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Orfeo ed Euridice
(Orpheus und Eurydike)


Azione teatrale per musica in drei Akten
Libretto von Ranieri de' Calzabigi
Musik von Christoph Willibald Gluck

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1 h 55' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Hannover am 22. März 2024




Staatsoper Hannover
(Homepage)
Euridice mit Selbstmordabsichten

Von Thomas Molke / Fotos: © Tim Mueller

Christoph Willibald Glucks Oper Orfeo ed Euridice ist nicht zuletzt durch die legendäre Inszenierung von Pina Bausch aus dem Jahr 1975 untrennbar mit dem Tanztheater verbunden. Zwar gab es bereits bei der Uraufführung 1762 in Wien Tanzeinlagen von Gasparo Angiolini. Erweitert um zahlreiche Balletteinlagen wurde die Oper allerdings erst fünf Jahre später in der französischen Fassung als Tragédie-opéra Orphée et Eurydice in Paris, für die Pierre-Louis Moline ein komplett neues Libretto verfasste und in die auch der berühmte Furientanz Einzug fand, den Gluck ursprünglich für sein Ballett Don Juan im Jahr 1861 komponiert hatte. Ansonsten manifestiert die Wiener Uraufführung vor allem Glucks Ruf als Opernreformator. Mit der Konzentration auf nur drei Solist*innen verabschiedete er sich von den zahlreichen Verwicklungen der klassischen Opera seria, stellte die Musik ganz in den Dienst des gesungenen Textes und löste einen Opernstreit aus, der die Opernanhänger in zwei Parteien, die Gluckisten und Piccinisten spaltete, von denen Letztere weiterhin der alten Operntradition nachhingen. Von daher wundert es schon ein wenig, dass in Hannover, wo die Premiere die diesjährigen Oster-Tanz-Tage einleitet, auf die Urfassung zurückgegriffen wird und auch auf den legendären Furientanz verzichtet wird.

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Orfeo (Nina van Essen, mit Tänzerinnen und Tänzern und Chor im Hintergrund) beklagt den Verlust Euridices.

Aber das ist nicht die einzige Überraschung, die man in der Inszenierung von Lisaboa Houbrechts und der Choreographie von Diego Tortelli erlebt. Houbrechts sucht nach einer Neudeutung und stellt dabei den Mythos auf den Kopf. Sie stellt sich die Frage, was wäre, wenn Euridice sich aus freien Stücken für den Tod entschieden hätte und gar nicht mit Orfeo zurück aus der Unterwelt kommen möchte. Das geben zwar weder das Libretto noch der eigentliche Mythos her, aber natürlich ist es erlaubt, darüber nachzudenken, wieso Euridice schließlich einfordert, dass Orfeo dem Gebot nicht Folge leistet und sich auf dem Weg aus der Unterwelt nach ihr umdreht. Zum gesungenen Text passt es am Ende dann aber nicht, weil es schwer nachvollziehbar ist, dass Orfeo mit dem Chor in einen Jubel über die Liebe und Amor einstimmt, wenn er seine Gattin Euridice ein weiteres Mal verloren hat. Houbrechts verweist im Programmheft auf einen anderen Umgang mit dem Tod, der der europäischen Vorstellung allerdings sehr fremd ist. So lässt sie den Chor am Ende mit Kreide die Namen von Menschen auf ein Podest schreiben, die sie wahrscheinlich irgendwann verloren haben, deren Verlust sie allerdings akzeptiert haben.

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Amore (Silvia Frigato, vorne) hat Mitleid mit Orfeo (Nina van Essen, hinten).

Pina Bausch verzichtet in ihrer Lesart zwar ebenfalls auf das lieto fine der Oper, bleibt dabei aber dem Mythos, wie er bei Ovid überliefert ist, treu. Das ist allerdings genauso wenig Houbrechts und Tortellis Ansinnen wie die Idee, die Charaktere durch Tänzerinnen und Tänzer zu doppeln. Stattdessen treten die Tänzerinnen und Tänzer größtenteils im Ensemble auf. Tortelli findet für sie eine recht abstrakte Tanzsprache in modernem Ausdruckstanz. Bisweilen lösen sich einzelne Tänzerinnen und Tänzer aus dem Ensemble und treten mit Orfeo in eine Form von Dialog. Während diese Szenen größtenteils rätselhaft bleiben, wird ihr Einsatz im zweiten Akt klarer, wenn Orfeo in die Unterwelt hinabsteigt und auf die Furien trifft, die sich bei dem Versuch, ihn am Weitergehen zu hindern, immer wieder auf den Boden werfen. Die Bühne von Clémence Bezat ist im Teil vor der Pause recht dunkel gehalten. Ein Podest in der Mitte der Bühne dient Orfeo dazu, den Verlust seiner Euridice zu betrauern. Im Hintergrund stehen hohe quaderförmige Säulen, die ins Nichts führen. Der Chor tritt hier als nicht näher definierte Masse auf und scheint Orfeo zunächst Vorwürfe zu machen, dass er Euridice verloren hat. Im weiteren Verlauf tritt er von den beiden Bühnenseiten auf und kommentiert das Geschehen, wird aber auch teilweise mit einbezogen. Stimmlich überzeugt er durch fulminanten und homogenen Klang.

