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Musiktheater
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Iolanta

Lyrische Oper in einem Akt
Libretto von Modest Tschaikoswki nach Henrik Hertz
Musik von Peter Iljitsch Tschaikowski

in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Le Rossignol

Lyrische Erzählung in drei Akten
Libretto vom Komponisten und Stephan Mitusov nach dem gleichnamigen Märchen von Hans Christian Andersen
französische Fassung von Michel Dimitri Calvocoressi
Musik von Igor Strawinsky

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 45' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus im MiR am 24. Februar 2024
(rezensierte Aufführung: 07.03.2024)

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Musiktheater im Revier
(Homepage)

Aus Liebe sehend oder Schach mit dem Tod

Von Thomas Molke / Fotos:© Pedro Malinowski

Was verbindet Tschaikowskis lyrischen Operneinakter Iolanta und Strawinskys lyrische Erzählung Le Rossignol? Auf den ersten Blick kann man nur feststellen, dass beide Werke verhältnismäßig kurz sind, wobei die drei Akte bei Strawinsky sogar fast nur halb so lange dauern wie der eine Akt bei Tschaikowski, und dass sie jeweils eine relativ anspruchsvolle Titelpartie beinhalten. Das reicht dem Musiktheater im Revier allerdings noch nicht, um sie als Doppelabend gemeinsam zu präsentieren. Die beiden Regisseurinnen Tanyel Sahika Bakir (Iolanta) und Kristina Franz (Le Rossignol) arbeiten mit einer Bühnenbildnerin (Julia Schnittger) und einem Kostümbildner (Hedi Mohr) für beide Produktionen und versuchen, auch inhaltlich eine Verbindung zwischen den beiden recht unterschiedlichen Stücken herzustellen. Ob das gelingt bzw. Sinn macht, ist Ansichtssache. Den positiven Gesamteindruck des Abends schmälert es allerdings keineswegs.

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König René (Luciano Batinić, links) will seine Tochter Iolanta (Heejin  Kim, Mitte mit Benedict Nelson als Ibn-Hakia) vor der Außenwelt schützen (rechts: Almuth Herbst als Iolantas Amme Martha).

Den Anfang macht Tschaikowskis Oper Iolanta. Während das Werk in Russland durchaus zum Standardrepertoire der Opernhäuser zählt, ist das Stück in Westeuropa eher selten auf den Bühnen zu erleben. Ein Grund dafür mag die recht abstruse Handlung sein, die bei weitem nicht an die Dramaturgie eines Eugen Onegin oder einer Pique Dame heranreicht. König René hält seine blinde Tochter Iolanta vor der Außenwelt verborgen und verbietet seinem Gefolge unter Androhung der Todesstrafe, Iolanta über ihre Blindheit und die Schönheit des Sehens aufzuklären. Der Ritter Robert von Burgund kommt mit seinem Freund Gottfried Vaudémont zum König, um seine Verlobung mit Iolanta aufzuheben, da er sich mittlerweile in Mathilde verliebt hat. Vaudémont verliebt sich in die schlafende Iolanta. Als er erkennt, dass sie blind ist, schildert er ihr das Licht in schönsten Farben. Der König will ihn dafür hinrichten lassen, doch der maurische Arzt Ibn-Hakia sieht in Iolantas aufkeimenden Gefühlen für den Fremden eine Chance, Iolanta durch eine Operation zu heilen. Iolanta erlangt das Augenlicht zurück, so dass Vaudémont begnadigt wird und einer glücklichen Verbindung zwischen den beiden nichts mehr im Weg steht. Für die Titelpartie gab es ein reales Vorbild. Jolande, die Herzogin von Lothringen heiratete 1445 ihren Vetter Friedrich II. von Vaudémont, was den dänischen Schriftsteller Henrik Hertz im 19. Jahrhundert inspirierte, ein Drama unter dem Titel König Renés Tochter zu schreiben, in dem er die Prinzessin aufgrund ihrer begrenzten Welterkenntnis als Blinde darstellte und das schließlich als Vorlage für das von Modest Tschaikowski verfasste Libretto diente.

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Robert von Burgund (Simon Stricker, rechts) erzählt seinem Freund Gottfried Vaudémont (Khanyiso Gwenxane, links), dass er seine Verlobung mit Iolanta lösen will.

