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Rosinas Traum Von Thomas Molke / Fotos: © Matthias Jung
Rossinis Il barbiere di Siviglia gilt laut Philip Gossett als die älteste italienische Oper, die seit ihrer Premiere nie aus dem Opernrepertoire verschwunden ist. Zwar wurde die Uraufführung am 20. Februar 1816 im Teatro Argentina in Rom noch mit Pfiffen bedacht und führte dazu, dass Rossini sich für das Dirigat der zweiten Vorstellung krankmeldete. Doch ab da konnte das Werk das Publikum für sich gewinnen und verbreitete sich sehr schnell innerhalb und außerhalb Italiens. Bereits drei Jahre später feierte die Oper in New York große Erfolge, und in Braunschweig kam sie 1820 in deutscher Sprache heraus. Die unzähligen Produktionen führten jedoch auch zu einer Menge Bearbeitungen, die die ursprüngliche Form bisweilen stark entstellten. Am bekanntesten ist wohl die Transponierung der Partie der Rosina von einer Mezzo- in eine Sopranstimme, so dass die berühmte Kavatine "Una voce poco fa" heute vor allem bei zahlreichen namhaften Koloratursopranistinnen zum Standardrepertoire gehört. Auch bei den übersetzten Texten haben sich bis zur Einführung der Übertitel zahlreiche Abweichungen eingeschlichen, die im Original nicht so stehen. Bekanntes Beispiel ist die Sorbetto-Arie der Berta, in der sie in der deutschen Übersetzung davon träumt, Don Bartolo für sich allein zu haben. Erst Alberto Zeddas 1969 erschienene kritische Edition des Meisterwerkes führte dazu, dass man immer mehr zur ursprünglichen Fassung zurückkehrte. Auch in Hagen ist das Stück nun in Originalsprache und mit einer Mezzosopranistin in der Partie der Rosina zu erleben. Die große Schluss-Arie im zweiten Akt, "Cessa di più resistere", die Rossini für den spanischen Star-Tenor Manuel García komponiert hatte und die er später für das bekannte Schluss-Rondo der Cenerentola "Non più mesta" verwendete, ist allerdings gestrichen. Rosina (Anna-Doris Capitelli) beobachtet, wie ihr Traummann Almaviva (Anton Kuzenok, auf der Bank stehend) mit Fiorello (Dirk Achille, links) und seinem Gefolge einer anderen Frau ein Ständchen bringt. Diese Entscheidung mag in Hagen vielleicht auch deshalb getroffen worden sein, weil das Regie-Team um Sabine Hartmannshenn nicht den titelgebenden Barbier oder den Grafen Almaviva, sondern Rosina ins Zentrum rückt. Um sie entwickelt Hartmannshenn eine Art Rahmenhandlung, die dazu führt, dass die ganze Geschichte in einem märchenhaften, fantastischen Raum als ein Traum Rosinas relativ librettonah erzählt werden kann, ohne dabei die Komik der Vorlage zu verlieren. Die Geschichte beginnt in der Jetztzeit in einem modernen Häuserblock, vor dem Almaviva mit seinen Freunden einer angebeteten jungen Frau ein Ständchen bringen will. Die Auftrittskavatine "Ecco, ridente in cielo" ist dabei jedoch nicht Rosina gewidmet sondern Berta. Rosina ist Teil der Gruppe, der übrigens auch die weiteren Figuren des Stückes angehören, und beobachtet ein wenig neidisch, dass der von ihr angehimmelte Almaviva eine andere Frau anbetet. So träumt sie sich in eine Märchenwelt, in der sie das umworbene Wesen ist. Und in dieser Traumwelt sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Bühnenbildner Stefan Heinrichs schöpft hier aus dem Vollen und lässt mit Projektionen großartige Bühnenwelten entstehen. Der Bühnenhintergrund ist dabei geteilt. Auf der linken Seite befindet sich eine Spiegelwand