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Antiker Mythos in ausdrucksstarken Bildern Von Thomas Molke / Fotos: © Leszek Januszewski
Nachdem der neue Chefchoreograph der Tanzsparte am Theater Hagen, Francesco Nappa, zu Beginn der Spielzeit unter dem Titel Re-Creations in drei recht abstrakten Choreographien verschiedene Tanzstile des modernen Ausdruckstanzes auf die Bühne gebracht hat (siehe auch unsere Rezension), widmet er sich im zweiten großen Tanzabend einem Klassiker der griechischen Antike, der die europäische Literatur nachhaltig geprägt hat: Odyssee. In insgesamt 24 Gesängen hat der griechische Dichter Homer im 8. oder 7. Jahrhundert vor Christus von den Irrfahrten des Helden aus Ithaka berichtet, die ihn nach 10 Jahren Trojanischem Krieg weitere 10 Jahre von seiner Heimat und seiner Gattin Penelope fernhielten, und dabei immer wieder auch den Blick auf die standhafte Penelope, die in dieser Zeit das Reich und sich selbst gegen aufdringliche Freier verteidigen musste. Natürlich kann man diese komplexe Geschichte nicht an einem Abend vertanzen. Deswegen wählt Nappa einzelne Episoden aus und transformiert die Gefühle der Figuren in modernen Ausdruckstanz. Unterstützt wird er dabei vom Philharmonischen Orchester Hagen unter der Leitung von Rodrigo Tomillo, was ein weiteres Plus der Aufführung ist und das Live-Erlebnis auch musikalisch unterstreicht. Ulysse (Matteo Castelletta, vorne) und seine Gefährten (von links: Yu-Hsuan (Mia) Hsu, Maria Syrach Baró und Evan Inguanez) auf der Reise Musikalisch bildet die Sinfonie Nr. 1 Oceans für Violoncello und Orchester von Ezio Bosso einen zentralen Part im ersten Teil des Abends, der Odysseus, den Nappa wie im Französischen Ulysse (nach dem Lateinischen Ulixes) nennt, bis zur Zauberin Kirke führt. Nach der Pause hat er dann mit Benjamin Brittens "Four Sea Interludes" aus der Oper Peter Grimes einen sehr plastischen Ausdruck für den Sturm gefunden, in den Ulysse mit seinen Gefährten gerät und der ihn anschließend zurück nach Ithaka bringt. Die dazwischen liegenden Episoden bei der Nymphe Kalypso und der Königstochter Nausikaa, der er von seinen Reisen berichtet, werden gestrichen. Für Penelope wird am Anfang das Trisagion für Streichorchester von Arvo Pärt verwendet. Dabei wartet sie verzweifelt auf die Rückkehr ihres Gatten. Wenn die beiden am Ende wieder vereint sind, geht es musikalisch mit Gabriel Faurés Élégie für Violoncello und Orchester ins Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Das alles begleitet das Philharmonische Orchester Hagen unter der Leitung von Rodrigo Tomillo mit fließenden Übergängen und sehr expressiv, so dass alles wie aus einem Guss wirkt. In Fäden verstrickt: Penelope (Hannah Law) Der Abend beginnt mit Penelope und den Freiern. Wenn sich der Vorhang hebt, sieht man eine dunkle Bühne, auf der sich Penelope (Hannah Law) in mehreren roten Fäden verfangen hat, die aus dem Schnürboden herabhängen. Wenn man die Einführung durch die Dramaturgin Waltraud Körver nicht gehört oder das Programmheft nicht gelesen hat, könnte man die Fäden auch mit Penelope am Webstuhl assoziieren. Schließlich hält sie bei Homer die Freier damit hin, dass sie erst das Leichentuch für Odysseus' verstorbenen Vater Laertes weben müsse, bevor sie einen von ihnen als Gatten wählen und damit zum neuen König über Ithaka machen könne. Bekanntlich wird sie mit dieser Arbeit ja nicht fertig, da sie des Nachts den gewebten Stoff immer wieder löst. Darin "verheddert" sie sich jedoch, als dieser Betrug von den Freiern entdeckt wird. Laut Programmheft und Einführung sollen die roten Fäden allerdings für das Schicksal stehen. Nach einer alten chinesischen Legende (Akai Ito) verbinden die Götter die Fußknöchel - in der japanischen Kultur die kleinen Finger - von Menschen, wenn sie dazu bestimmt sind, einander zu begegnen und sich zu lieben. Dieser Ansatz wird eigentlich erst viel später im Abend aufgegriffen, wenn Penelope mit roten Fäden auftritt und Ulysse aus der Hand der Sirenen befreit. Am Anfang erschließt sich das noch nicht. Bei Nappa sind es mit Evan Inguanez und Stefano Milione zunächst nur zwei Freier, die Penelope bedrängen. Aber schließlich wird der ganze Tanzabend ja auch nur von zehn Tänzerinnen und Tänzern bestritten. Ulysse (Matteo Castelletta, rechts) im Kampf mit Polyphem (Antoine Luc Koutchouk Charbonneau, links) Das zweite Bild führt dann aufs Meer. Hier sieht man Ulysse (Matteo Castelletta) mit seinen Gefährten auf einem Schiff über