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Euridice (Meredith Wohlgemuth) in den Gefilden der Seligen

Ein beeindruckendes Bild entsteht im dritten Akt nach der Pause. Aus dem Schnürboden hängen an mehreren Stellen quaderförmige Gebilde herab, die in der Form an Efeuranken erinnern. Unter diesen Ranken steht jeweils eine Person, die von mehreren Menschen in weißen Kitteln umgeben ist. Die Ranken senken sich auf die Person herab, bis sie die Besinnung verliert. Sollen das Bilder des Freitods sein? Auch Euridice steht vor einer solchen Ranke. Doch Orfeo kann zunächst verhindern, dass sie das Schicksal der anderen Personen erleidet. Es kommt zu einer beeindruckenden Auseinandersetzung im großen Duett zwischen Orfeo und Euridice, wobei Orfeo sie durch die Ranke festhält. Dann tritt Amor als Ärztin auf, spricht einen deutschen Text, der nicht ins Stück gehört, und informiert Euridice über die Wirkung einer Spritze, die sie ihr verabreichen wird, mit dem Hinweis, dass Euridice die Entscheidung des Freitods zu jedem Zeitpunkt rückgängig machen könne. Das will Euridice aber nicht, und so verliert Orfeo sie ein weiteres Mal, weil sie nicht mehr leben will. Das geht unter die Haut, so dass der Übergang zum musikalischen glücklichen Ende szenisch nicht aufgeht.

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Orfeo (Nina van Essen, rechts) verliert Euridice (Meredith Wohlgemuth, links) ein weiteres Mal.

Musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen. Nina van Essen begeistert als Orfeo mit sattem Mezzosopran. In den Klageruf des Chors im ersten Akt fällt sie mit leuchtenden Tönen ein, die glaubhaft die Trauer des jungen Mannes vermitteln. Auch in der folgenden Arie glänzt sie durch warme und runde Höhen. Da wirkt es absolut nachvollziehbar, dass Amor einschreitet, um dem Leiden des jungen Mannes ein Ende zu bereiten. Silvia Frigato überzeugt dabei mit vollem Sopran und intensivem Spiel. Meredith Wohlgemuth verleiht der Euridice einen weichen Sopran, der im Duett mit van Essen im dritten Akt große Dramatik besitzt. Hier geht Wohlgemuths und van Essens Spiel unter die Haut. Großartig gelingt im Anschluss auch van Essens Interpretation der berühmten Arie "Che farò senza Euridice", vor allem, wenn Euridice dabei von der Bühne gezogen wird und Orfeo gebrochen zurückbleibt. Das Niedersächsische Staatsorchester Hannover setzt unter der Leitung von Benjamin Bayl die tragische Geschichte mit emotional bewegenden Klangfarben um, so dass man sich kaum auf das vermeintlich glückliche Ende einlassen möchte, zumal Euridice ja nicht wieder auftaucht, sondern Orfeo nur im Tanz der Tänzerinnen und Tänzer Trost findet. Ein wenig störend ist bei der Ouvertüre, dass Orfeo hier ebenfalls einen Text sprechen muss, der eingefügt ist. Darin fragt er das Publikum, ob es bereits gelernt habe, mit dem Verlust eines Menschen umzugehen. Das mag hochaktuell sein, beeinträchtigt jedoch ein wenig den musikalischen Genuss.

FAZIT

Es ist diskutabel, ob sich Euridices Tod in einen Suizidwunsch umdeuten lässt. Musikalisch überzeugt der Abend auf ganzer Linie.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Benjamin Bayl

Inszenierung
Lisaboa Houbrechts

Choreographie
Diego Tortelli

Bühne
Clémence Bezat

Kostüme
Anna Maria Rizza

Licht
Peter Mumford

Chor
Lorenzo Da Rio

Dramaturgie
Leira Marie Leese
Martin Mutschler



Niedersächsisches Staatsorchester
Hannover

Chor der Staatsoper Hannover

Staatsballett Hannover


Solistinnen und Solisten

Orfeo
Nina van Essen

Euridice
Meredith Wohlgemuth

Amore
Silvia Frigato

Tänzerinnen und Tänzer
Fabio Calvisi
Ana Paula Camargo
Michelangelo Chelucci
Raúl Ferreira
Rosario Guerra
Lilit Hakobyan
James Nix
Chiara Pareo
Robert Robinson
Verónica Segovia Torres
Jamal Uhlmann




Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Hannover
(Homepage)




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