Das Regie-Team um Tanyel Sahika Bakir entwirft einen fantastischen Zaubergarten, in dem Iolanta von der Außenwelt abgeschirmt wird. Hohe zu einem Halbrund geformte Wände rahmen die Bühne ein und deuten an, dass es aus dieser Welt kein Entkommen gibt. Der Zaubergarten befindet sich auf einem kreisförmigen Podest, das wie ein Käfig ohne Gitterstäbe wirkt. Ein darüber hängender Leuchtring gibt dem Ganzen eine Laboratmosphäre. Eine Schaukel im Garten dient als Mittel zum Zweck, Iolantas kindliches Gemüt zu bewahren. Maskierte Soldaten mit Gewehren fungieren als Wachen und sorgen dafür, dass jedwede drohende Gefahr sofort eliminiert wird. Fleißige Arbeiterinnen sind damit beschäftigt, das Podest von Schmutz und Unrat zu befreien. Iolanta merkt von diesen ganzen Einschränkungen zunächst nichts und fühlt sich in ihrem weißen Gewand, dass ihren unschuldigen Charakter betont, wohl. Bevor Robert und Vaudémont in diese "heile Welt" eindringen, kleiden ihre Dienerinnen sie in ein rotes Gewand, das wohl Gefühle in ihr weckt. Zunächst streift sie es beim Zusammentreffen mit Vaudémont von sich, schöpft durch ihn aber die Kraft, das Podest zu verlassen. Als sie aber durch ihre Liebe schließlich sehend wird, ist die Welt keineswegs so friedlich und schön, wie sie es sich vorgestellt hat. Stattdessen sieht sie, wie Vaudémont und ihr Vater sich mit Waffen gegenüber stehen. So eliminiert Bakir in ihrer Inszenierung ein wenig das glückliche Ende der Vorlage.

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Vaudémont (Khanyiso Gwenxane) hat sich in Iolanta (Heejin Kim) verliebt.

Musikalisch hat das Werk einiges zu bieten. Rasmus Baumann führt die Neue Philharmonie Westfalen mit sicherer Hand durch die großen romantischen Bögen, die stellenweise stark an Lenskis Musik aus Eugen Onegin erinnern. Heejin Kim stellt in der Titelpartie direkt in ihrem Auftritts-Arioso die Kraft ihres leuchtenden Soprans unter Beweis. Doch auch für die dunklen Männer-Partien hat die Oper einiges zu bieten. Da ist zunächst der Auftritt des Königs René zu nennen, der in einem Arioso darüber sinniert, ob der Arzt Ibn-Hakia seine Tochter heilen kann. Luciano Batinić begeistert als René mit einem profunden, markanten Bass, der zum einen die Verzweiflung und Sorge des liebenden Vaters hörbar macht, ihm zum anderen jedoch auch eine gewisse Härte verleiht. Simon Stricker punktet als Robert von Burgund mit kräftigem Bariton, der dennoch eine gewisse Verletzlichkeit besitzt, wenn er von seinen zärtlichen Gefühlen zu Mathilde berichtet, dann allerdings zur Höchstform aufläuft, wenn er seinem Freund Vaudémont mit kämpfendem Gefolge zu Hilfe eilt. Khanyiso Gwenxane verfügt als Vaudémont über einen lyrischen Tenor, der in einer großartigen Romanze seine Vorstellungen von der Liebe beschreibt. Scheinbar mühelos schwingt er sich dabei in die Höhen empor, ohne dabei zu forcieren. Ein weiterer musikalischer Glanzpunkt ist das folgende Liebes-Duett zwischen Kim und Gwenxane, in dem Iolanta und Vaudémont ihre Zuneigung zueinander entdecken. Benedict Nelson und Philipp Kranjc überzeugen als Arzt Ibn-Hakia und Diener des Königs ebenso wie die kleineren Partien und der von Alexander Eberle einstudierte und um den Damenextrachor erweiterte Opernchor.

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Brigitta als Köchin (Alfia Kamalova) und der Fischer (Adam Temple-Smith) auf der Suche nach der Nachtigall

Nach der Pause geht es mit Strawinskys Le Rossignol weiter. Strawinsky komponierte das Auftragswerk für das Pariser Théâtre National de l'Opéra nach Hans Christian Andersens Märchen von der chinesischen Nachtigall in zwei Etappen. Während der erste Akt, der um 1909 herum entstand noch ganz im Stil der russischen Nationalmusik gehalten ist, weisen die weiteren beiden Akte, die ca. fünf Jahre später komponiert wurden, bereits in die musikalische Moderne. Erzählt wird die Geschichte einer Nachtigall, die nicht nur einen Fischer allabendlich die Sorgen vergessen lässt, sondern auch vom chinesischen Hofstaat an den Kaiserhof gebracht wird, um für den Kaiser zu singen. Der Kaiser wird von ihrem Gesang zu Tränen gerührt und will die Nachtigall für ihre Verdienste belohnen. Doch dann überbringen ihm Gesandte des japanischen Herrschers eine künstliche Nachtigall, die wie der Vogel alle Anwesenden in ihren Bann zieht. Die Nachtigall flieht, woraufhin der Kaiser sie vom Hof verbannt. Daraufhin wird er sehr krank und liegt bereits im Sterben, als die Nachtigall noch einmal zurückkehrt und mit ihrem Gesang den Kampf mit dem Tod aufnimmt. Während sie in Andersens Märchen und in Strawinskys Oper den Tod besiegt, betrachtet Regisseurin Franz das Ende als friedliche Koexistenz zwischen Leben und Tod.

