit, Odysseus, die Musik kreiert. Neben Rock, Pop und elektronischer Musik baut Littmann auch spanische Folklore ein, die sich vor allem im Schlagzeug manifestiert. Don (Sebastian Schiller, oben) und Sancho (Urvil Shah, unten) Mit Sebastian Schiller in der Hauptrolle als Don hat man ein perfektes Bindeglied zwischen Gesang und Tanz für diese Kreation. Im weißen Fransenhemd glänzt er als angehender Star zu einer leicht variierten Fassung von "Rehap" von Amy Winehouse vor kunstvoll geformten weißen Fadenvorhängen, die hervorragend mit seinem Oberteil harmonieren. Die Tänzerinnen und Tänzer umgeben ihn dabei in dunkelblauen Arbeiter-Overalls wie Groupies und vermitteln ihm das Gefühl, auf dem Weg zum Weltstar zu sein. Nach dem Lied lassen sie ihn ständig in Mikrophone sprechen, was den Wunsch in Don nach Weltruhm noch verstärkt. Hinter den Fadenvorhängen befindet sich ein dreiteiliges Bühnenbild, das an eine Windmühle erinnert. Durch Einsatz der Drehbühne bewegen sich Schiller und die Tänzerinnen und Tänzer durch die "Blätter" wie durch verschiedene Stationen auf dem Weg zum Ruhm. In der Mitte befindet sich ein Gerüst, das die drei "Blätter" verbindet und Schiller die Möglichkeit gibt, auch räumlich emporzusteigen. Der Schlagzeuger Robert Jambor ist im Gegensatz zum Orchester in der Mitte der Bühne positioniert, um seine herausgehobene Stellung in der Musik Littmanns hervorzuheben. Doch auch die Tänzerinnen und Tänzer wirken beim Schlagwerk mit. So werden am Anfang Trommel-Sticks auf die Bühne geworfen, die die Tänzerinnen und Tänzer auf verschiedene Weise nutzen. Mal bilden diese Sticks die Mähne eines Pferdes, dann setzen sie lautmalerisch einen Ritt um oder werden rhythmisch geschlagen. Das alles geschieht mit einer ungeheuren Präzision. Don (Sebastian Schiller) und Dulcinea (Zsófia Safranka-Peti) Auch Askan Geisler zaubert mit der Neuen Philharmonie Westfalen einen abwechslungsreichen Klang aus dem Orchestergraben, der zahlreiche Farben auf Dons Weg beschreibt. Mal ist die Musik ekstatisch wie Dons Lebensgefühl, dann wieder unruhig, wenn Don befürchtet, sein Ziel nicht erreichen zu können. Am Ende klingt sie nahezu abgeklärt und wirkt in Schillers Schluss-Song wie ein Schwanengesang auf das Ende einer Karriere. Die Tänzerinnen und Tänzer der MiR Dance Company setzen die Choreographie äußerst kraftvoll um. Da ist zunächst Urvil Shah als Sancho hervorzuheben. Im blauen Overall ist er am Anfang Teil der Masse, kann aber nicht schnell genug fliehen, als Don einen Manager sucht, und wird von ihm in einem ausdrucksstarken Pas de deux regelrecht vereinnahmt. Schiller lässt sich hervorragend in die Bewegungen einbeziehen. Shah zeigt sich in modernem Ausdruckstanz voller kraftvoller Energie. Die übrigen Tänzerinnen und Tänzer verwandeln sich im Lauf des Stückes von Groupies in blauen Overalls zu Rockstars. Ob sie dabei Widersacher und Rivalen oder innere Dämonen Dons sind, bleibt der Phantasie des Publikums überlassen. Ein wenig unscharf bleibt die Rolle der Dulcinea, die von Zsófia Safranka-Peti relativ geheimnisvoll interpretiert wird. Auch sie trägt das gleiche Kostüm wie Don, was darauf hindeutet, dass sie ebenfalls nur eine Illusion ist. Am Ende treten die Tänzerinnen und Tänzer wieder alle in blauen Overalls auf, tragen über dem Gesicht allerdings Dons Maske. Haben sich nun alle in Don verwandelt oder sieht Don in allen Menschen nur noch sich selbst? Jedenfalls kommt er am Ende zu einer Art von Erkenntnis. Vor den weißen Fadenvorhängen vom Anfang stimmt er nun ein melancholisches Lied an, das einen scharfen Kontrast zur Anfangsnummer bildet. Dabei senkt sich langsam der Vorhang und Don verschwindet im Dunkel. Das Publikum spendet tosenden Applaus. Der Mann (Joonatan Zaban, rechts) verliert seine Frau (Chiara Rontini, vorne links) (im Hintergrund von links: Camilla Bizzi und Tanit Cobas). Nach der Pause geht es mit Vardimons Choreographie Q weiter. Dabei ist der Inhalt ihrer Kreation allerdings noch weiter weg von Cervantes' Romanheld