mit mehreren Türen, auf der rechten Seite eine riesige Projektionsfläche, deren Bilder symmetrisch auf den Spiegeln reflektieren. Rosina (Anna-Doris Capitelli, rechts) träumt sich in eine Märchenwelt (von links: Berta (Sophia Leimbach), Don Basilio (Dong-Won-Seo) Bartolo (Tiziano Bracci), Figaro (Yevheniy Kapitula) und Almaviva (Anton Kuzenok)). Inspirieren lässt sich Heinrichs dabei von zahlreichen Disney- und Fantasy-Filmen. So erkennt man zunächst das dem Schloss Neuschwanstein nachempfundene Disney-Schloss, das in eine zuckersüße, mit pinkfarbigen kitschigen Rosen ausstaffierte Traumwelt entführt. Rosina verwandelt sich von einem modernen Mädchen in eine Art Manga-Prinzessin in rosafarbenem Kostüm mit pinkfarbenen Haaren. Doch schnell erkennt sie, dass in diesem Traumschloss nicht alles so wunderbar ist, wie sie es sich vorgestellt hat. So verändert sich die Hintergrundprojektion und entwickelt sich zu einer Art Gefängnis. Auch die übrigen Figuren machen einen Wandel durch. Während Bartolo als Rosinas Vormund zunächst als König mit gewaltiger Robe noch recht freundlich wirkt, zeigt er bald sein wahres Gesicht. So trägt er kurz darauf einen langen grünen Drachenschwanz unter seiner Robe und auch seine Hände verändern sich zu gefährlichen Krallen. Berta scheint hier nicht das Dienstmädchen zu sein, sondern eine Art Königin, die Rosina drangsaliert, weil sie ihr die Aufmerksamkeit der Männer geraubt hat. Im weiteren Verlauf mutiert sie zu der Oktopus-Dame Ursula aus Disneys Arielle, wobei ihr Gesicht die Züge einer bösen Hexe annimmt. Basilio verwandelt sich in einen Mistkäfer, der seinen missgünstigen Charakter unterstreicht. Susana Mendoza hat für diese Metamorphosen großartige fantasievolle Kostüme entworfen, so dass die ganze Inszenierung schon allein optisch eine reine Augenweide ist. Auch musikalisch überzeugt der Abend auf ganzer Linie. Rodrigo Tomillo taucht mit dem Philharmonischen Orchester Hagen beherzt in Rossinis temporeiche Partitur ein und findet eine wunderbare Balance zu den Akteurinnen und Akteuren auf der Bühne. Die berühmte Ouvertüre, die Rossini übrigens nicht für den Barbiere komponiert hat sondern in dieser Oper bereits zum dritten Mal verwendet, kann man fast vollständig ohne Bühnenhandlung genießen. Erst zum Ende hin hebt sich der Vorhang und gibt den Blick auf den modernen Häuserblock frei, vor dem sich der von Julian Wolf gut einstudierte Herrenchor des Theaters Hagen versammelt, um gemeinsam mit Almaviva ein Ständchen zu bringen. Anton Kuzenok punktet als Almaviva direkt in der Auftrittskavatine mit beweglicher und sauberer Stimmführung. Yevheniy Kapitula, der als Gast die Titelpartie interpretiert, erinnert optisch ein wenig an den Hutmacher aus Alice im Wunderland. Mit kräftigem Bariton präsentiert er seine große Auftrittsarie "Largo al factotum" und punktet dabei mit spielerischen Läufen. Auch das Duett zwischen Kuzenok und Kapitula, "All'idea di quel metallo", bei dem sich Figaro gegen hohe Belohnung von Almaviva überreden lässt, ihn bei der Werbung um Rosina zu unterstützen, wird mit viel Humor umgesetzt. So schleppt Almaviva immer größere Goldsäcke auf die Bühne, um Figaro zu belohnen. Rosina (Anna-Doris Capitelli) zwischen Bartolo (Tiziano Bracci, links) und Almaviva (Anton Kuzenok) Tiziano Bracci punktet als Bartolo ebenfalls mit großartiger Buffo-Komik. Seine große Arie "A un dottor della mia sorte" gestaltet er