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Böses mit Gutem bekämpfen
Von Thomas Molke /
Fotos: © Clemens Heidrich
Bei deutscher Märchenoper denkt man in der Regel zunächst an Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel, ein Werk, das auch heute noch - zumeist in der Vorweihnachtszeit - häufig auf den Spielplänen der Opernhäuser steht. Dass Humperdinck auch andere Werke, die die Gebrüder Grimm in ihrer erstmalig 1812 herausgegebenen Sammlung der Kinder- und Hausmärchen zusammengetragen haben, vertont hat, ist heute ziemlich in Vergessenheit geraten. Während bei dem Liederspiel Schneewittchen und dem Märchenspiel Die sieben Geißlein wie bei Hänsel und Gretel das Libretto von Adelheid Wette stammt und die beiden Werke eher mit den Vorstufen zu Hänsel und Gretel verglichen werden können, schuf er mit Dornröschen eine Märchenoper in drei Akten, die es im Umfang durchaus mit Hänsel und Gretel aufnehmen kann, und nutzte als Libretto eine Fassung der Schriftstellerinnen Elisabeth Ebeling und Bertha Lehmann-Filhés. Das Theater für Niedersachsen stellt diese Rarität nun drei Jahre nach dem 100. Todesjahr von Humperdinck auf den Spielplan. Eklat bei der Taufe: Daemonia (Sofia Pavone, Mitte) verflucht Röschen (auf der linken Seite: Armgart (Katharina Schutza) und Ringold (Eddie Mofokeng) mit Rosa (Sophia Revilla), auf der rechten Seite: Tellermeister (Felix Mischitz), im Hintergrund: die übrigen Feen). Einiges ist anders als in den Versionen, die man von den Gebrüdern Grimm, Charles Perrault oder der legendären Disney-Verfilmung kennt. Zum einen erhalten alle Figuren einen Namen. Röschen ist eigentlich einem Prinzen der Strahleninseln als Braut versprochen und hat auch bereits eingewilligt, ihn zu heiraten, wenn das Unglück geschieht und der ganze Hof in einen 100-jährigen Schlaf fällt. Der Prinz, Reinhold, der sie schließlich aus diesem Schlaf befreit, ist ein Nachfahre des Prinzen, dem Röschen ursprünglich versprochen war und wird so auf das junge Mädchen aufmerksam, das er suchen und retten will. Dafür muss er die Verlobungsringe von damals finden, die Daemonia, die böse Fee, an einem sicheren Ort versteckt hat. Dass er auf dem Weg nicht wie zahlreiche Prinzen vor ihm zu Tode kommt, ist Daemonia selbst zu verdanken, die sich in Reinhold verliebt hat und ihn für sich gewinnen will. Als er sie, nachdem er die Ringe gefunden hat, zurückweist, kommt es zum Kampf zwischen den beiden. Reinhold besiegt sie mit Güte, da man, wie er erklärt, Böses nie mit Bösem bekämpfen könne, und befreit so Röschen und den ganzen Königshof aus dem Tiefschlaf. Röschen (Sonja Isabel Reuter, rechts) ist völlig ahnungslos, als sie kurz vor ihrem Geburtstag auf Daemonia (Sofia Pavone, links) trifft. Anders als Hänsel und Gretel ist Humperdincks Dornröschen nicht durchkomponiert, sondern enthält zahlreiche Dialoge, für die die Regisseurin Catharina von Bülow teilweise eine neue Textfassung erstellt hat. Um zu unterstreichen, dass zwischen Röschen und ihrem Prinzen Reinhold eigentlich 100 Jahre liegen, in denen sich eine Welt verändert, hat sie für den Königshof die poetische Sprache der Vorlage beibehalten und lässt Reinhold in Prosa reden. Das wäre eigentlich gut nachvollziehbar gewesen. Wieso sie aber entscheidet, die Darstellerinnen und Darsteller diese Passagen nicht selbst sprechen zu lassen, sondern von "Stimmen" über Lautsprecher einzuspielen, während die Darstellerinnen und Darsteller sich dazu nur expressiv bewegen, erschließt sich nicht. Von Bülow spricht von "Tableaux vivants", die sie damit erzeugen wolle, um die innere Haltung der Figuren sichtbarer zu machen. Das funktioniert jedoch nur bedingt. Da die Darstellerinnen und Darsteller teilweise noch nicht einmal die Lippen bewegen, wenn sie sprechen, ist es zum einen manchmal schwer nachzuvollziehen, wer jetzt eigentlich spricht. Zum anderen ist das expressive Spiel des Ensembles so deutlich und aussagestark, dass die Darstellerinnen und Darsteller den Effekt noch eher verstärkt hätten, wenn sie selbst "live" auf der Bühne gesprochen hätten. Prinz Reinhold (Julian Rohde) stellt sich auf der Suche nach Röschen dem Kampf mit Daemonia (Sofia Pavone). Außerdem ist die Musik Humperdincks nicht so abendfüllend, wie es im Programmheft angekündigt wird, so dass es nicht verwundert, dass dieses Werk nicht die gleiche Popularität wie Hänsel und Gretel besitzt. Dabei sind gerade die orchestralen Passagen wie das Vorspiel von unglaublicher Schönheit und könnten gut als Untermalung für einen Film dienen. Achim Falkenhausen arbeitet mit der TfN-Philharmonie die teils leitmotivisch angelegten Melodien wunderbar heraus und lässt eine Klangsprache entstehen, die auch für jüngere Besucherinnen und Besucher ansprechend sein dürfte. So