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Der Kaiser (Urban Malmberg, Mitte) zwischen Nachtigall (Lisa Mostin, links) und Tod (rechts)

Wenn man nach der Pause in den Saal zurückkehrt, sieht man Iolantas ehemalige Dienerin Brigitta auf dem Bühnenboden Schach spielen. Die Wände aus dem ersten Teil rahmen immer noch die Bühne ein. Nur das Podest mit dem Zaubergarten ist verschwunden. Wenn die Musik beginnt, verschwindet das Schachbrett im Bühnenboden. Aus dem Loch kommt der Fischer hervor, der auf den Gesang der Nachtigall wartet. Im Folgenden baut Franz das Figurentheater des MiR ein. Als Schachfiguren entsteigen die drei Puppenspieler dem Bühnenboden und führen einen weißen Turm mit einem Kopf mit sich, der sich von der Figur löst und fortan ein Eigenleben führt. Im weiteren Verlauf des Stückes wächst er zu einer vollständigen Figur heran, bis er schließlich an Größe die anderen Darstellerinnen und Darsteller überragt. Diese Figur steht wohl für den Tod, der den Kaiser am Ende in sein Reich holt. Wieso die Dienerin Brigitta aus Iolanta sich nun in die Köchin im Stück verwandelt und am Ende allein zurückbleibt, alles also nur eine Traumsequenz darstellt, erschließt sich nicht wirklich, stört aber auch nicht weiter, weil Franz für ihre Inszenierung eindrucksvolle Bilder findet. Die Rückwand löst sich im weiteren Verlauf auf, zeigt zunächst die Behausung der ein wenig gerupft wirkenden Nachtigall und verwandelt sich anschließend in einen kunterbunten chinesischen Kaiserhof mit zahlreichen Lampions, die aus dem Schnürboden herabhängen. Die Kostüme von Mohr schöpfen in ihrer Farbenpracht aus dem Vollen.

Auch im zweiten Teil lässt die musikalische Umsetzung keine Wünsche offen. Rasmus Baumann arbeitet mit der Neuen Philharmonie Westfalen einen deutlichen Kontrast zwischen der teils sehr spröden Musik Strawinskys und der in emotionalen Bögen fließenden Musiksprache Tschaikowskis heraus. Lisa Mostin verfügt in der Titelpartie über einen sehr beweglichen Koloratursopran, der in den Höhen absolut frisch klingt und glaubhaft werden lässt, wieso ihre Stimme die Massen verzaubert. Alfia Kamalova stattet die Köchin mit warmem Sopran aus. Adam Temple-Smith gestaltet den Fischer mit weichem Tenor. Auch die übrigen Partien überzeugen, so dass es am Ende großen und verdienten Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Das Musiktheater im Revier präsentiert zwei Raritäten der russischen Opernliteratur, die absolut hörenswert sind, und findet für die Umsetzung eindrucksvolle Bilder.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Rasmus Baumann /
Giuliano Bettai

Bühne
Julia Schnittger

Kostüme
Hedi Mohr

Licht
Patrick Fuchs

Chor
Alexander Eberle

Dramaturgie
Anna-Maria Polke

 

Neue Philharmonie Westfalen

Opernchor und Damenextrachor
des MiR

Statisterie des MiR

 

Iolanta

Inszenierung
Tanyel Sahika Bakir

Solistinnen und Solisten

*rezensierte Aufführung

Iolanta
Heejin Kim

König René
*Luciano Batinić /
Philipp Kranjc

Gottfried Vaudémont
Khanyiso Gwenxane

Robert von Burgund
Petro Ostapenko /
*Simon Stricker

Ibn-Hakia
*Benedict Nelson /
Petro Ostapenko

Bertrand, Diener des Königs
*Philipp Kranjc /
Petro Ostapenko

Martha, Iolantas Amme
Almuth Herbst

Brigitta, Dienerin Iolantas
Alfia Kamalova

Laura, Dienerin Iolantas
Hyejun Melania Kwon /
*Iris-Marie Sojer

Almerik, Bote des Königs
Ju Hyeok Lee

 

Le Rossignol

Inszenierung
Kristina Franz

Puppen
Jonathan Gentilhomme

Solistinnen und Solisten

*rezensierte Aufführung

Die Nachtigall
Lisa Mostin

Die Köchin
Alfia Kamalova

Der Fischer
Adam Temple-Smith

Der Kaiser
Urban Malmberg

Der Kammerherr
Philipp Kranjc

Der Bonze
Oliver Aigner

Der Tod
Almuth Herbst

Spieler des Todes
Gloria Iberl-Thieme
Daniel Jeroma
Maximilian Teschemacher

1. Japanischer Gesandter
Johannes Mang

2. Japanischer Gesandter
Petro Ostapenko

3. Japanischer Gesandter
Ju Hyeok Lee

 



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