als die Initiale vermuten lässt. Das Q soll wohl auch gar nicht unbedingt für "Quixote" stehen sondern vielmehr für "Questions". Zahlreiche Fragen wirft dieser zweite Teil nämlich auf. Alles beginnt mit einem Erdbeben. Ein Mann verliert dabei alles und trifft in einer zerstörten Welt zunächst auf einen Roboter. Allmählich begegnen ihm auch eine ehemalige Reinigungskraft und ein alkoholabhängiger Mitarbeiter aus seinem früheren Leben wieder. Doch der Respekt, den sie vor der Katastrophe vor ihm hatten, ist dahin. Stattdessen bedrohen sie seine Vormachtstellung. Eine weitere Katastrophe lässt sie verschwinden und rettet den Mann gewissermaßen. Der Mann erkennt, dass er sich lieber mit dem Roboter auf eine neue Zukunft einlassen will und wird selbst im Bewegungsablauf zu einer Maschine. Sieg der Maschine über den Menschen? (Marie-Louise Hertog und Joonatan Zaban) Vardimon präsentiert diese Dystopie in äußerst düsteren Bildern. Zwei "Blätter" aus der ersten Produktion tauchen im Bühnenbild wieder auf. Nun liegen sie allerdings auf dem Boden und bilden eine leicht abschüssige Ebene. Aus dem Schnürboden hängt eine Lampe herab. Wenn das erste Erdbeben beginnt, scheint die Frau (Chiara Rontini) des Mannes (Joonatan Zaban) noch im Mittelpunkt zu stehen. In großer Verzweiflung versucht sie, ihr Hab und Gut vor dem Untergang zu bewahren, allerdings ohne Erfolg. So wird auch sie schließlich wie die anderen Figuren von der Umwelt "verschluckt". Dies wird von Rontini im Bühnennebel mit weiteren Tänzerinnen und Tänzern, die ihre Bewegungen aufgreifen, eindrucksvoll umgesetzt. Zaban begibt sich auf die Suche und trifft auf einen Roboter (Marie-Louise Hertog). Hertog begeistert mit großartig abgehackten Bewegungen und starrer Mimik, die sie wie eine Maschine wirken lassen. Noch wendet sich Zaban von ihr ab und versucht, in der neuen Welt seine alte Stellung zu behaupten. Eine gewisse Komik entfacht er mit Alessio Monforte, der kurzerhand für den erkrankten Inwoong Ryu als Kellner eingesprungen ist und Zaban immer eine reich gefüllte Obstschale anbietet, sie aber immer wieder mehr oder weniger unfreiwillig wegzieht, wenn Zaban zugreifen möchte. Für etwas Verwirrung sorgt die folgende Stuhlszene. Mit beeindruckenden Schwarzlichteffekten scheinen die Stühle auf der Bühne plötzlich ein Eigenleben zu führen. Die Ausleuchtung ist dabei so geschickt, dass man die Tänzerinnen und Tänzer, die die Stühle führen, kaum sehen kann. Auch diese Stühle scheinen gegen Zaban zu rebellieren und mit ihrer Funktion als reinem Sitzgegenstand nicht mehr einverstanden zu sein. Im Anschluss kommt es dann zur Revolte der ehemaligen Reinigungskraft (Camilla Bizzi), des alkoholabhängigen Mitarbeiters (Yu-Chi Chen) und einer weiteren Figur (Tanit Cobas), die Zaban in seiner Existenz bedrohen. Verzweifelt zieht er sich in sein altes Refugium zurück und kann nur knapp entkommen. In einem Bilderrahmen sucht er dann die Vergangenheit und trifft erneut auf seine Frau. Doch sie entschwindet sehr schnell und er bleibt allein zurück. So beschließt er, den erneut auftretenden Roboter als Gefährtin zu wählen, und verwandelt sich dabei selbst in eine Maschine. Mit gleicher Perfektion wie Hertog legt Zaban bewegungstechnisch die menschlichen Züge ab. Das ist zwar bitter, wird aber aufgrund der eindringlichen Umsetzung ebenfalls mit großem Applaus belohnt. FAZIT Dieser Doppelabend hat zwar mit Cervantes' Roman nichts mehr zu tun, bewegt aber durch den beeindruckenden Ausdruckstanz in seiner Aussage und erinnert dann doch wieder an einen Kampf gegen Windmühlen.
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Produktionsteam
Licht
Ton
Dramaturgie
Don Musikalische Leitung Choreographie, Bühne und Kostüme Neue Philharmonie Westfalen
Schlagzeug Tänzerinnen und Tänzer*rezensierte Aufführung
Don Q
Sancho
Dulcinea
Ensemble
Q Choreographie und
Sounddesign Bühne und Kostüme Tänzerinnen und Tänzer*rezensierte Aufführung
Ensemble
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