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Mühsal der Erinnerungskultur
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Karl und Monika Forster
Leonore singt. Das ist angesichts des Titels dieser Produktion erst einmal eine gute Nachricht, jedenfalls für Beethoven-Liebhaber. Sie singt sogar unter richtigem Namen, also als Leonore und nicht als vermeintlicher Mann "Fidelio". Die gesamte Verkleidungsgeschichte ist gestrichen und damit auch weite Teile des ersten Aufzugs von Beethovens Oper. Keine Marzelline, die sich in den vermeintlichen jungen Mann verguckt, kein eifersüchtiger Jaquino. Dafür gibt's eine Menge neu komponierter Musik von Charlotte Seither. Die hat, so kann man es im Programmheft nachlesen, "entlang vertikaler Schnittkanten" die Oper "seziert und ihre eigenen Klänge dazwischen montiert". Neben vielen instrumentalen Klangflächen und einem formidablen Melodram, dazu später mehr, gibt es zwei neu hinzu komponierte Frauenchöre. So wird kompensiert, dass bei Beethoven eben meist die Männer singen. Geplant war das Projekt für das Beethoven-Jahr 2020, das bekanntlich zum Corona-Jahr mutierte. Da wäre, so der spontane Eindruck der jetzt nachgeholten Uraufführung, dieses Experiment vermutlich auch besser aufgehoben gewesen: Als Reflexionsraum innerhalb einer jubiläumsbedingten Dauerbeschallung mit der Musik Beethovens. "Gott, welch Dunkel hier": Florestan im Kerker
Die Musik Charlotte Seithers ist meist auf einem Grundton aufgebaut, der als Liegeton wie ein Orgelpunkt das tonale Fundament bildet oder, wenn er nicht durchklingt, als Zielpunkt von ausgedehnten Glissando-Ketten präsent ist. Alternativ gibt es kurze melodische, mitunter kadenzartig harmonisierte Floskeln, die die Tonalität festlegen. Darüber liegt als zusätzliche Schicht eine Geräuschkulisse des Schlagwerks. Das hat als weitgehend entwicklungsloser Klangraum zwar seinen Reiz, wird aber in seiner wenig variierten Struktur schnell vorhersehbar und erschöpft sich bald. Das vielleicht größere musikalische Problem liegt aber darin, dass Beethovens eigenwillige Musikdramaturgie mit ihrer Entwicklung vom scheinbar harmlosen Singspiel zum großen Polit-Drama aufgebrochen wird. Ohne die naiv kleinbürgerlichen Milieuschilderungen des ersten Aufzugs bleibt die Biedermeierlichkeit des Kerkermeisters Rocco und dessen Musik unverständlich. Aber auch so manche anderen musikalischen Wendungen klingen ohne diese Vorgeschichte allzu naiv. Beethoven wird dadurch unwillentlich entschärft. Und es gibt sicher gute Gründe, das Jubelfinale kritisch zu hinterfragen. Alle paar Takte einen Schnitt zu machen und ein paar Sekunden Seither'sche Musik einzufügen, erweist sich allerdings auch nicht als überzeugende Lösung. Rocco (links) und Don Pizarro im Gefängnishof. Pizarro sind bis zur Premiere übrigens wundersamerweise die Haare nachgewachsen und er sieht jetzt weit weniger nazimäßig aus.