die Bühne fahren. In einer beeindruckenden Videoprojektion von Gilles Papain hat man tatsächlich den Eindruck, dass das Schiff über das wogende Meer gleitet. Bossos Sinfonie klingt wie eine gelungene musikalische Untermalung eines Films. Die Reise führt zur Höhle des Zyklopen Polyphem (Antoine Luc Koutchouk Charbonneau), für den Kostümbildnerin Tanja Liebermann mit einer großen Keule ein bedrohliches Äußeres entworfen hat. Weiße Tücher hängen aus dem Schnürboden herab, die wohl die Decken der Höhle andeuten, in der Ulysse mit seinen Gefährten gefangen ist. Die elektronische Musik für diesen Teil hat Nappa selbst entworfen. Sie klingt absolut bedrohlich und untermalt den Kampf zwischen Ulysse und Polyphem, aus dem Ulysse am Ende siegreich hervorgeht, ebenfalls sehr cineastisch. Gearbeitet wird hier mit eindrucksvollen Lichteinspielungen, für die Martin Gehrke und Nappa verantwortlich zeichnen, und weiteren Videoprojektionen von Papain. Auch für die Zauberin Kirke (Yu-Hsuan (Mia) Hsu) hat Liebermann ein tolles Outfit entworfen, das die Figur einerseits faszinierend, andererseits aber auch bedrohlich zeigt. Wie Schatten bewegen sich Ulysses Gefährten als verwandelte Tiere mit weißen unheimlichen Masken über die Bühne, während Hsu als Kirke Castelletta als Ulysse zu "bezirzen" versucht. Dabei schwebt sie auch über die Bühne, was ihre Zauberkraft betont. Nach der Pause geht es dann zu den Sirenen, die Ulysse und seine Gefährten weniger durch ihren Gesang als vielmehr durch ihren Tanz und ihr wunderbares Aussehen betören. Auf dem Boden befindet sich ein riesiges Netz. Das Schiff, das von der Seite auf die Bühne fährt, scheint zu stranden, und die drei Sirenen (Yu-Hsuan (Mia) Hsu, Maria Sayrach Baró und Carolina Verra) wähnen neue Beute. Um sich dem Zauber zu entziehen, verstopft Ulysse nicht wie in der Odyssee den Gefährten die Ohren und lässt sich an einen Mast festbinden, sondern verbindet allen die Augen, um die reizenden Geschöpfe nicht zu sehen. Doch die Sirenen rauben den Gefährten die Augenbinden und ziehen sie in ihr Netz. Auch Ulysse haben sie bereits in ihren Fängen, als Penelope von der Seite mit den roten Schicksalsfäden erscheint und Ulysse befreit. So geht er erneut mit den Gefährten auf hohe See, bis ein weiterer Sturm Ulysse alle Gefährten verlieren lässt. Hier wird ein großes weißes Gebilde auf der Bühne aufgebaut, das wohl das Meer darstellen soll und wie eine dicke Turnmatte wirkt. Vor einer eindrucksvollen dunklen Projektion springen Ulysse und seine Gefährten zu den Klängen von Brittens Musik immer wieder auf diese Matte und kämpfen gewissermaßen mit den Wogen des Sturms. Am Ende wird Ulysse auf den vorderen Teil der Bühne geworfen und kehrt allein nach Ithaka zurück. Wieder vereint: Ulysse (Matteo Castelletta) und Penelope (Hannah Law) Nun wird die Bühne von dunklen roten Fäden dominiert. Auf der linken Seite bilden die Fäden eine Form, die mit etwas Fantasie an das Leichentuch erinnert, das Penelope für Ulysses Vater gewebt hat. Dahinter oder darin befindet sich Penelope wie eine Gefangene. Auf der rechten Seite sieht man einen roten Faden, der den Bogen des Ulysse darstellt, den die Freier zu spannen versuchen, um Penelope für sich zu gewinnen. Nun treten alle acht übrigen Tänzerinnen und Tänzer als Freier auf, die sich redlich an diesem Bogen abmühen. Schließlich gelingt es Ulysse, den Bogen zu spannen. Es kommt zum finalen Kampf mit den Freiern, die Castelletta mit eindrucksvollen Bewegungen zur expressiven Musik von Britten schließlich besiegt. Für die anschließende glückliche Vereinigung mit Penelope findet Nappa dann zu Faurés Musik wunderbar poetische Bilder. Law und Castelletta tanzen dazu ein bewegendes Pas de deux, das mit einer betörenden Lichtregie untermalt wird. Yan Vaigot begeistert mit einem eindringlichen Solo am Violoncello, so dass es für alle Beteiligten tosenden Applaus am Ende der Vorstellung gibt.
FAZIT Was Francesco Nappa mit nur 10 Tänzerinnen und Tänzern auf die Bühne stellt, ist großartig und unterstreicht die Bedeutung der Tanzsparte in Hagen. Das Live-Orchester begleitet den Abend hervorragend und lässt die Produktion zu einem ganz großen Tanzabend werden. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Konzept
Choreographie und Bühne Video
Licht
Kostüme
Dramaturgie
Philharmonisches Orchester Hagen
Solo-Cello Tänzerinnen und Tänzer Ulisse
Penelope Kirke Die Freier Polyphem
Sirenen Ulisses Gefährten
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