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Fatales Schicksal einer Frau Von Thomas Molke / Fotos: © Jörg Landsberg
Dmitri Schostakowitsch verbindet man eher mit großen Sinfonien als mit Opern. Dass allerdings seine zweite Oper Lady Macbeth von Mzensk (Леди Макбет Мценского уезда), die eine bedeutende Stellung in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts einnimmt, bereits die letzte Oper war, die er komponierte, war anderen Umständen geschuldet. Eigentlich sollte das Werk der Auftakt einer Trilogie über die Befreiung der Frau in der nachrevolutionären russischen Gesellschaft sein. Doch nach einer umjubelten Uraufführung am 22. Januar 1934 im Malij-Theater in Leningrad, der bereits zwei Tage später eine erfolgreiche Aufführung in Moskau unter dem Titel Katerina Ismailowa folgte, wurde das Stück bereits zwei Jahre später nach einem Besuch Stalins und einem tags darauf in der Prawda veröffentlichten Verriss der Oper von allen Bühnen in der Sowjetunion verbannt. Erst 1958 entschloss sich Schostakowitsch zu einer Überarbeitung, die am 8. Januar 1963 in Moskau erneut unter dem Titel Katerina Ismailowa herauskam und die drastischen Anspielungen und Frivolitäten der Urfassung weiter entschärfte. Lange Zeit galt diese Fassung vor allem in der Sowjetunion als die offiziell gültige Version. Mittlerweile kehrt man aber meistens zu der Urfassung von 1932 zurück, die bereits für die Uraufführung 1934 entschärft worden war, da man der Meinung ist, dass diese die Intention des Komponisten ohne Eingriffe der Zensur am besten wiedergebe. Auch das Theater Hagen hat nun diese Urfassung mit einem hochkarätigen Ensemble auf den Spielplan gestellt. Boris (Insu Hwang, vorne rechts) lässt Sergej (Roman Payer, an der Drehscheibe) auspeitschen (links: Robin Grunwald als der Schäbige, rechts: Chor). Mit Shakespeares Drama Macbeth hat die erzählte Geschichte gar nichts zu tun. Nicht einmal im übertragenen Sinn lassen sich Parallelen zwischen Katerina Ismailowa und der schottischen Lady ziehen. Dass sie trotzdem namentlich miteinander verglichen werden, ist der gleichnamigen Erzählung von Nikolaj Leskow aus dem Jahr 1865 geschuldet, die auf einer wahren Begebenheit beruhen soll. Katerina Ismailowa ist unglücklich mit dem Kaufmann Sinowi Ismailow verheiratet und wird von ihrem Schwiegervater Boris Ismailow tyrannisiert. In ihrer Verzweiflung beginnt sie ein Verhältnis mit dem Arbeiter und Frauenhelden Sergej. Als Boris die Affäre entdeckt, lässt er Sergej vor den Arbeitern auspeitschen. Katerina vergiftet ihren Schwiegervater mit einem Pilzgericht. Anschließend tötet sie mit Sergej ihren Gatten Sinowi und versteckt dessen Leiche im Keller. Als sie die Hochzeit mit Sergej plant, wird von einem betrunkenen Gast Sinowis Leiche entdeckt. Katerina und Sergej werden verhaftet und sollen in ein Straflager nach Sibirien gebracht werden. Auf dem Weg dorthin wendet sich Sergej der Gefangenen Sonjetka zu. Diese verlangt als Gegenleistung für ihre Liebe Katerinas Wollstrümpfe. Als Katerina durchschaut, dass Sergej die Wollstrümpfe für Sonjetka haben will, stößt sie die Rivalin in einen See und ertränkt sich anschließend selbst. Katerina (Viktorija Kaminskaite) "trauert" um ihren toten Schwiegervater (Insu Hwang, auf dem Boden liegend) (rechts: Dong-Won Seo als Pope mit dem Chor). Der größte Unterschied zu Leskows Erzählung besteht darin, dass Schostakowitsch für seine Protagonistin trotz der Gräueltaten, die sie mit ihrem Geliebten Sergej verübt, musikalisch eine große Sympathie empfindet und versucht, ihr Handeln nachvollziehbar zu machen. Auch die satirische und karikierende Darstellung der Polizei und der Kirche findet man bei Leskow nicht. Das alles mag wohl Stalin so sehr verärgert haben, dass sein Staatsapparat umgehend für die Absetzung des Werkes sorgte. Den in der Satire verorteten Kunstcharakter des Stückes will das Regie-Team um den Intendanten des Hauses, Francis Hüsers, betonen, indem Hüsers die Handlung nicht realistisch verortet, sondern drei prinzipiell verschiedene Welten konzipieret, in