Von der Inszenierung kommt keine Hilfe. Regisseur Hermann Schneider, der auch ein paar zusätzliche Textpassagen verfasst hat, verlegt das Geschehen in ein Gefängnis eines nicht näher zu identifizierenden heutigen Schurkenstaates - also das, was man bei Fidelio eben erwartet. Dass Leonore nicht als Mann verkleidet auftaucht, sondern mit vielen anderen Frauen den inhaftierten Ehegatten besucht, verändert die Szene nicht nennenswert. Ein wie auch immer gearteter feministischer Mehrwert gegenüber anderen Inszenierungen dieser Oper in der originalen Version ist da nur schwer auszumachen. Angesichts der an vielen Stellen um harten Realismus bemühten Regie erscheint es allerdings hochgradig unglaubwürdig, dass diese Leonore sozusagen als Tagespraktikantin den Zellentrakt betreten darf, sogar bewaffnet, und das auch noch in Begleitung des notorisch labilen, offenbar herzkranken Rocco. Interessanter hätte das eingeschobene, neu getextete und komponierte Melodram werden können, dass eine Begegnung zwischen Leonore und dem diabolischen Gouverneur Don Pizarro in einem Hotelzimmer zeigt. Es entspinnt sich ein Dialog über Demokratie und Macht, und man ist fast geneigt, diesen doch ganz interessant zu finden - bis Leonore bemerkt: "Und ich habe Dich geliebt." So wird die gerade begonnene Debatte um Demokratie und Macht umgehend zur fernsehserientauglichen Beziehungsschmonzette degradiert. Darf als Frau ein Praktikum im Gefängnis absolvieren: Leonore
Gestrichen ist das berühmte, die Rettung verkündende Trompetensignal - und damit nicht nur der zentrale utopische Erlösungsmoment, sondern auch der übliche Dreh- und Angelpunkt aller Herrschaftsdiskurse um den Fidelio herum. Aber hier liegen Florestan und Pizarro bereits beide tot am Boden (was genau geschieht, das sieht man nicht). Folglich gibt es auch keine namenlose Freude im Duett der liebenden Ehepartner. Stattdessen ziehen in einer Videosequenz dramatisch dunkle Wolken über einen Gefängnisbau. Das Chorfinale konzertant zu spielen, ist keine neue Idee; hier bekommt sie sogar einen inhaltlichen Unterbau: Viele Jahre später, so erfahren wir durch Zwischentitel auf dem Vorhang, ist das Gefängnis in eine Gedenkstätte für alle Opfer der Tyrannei umgewandelt worden. Zur Eröffnung darf, das passt ja gut, Chormusik von Beethoven gesungen werden. Leonore, zur zuständigen Ministerin aufgestiegen, soll eine Rede halten. Keineswegs frei von Selbstmitleid, versagen ihr die Worte. Stattdessen spielt ein Streichquartett. "Man hört vier vernünftige Leute sich unterhalten", hat Goethe über diese Musikgattung einmal gesagt. Das könnte ein Zeichen gegen den politischen und musikalischen Pomp sein und ein Symbol für die Aufklärung. Hier aber spielt das Quartett nur ein paar Alibi-Takte, bevor der Vorhang fällt. So endet, was ein nachdenklicher Schluss hätte werden können, letztendlich im Bedeutungskitsch. Großes Finale: Leonore ist Ministerin geworden und soll eine Rede halten.
Musikalisch lässt sich die Neue Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Peter Kattermann durchaus mit viel Klangsinn auf die verschiedenen musikalischen Sphären ein, und die Frauen von Chor und Extrachor bezaubern mit den wirkungsvollen leeren Quinten in der neu hinzukomponierten Musik. Die Herren bleiben beim berühmten Gefangenenchor "O welche Lust, in freier Luft den Atem leicht zu heben" ein wenig undeutlich und mulmig, aber doch angenehm sonor (Einstudierung: Alexander Eberle). An den Nahtstellen zwischen Beethoven und Seither klappert es immer wieder, der Wechsel zwischen den unterschiedlichen Sphären scheint insbesondere für den Chor nicht unproblematisch zu sein. Als Leonore verfügt Ilia Papandreou über schöne lyrische Töne, aber ihrem Sopran fehlt es an dramatischer Kraft. Der Aufschrei "Töt' erst sein Weib" dürfte um einiges nachdrücklicher in den Ohren hallen. Martin Homrich kämpft sich mit wenig Klang, dafür umso größerer Lautstärke durch die unangenehme Partie des Florestan. Grandios sind der überaus souveräne Rocco von Almas Svilpa und der großformatig zupackende Don Pizarro von Benedict Nelson.
Experiment eher nicht gelungen: Charlotte Seither und Hermann Schneider haben Beethoven in ihrer Neufassung des Fidelio substantiell allzu wenig entgegenzusetzen. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne, Kostüme und Video
Mitarbeit Kostüme
Licht
Ton
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten
Leonore
Florestan
Pizarro
Rocco
Erster Gefangener
Zweiter Gefangener
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