darf man diesem Stück vielleicht eine größere Eignung für Kinder bescheinigen, als das vielleicht bei Hänsel und Gretel der Fall ist. Doch für die Figuren des Stückes bietet die Musik Humperdincks nicht allzu viel, so dass das Ensemble eigentlich nur das Spiel zur Verfügung hat. Und wenn dann noch der eigene Sprechtext vom Band eingespielt wird, ist das schade. Happy End für Reinhold (Julian Rohde) und Röschen (Sonja Isabel Reuter) Doch die märchenhaften Momente des Abends trösten über diese Schwächen hinweg. Moni Gora hat für die Figuren des Stückes großartige, farbenfrohe Kostüme entworfen, die eine reine Augenweide sind und das Publikum tief in die Märchenwelt eintauchen lassen. Dabei begeistert die Detailverliebtheit vor allem bei den zwölf Feen, die optisch sehr individualisiert und passend gezeichnet werden. Dass drei Feen dabei von Männern dargestellt werden, führt nur dann zum leichten Bruch, wenn ihre Textpassagen von den weiblichen Feen gesungen werden. Das Bühnenbild, für das ebenfalls Gora verantwortlich zeichnet, ist im Gegenzug eher abstrakt gehalten. Der Königshof wirkt in den großen goldenen Rahmen fast wie ein Gemälde aus einer anderen Zeit. Die Ahnenkammer, in der der Prinz auf seine Vorfahren trifft und erstmals von Röschen hört, bildet einen wunderbaren Übergang zum Teil nach der Pause, wenn er mit einem leuchtenden Schwert gegen ein Gewirr von grell-grünen Farben kämpft. Wie Daemonia sich hier als Beherrscherin des Labyrinths erweist, wird mit großartigen Lichteffekten herausgearbeitet. Als Dornenhecke fungiert dann schließlich eine pittoreske Blumenstickerei, die die Idee der Fäden wieder aufnimmt. Das ist alles wunderbar anzusehen und dürfte auch Kinderaugen begeistern. Daemonia, die böse Fee, wird von von Bülow nicht als 13. Fee gesehen, die nicht eingeladen ist, sondern mit Morphina, der Fee des Schlafes, zu einer Figur zusammengefasst, die von den anderen Feen ausgegrenzt wird und deshalb den Fluch ausspricht. So wirkt es stimmig, dass Reinhold den bösen Fluch besiegt, indem er Daemonia umarmt und sie dadurch wieder in Morphina zurückverwandelt. Sofia Pavone spielt diese "Persönlichkeitsspaltung" eindrucksvoll aus. Als Morphina wirkt sie in einem weiten Gewand mit zahlreichen weißen Schichten beinahe ein wenig hilflos und leidet unter der Zurückweisung. Mit der Verwandlung in die "schwarze" Daemonia gewinnt sie eine Stärke, die ihr die Macht gibt, den Königshof zu zerstören. Dabei ist sie es selbst, die diese Zerstörung in einen 100-jährigen Schlaf umwandelt und letztendlich dem Charme des Prinzen erliegt. Pavone gestaltet die Partie mit einem satten Mezzosopran, der den Charakter der beiden Feen wunderbar differenziert herausarbeitet. Sonja Isabel Reuter gibt eine herrlich naive Titelfigur und punktet mit jugendlichem Sopran. Julian Rohde gestaltet den Prinzen Reinhold mit hellem Tenor und heldenhaftem Spiel. Besonders hervorzuheben ist sein Kampf gegen die grell-grünen Fäden. Großes komisches Potenzial besitzt Felix Mischitz als Tellermeister und Mond, wobei er diese Komik sicherlich noch mehr hätte ausspielen können, wenn man ihn auch den Text hätte sprechen lassen. Beide Figuren haben nämlich wunderbar humorvolle Szenen, vor allem der Mond, wenn er dem Prinzen erklärt, dass er nur deshalb so gut mit der Sonne auskomme, da sich die beiden quasi nie begegnen. Sophia Revilla gestaltet die Königin der Feen Rosa sehr majestätisch mit schlanken Höhen und gibt den kleinen Quecksilber, der Reinhold schließlich zu den versteckten Verlobungsringen führt, absolut bodenständig. Auch das übrige Ensemble überzeugt mit wunderbarem Spiel, so dass es für alle Beteiligten am Ende verdienten Applaus gibt. FAZIT Als Ganzes betrachtet kann Humperdincks Dornröschen nicht an Hänsel und Gretel heranreichen. Die Inszenierung von Catharina von Bülow geht allerdings sehr liebevoll mit dem Stück um, so dass man die Produktion als sehr "familientauglich" bezeichnen kann.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung und Chor
Inszenierung und Textfassung
Bühne und Kostüme
Dramaturgie
TfN-Philharmonie Opernchor des TfN Extrachor
Solistinnen und Solisten *rezensierte Aufführung Ringold, König des Rosenlandes / Vogt Armgart, die Königin Röschen Tellermeister / Bote / Monde Koch Reinhold, Sohn des Königs der Strahleninseln Rosa, Königin der Feen / Quecksilber Morphina, Fee des Schlafes / Rose Vergissmeinnicht Winde Sonne Bella, Fee der Schönheit Sophia, Fee der Weisheit Viola, Fee der Bescheidenheit Poësis, Fee der Dichtkunst Mab, Fee des Frohsinns Pietas, Fee der Frömmigkeit Flora, Fee der Blumen Hulda, Fee der Häuslichkeit Veritas, Fee der Wahrheit Blanca, Fee der Unschuld Stimme Morgenstern / Morgenröte
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