mit profunden Tiefen und enormer Autorität. Irrwitzige Komik versprüht er dann nach der Pause, wenn sich Almaviva als vermeintlicher Musiklehrer Don Alonso bei ihm einschleicht, um Rosina Gesangsunterricht zu geben. Während Bartolo im Libretto eigentlich bei dem Vortrag der Arie aus der "unnützen Vorsicht" einschläft, erhält er hier eine VR-Brille und taucht in imaginäre Welten ein, so dass er nicht merkt, wie Almaviva und Rosina sich währenddessen näher kommen. Ensemble-Mitglied Dong-Won Seo gibt den Musiklehrer Don Basilio wunderbar intrigant und stattet ihn mit dunklem Bass aus. Ein musikalischer Höhepunkt ist seine berühmte Arie "La calunnia è un venticello", in der Seo aus dem lauen Lüftchen der Verleumdung einen großen Orkan entstehen lässt. Heinrichs findet in den Projektionen dazu großartige Bilder von zahlreichen Flaschen, die im Regal mit diversen Chemikalien gefüllt sind und schließlich eine gewaltige Explosion verursachen. Auch Seo verfügt über wunderbare Komik, die sich vor allem im großen Quintett äußert, wenn er im zweiten Akt unerwartet bei Bartolo auftaucht und von allen aus dem Haus befördert wird. Hier sorgt Seo mit seiner unerwarteten Rückkehr, nachdem die Nummer eigentlich schon zu Ende scheint und er plötzlich erneut mit "Buona sera" in der Tür steht, für großartige Komik. Figaro (Yevheniy Kapitula, unten links) drängt zur Eile, doch will Rosina (Anna-Doris Capitelli) Almaviva (Anton Kuzenok, rechts) wirklich heiraten? Anna-Doris Capitelli punktet mit einem satten Mezzosopran, der in den Koloraturen durch große Flexibilität überzeugt und in den Höhen glänzen kann. Während die berühmte Auftrittskavatine "Una voce poco fa" bei einer Sopranistin eher einen Wechsel von einem träumerisch verliebten Mädchen zu einem zickigen kleinen Biest vollzieht, gewinnt die Nummer bei einer Mezzosopranstimme eine gewisse Abgeklärtheit und zeichnet Rosina als eine junge Frau, die es versteht, sich gegen ihren Vormund Bartolo zur Wehr zu setzen. Überhaupt gelingt es Hartmannshenn mit einer geschickten Personenregie deutlich zu machen, wie Rosina im Verlauf des Stückes erkennt, dass der von ihr angehimmelte Almaviva nicht der Traumprinz ist, für den sie ihn hält. Spätestens bei der Gewittermusik im zweiten Akt zeigt sich Capitelli nicht mehr überzeugt, dass sie diesen Mann wirklich heiraten will. So steigt sie ganz am Ende auch aus dem Traum aus. Ein Gaze-Vorhang senkt sich zwischen Rosina und den übrigen Figuren während des Finales. Rosina verwandelt sich zurück in das moderne Mädchen, legt ihre Perücke ab und zerreißt die Hochzeitsurkunde. Sophia Leimbach, deren Figur der Berta in Hartmannshenns Lesart inhaltlich eine Aufwertung erfährt, rundet das Ensemble mit großem Spielwitz ab, so dass es für alle Beteiligten verdienten Applaus gibt.
FAZIT Mit der Konzentration auf die Figur der Rosina gelingt dem Regie-Team um Sabine Hartmannshenn der Spagat zwischen einer Modernisierung des Stückes und dem Erhalt der Komik der Vorlage. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht Chor Dramaturgie
Herrenchor des Theaters Hagen Statisterie des Theaters Hagen Philharmonisches Orchester Hagen Solistinnen und Solisten*rezensierte Aufführung Graf Almaviva Bartolo, Doktor der Medizin Rosina, sein Mündel Figaro, Barbier Basilio, Musiklehrer Berta, Haushälterin Bartolos Fiorello, Diener des Grafen Offizier
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