denen das Geschehen spielt. In den ersten vier Bildern dominiert Boris' Welt. Hüsers siedelt die Geschichte hier in einem Varieté-Theater im Stalinismus der 1930er Jahre an. Bühnen- und Kostümbildner Mathis Neidhardt hat dafür auf der Drehbühne eine Theaterbühne entworfen, über der ein Porträt von Stalin hängt. Eine Drehscheibe steht auf der Bühne, die normalerweise im Zirkus für Artistiknummern genutzt wird. Boris ist der Direktor dieses Varietés. Katerina tritt hier zunächst in einem mondänen schwarzen Kleid auf, das sie wie eine Kleinkunst-Diva erscheinen lässt. Die Arbeiterinnen und Arbeiter sind mal Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und fungieren mal als Publikum für die Darbietungen. Katerina (Viktorija Kaminskaite) und Sergej (Roman Payer, rechts) werden von Sinowi (Anton Kuzenok, links) überrascht. Schlüssig ist dieser Ansatz eigentlich nicht. Wenn die Köchin Axinja von Sergej und den Arbeitern sexuell bedrängt wird, wird sie an die Drehscheibe gebunden, während Sergej andeutet, ein Messer auf sie zu werfen und andere Arbeiter jeweils ein Messer in die Drehscheibe rammen. In gewisser Weise wird die gewaltsame Szene damit als Show-Akt verharmlost. Auch wenn Sergej später von Boris ausgepeitscht wird, wird er an diese Drehscheibe gestellt. Ein als Clown verkleideter Arbeiter klatscht mit jedem Peitschenhieb zwei verbundene Hölzer aneinander, während Boris mit einer imaginären Peitsche zuschlägt. Auch hierbei wird die Brutalität gewissermaßen abgeschwächt. Verwirrend wird der Übergang zur zweiten Welt im fünften Bild nach der Pause. Die Varietébühne ist nun der grauen Wand eines Mietshauses gewichen, hinter der man auf der rechten Seite ein Schlafzimmer in einem kleinen Apartment sieht, in dem Katerina ihre Zweisamkeit mit Sergej genießt, bevor ihr Gatte Sinowi auftaucht, nachdem er zunächst pflichtbewusst, wie es sich für einen guten Mieter gehört, den Mülleimer von der Straße wieder in den Hausflur gestellt hat. Wenn es dann zum Polizeirevier im siebten Bild geht, überlappen diese beiden Welten. Die Häuserfront bleibt stehen, und nur das Apartment wird nach hinten geschoben und schafft Platz für die Varieté-Bühne, auf der die Polizei in Lack und Leder lasziv bedauert, nicht zur Hochzeitsfeier von Katerina eingeladen worden zu sein. Wieso der Lehrer, der sich hier mit dem Polizeichef vergnügt, in Katerinas schwarzem Diva-Kleid vom Anfang auftritt, bleibt ebenfalls unklar. Katerina (Viktorija Kaminskaite, vorne) muss erkennen, dass Sergej (Roman Payer, hinten) sich Sonjetka (Wioletta Hebrowska, hinten) zugewandt hat. Zu Beginn des neunten Bildes ziehen dann alle orangefarbene Overalls an und bewegen sich mit blauen Mülltüten, in denen sie wie entwurzelte Seelen der Gesellschaft ihr Hab und Gut gesammelt haben, über die Bühne. Von den bisherigen Bühnenbildern sieht man nur schwarze, schäbige Rückwände. An dieser Rückwand verführt Sergej Sonjetka, nachdem er Katerina die Wollstrümpfe abgeschwatzt hat. Der See, in den Katerina und Sonjetka am Ende stürzen, besteht aus blauen Müllsäcken, auf denen sie genauso ringen, wie Katerina im ersten Teil mit Sergej gekämpft hat, zunächst um Axinja zu schützen und schließlich in ihrem Schlafzimmer, um ihre Unschuld zu bewahren. Wieso bei diesem Kampf sowohl Sonjetka als auch Katerina unterliegen und am Ende leblos auf den Säcken liegen, bleibt unklar. Ein Teil des Publikums scheint Hüsers' Lesart der Geschichte nicht folgen zu wollen oder zu können. So gibt es für das Regie-Team am Ende einige heftige Unmutsbekundungen. Anders sieht es mit der musikalischen Gestaltung des Abends aus. Joseph Trafton arbeitet mit dem Philharmonischen Orchester Hagen sehr differenziert und plastisch heraus, wo die Stärken in Schostakowitschs Musik liegen, nämlich in den grandiosen symphonischen Zwischenspielen. Hier merkt man, wieso Schostakowitsch als Komponist für Filmmusik so gefragt war. Die große Liebesszene zwischen Katerina und Sergej im dritten Bild ist von derart eruptiver Kraft und zeigt vor dem geistigen Auge genau, was in Katerinas Schlafzimmer hier passiert. Da verwundert es nicht, dass es Teile des damaligen Publikums mehr als schockiert hat und Schostakowitsch in seinen Revisionen immer mehr davon zurückgenommen hat. In der Urfassung hört man aber genau, wie die Übergriffigkeit Sergejs von einem Kampf in ein hemmungsloses Liebesspiel übergeht. Auch die physische Gewalt bei den Mordsequenzen oder dem Auspeitschen Sergejs ist so grell gezeichnet, dass man eigentlich keine Bebilderung benötigt. Man hört im Orchesterspiel, wie das Rattengift in Boris' Körper seine Wirkung tut, und spürt bei jedem Peitschenhieb Sergejs Schmerz. Die Anklänge an Richard Strauss in Walzer-Musik und sentimental anmutenden Romanzen unterstreichen den satirischen Charakter des Stückes. Auf dem Weg ins Gefangenenlager ist die Ausweglosigkeit und Leere spürbar. Für all das findet Trafton mit dem Philharmonischen Orchester Hagen genau den richtigen Tonfall, so dass er zu Recht mit großem Jubel und stehenden Ovationen gefeiert wird. Auch die Solistinnen und Solisten, die mit insgesamt drei Gästen in diesem großen Ensemble-Stück auskommen, lassen keine Wünsche offen. Viktorija Kaminskaite begeistert in der Titelpartie mit großem, dramatischem Sopran und erweckt darstellerisch Sympathie mit dieser Frau, die in ihrer ausweglosen Situation nur ihr Glück sucht. Intensiv gestaltet sie ihre drei großen Monologe zu Beginn der Oper, dann in der Nacht, bevor Sergej zum ersten Mal zu ihr kommt, und am Ende, wenn sie sich auf dem Weg ins Arbeitslager befindet und erkennen muss, dass sie Sergej an Sonjetka verloren hat. Dazwischen begeistert sie mit kraftvollen Höhen, die unterstreichen, dass sie eine absolute Kämpferin ist. Roman Payer stattet den Sergej mit einem dunkel gefärbten Tenor aus und stellt den recht brutalen, auf seinen eigenen Vorteil und sexuellen Spaß bedachten Mann glaubhaft dar. Schon nach der Pause erkennt man, wie ihm die gefühlsbetonte Katerina allmählich lästig wird. Zwar lässt er sich noch zum Mord an ihrem Gatten und zur anschließenden Hochzeit hinreißen, weil Katerina ja zumindest finanziell eine gute Partie ist, aber auf dem Weg ins Straflager nach Sibirien ist ihm klar, dass sie ihm nun nicht mehr von Nutzen sein kann, und so wendet er sich Sonjetka zu. Wioletta Hebrowska punktet als Sonjetka mit dunklem Mezzosopran und laszivem Spiel. Ensemble-Mitglied Insu Hwang begeistert als durch und durch boshafter Boris Ismailow mit dunkel gefärbtem Bariton und intensiver Mimik, die die Kälte und Brutalität des Kaufmanns hervorhebt. Anton Kuzenok stellt als sein Sohn Sinowi mit recht hell gefärbtem Tenor einen absoluten Gegensatz dar, der klar macht, dass dieser Sohn nie in die beruflichen Fußstapfen seines Vaters treten kann, was den Alten noch wütender macht. Dong-Won Seo gestaltet den Popen mit dunklem Bass und komödiantischem Spiel, so dass man ihn als Würdenträger genauso wenig ernst nehmen kann wie Kenneth Mattice als Polizeichef, der in knappem Outfit seine Muskeln spielen lässt. Auch die übrigen kleineren Partien sind größtenteils mit Mitgliedern des Chors hervorragend besetzt. Der von Julian Wolf einstudierte und mit Gästen und dem Extrachor erweiterte Chor begeistert ebenfalls stimmlich und darstellerisch auf ganzer Linie, so dass es auch für die Gesangsleistungen großen und verdienten Applaus gibt.
FAZIT Musikalisch ist dieses Stück zwar vielleicht anstrengend, aber sehr gut umgesetzt. Szenisch erschließt sich leider nicht alles, was auf der Bühne passiert. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Choreographie
Licht Chor Dramaturgie
Chor des Theaters Hagen und Gäste Extrachor des Theaters Hagen Philharmonisches Orchester Hagen Solistinnen und Solisten*Premierenbesetzung Katerina Ismailowa Boris Ismailow / Alter
Zwangsarbeiter Sergej Sinowi Ismailow Der Schäbige Sonjetka Pope / Wächter Polizeichef Axinja 1
Axinja 2
Lehrer
Verwalter / Sergeant
Hausknecht
Drei Vorarbeiter Mühlenarbeiter / Bote
Kutscher Polizist
Betrunkener Gast Zwangsarbeiterin
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