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Was Macht mit Menschen macht
Von Thomas Molke /
Fotos: © Jochen Quast
Adolphe Adam ist heutzutage vor allem noch als Komponist großer Handlungsballette wie Giselle und Le Corsaire in Erinnerung. Von den insgesamt 45 Opern, die er neben seinen rund 16 Ballettmusiken komponierte und mit denen er ab den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts große Erfolge feierte, kennt man vielleicht noch seine Opéra-comique Le postillon de Lonjumeau, die sich nicht zuletzt durch die berühmte Tenorarie des Postillons, "Mes amis, écoutez l'histoire", zu einem Kassenschlager in ganz Europa entwickelte. In den späten 1840er Jahren eröffnete er als Co-Direktor ein drittes lyrisches Theater in Paris, dessen Schließung 1848 aufgrund der Wirren der Revolution zunächst seinen finanziellen Ruin bedeutete. Mit der am 4. September 1852 am Théâtre Lyrique in Paris uraufgeführten Oper Si j'étais roi gelang ihm nicht nur finanziell ein erfolgreiches Comeback. Er führte auch mit dem Einsatz des kompletten Ensembles in wechselnder Besetzung eine Opernpraxis ein, die ermöglichte, ein Stück jeden Tag zu spielen. Heute ist das Werk ziemlich in Vergessenheit geraten, und das Theater für Niedersachsen, das seit mehreren Spielzeiten auch immer wieder Raritäten auf den Spielplan stellt, präsentiert das Stück nun in einer bearbeiteten deutschen Fassung unter dem Titel Wenn ich König wär'. Prinzessin Nemea (Sonja Isabel Reuter, mit Prinz Kadoor (Maciej Gorczyczyński, links) und dem König (Felix Mischitz, rechts)) möchte wissen, wer sie aus dem Meer gerettet hat. Die Oper spielt in einem nicht näher definierten Königreich am Meer. Während die Fischer allmorgendlich ihrer Arbeit nachgehen, kann sich der junge Fischer Zephoris nicht mehr auf den Fischfang konzentrieren, seit er eine schöne Unbekannte aus den Fluten des Meeres gerettet hat. Zu sehr beschäftigt ihn die Frage, wer sie ist. An einem Morgen findet er die Antwort, als der König mit seinem Gefolge zum Strand kommt. Die Unbekannte entpuppt sich als die Prinzessin Nemea, die ebenfalls wissen will, wer sie vor dem Ertrinken bewahrt hat. Der König plant, die Prinzessin mit dem Prinzen Kadoor zu verheiraten, den sie allerdings nicht liebt. Als der Prinz erfährt, dass Zephoris als Retter der Prinzessin im Besitz ihres Ringes ist, überredet er Zephoris' zukünftigen Schwager Pifear, Zephoris den Ring zu entwenden, damit er sich selbst als Retter ausgeben kann. Da Zephoris weiß, dass die Prinzessin für ihn unerreichbar ist, schläft er verzweifelt am Strand ein, nachdem er die Worte "Wenn ich König wär'" in den Sand geschrieben hat. Der König findet den schlafenden Fischer und will sich einen Spaß erlauben. Für einen Tag setzt er Zephoris als König ein, um zu prüfen, was dieser denn täte, wenn er die Macht hätte. Zephoris bewährt sich als gerechter Herrscher und deckt auch die Intrige Kadoors auf. Als er ein großes Fest feiert und seine Vermählung mit der Prinzessin bekannt gibt, fällt er erneut in tiefen Schlaf und wird in seine Fischerhütte zurückgebracht. Die Prinzessin erkennt, dass sie ihn liebt, und steht trotz des Standesunterschieds zu ihm. Als Kadoor Rache nehmen will, schreitet der König ein und stimmt der Vermählung der Prinzessin mit dem einfachen Fischer zu. Prinz Kadoor (Maciej Gorchychyński, rechts) horcht Zephoris (Yohan Kim, links) aus. Der Soziologe (Uwe Tobias Hieronimi, 2. von links) "führt" das Gespräch. Regisseur Christian von Götz vertraut der märchenhaften Handlung der Oper nicht wirklich und führt eine weitere Figur ein, die durch das Stück führt: einen Soziologen. Uwe Tobias Hieronimi, der auch die kleine Partie des unliebsamen Strandvogtes Zizell übernimmt, der wegen seiner Bestechlichkeit bei den Fischern nicht gerade beliebt ist, spielt den französischen Wissenschaftler, der das Publikum davon überzeugen möchte, dass Macht die Menschen korrumpiert und es gerechte Herrscher nicht geben kann. Dabei entfacht Hieronimi darstellerisch nicht nur mit seinen pseudo-wissenschaftlichen Thesen eine enorme Komik, sondern übernimmt auch wie eine Puppenspieler die gesprochenen Dialoge der anderen Figuren. Dabei findet er für jeden Charakter eine witzige Eigenart. Zephoris spricht er mit nachdenklichem schwäbischen Akzent. Der Schurke Kadoor erinnert in seiner dunklen Aussprache an den Seeelefanten aus Urmel aus dem Eis. Besondere Komik besitzt dabei die für die übrigen Figuren unverständliche Aussprache des Wortes "Ring". Der König erhält einen affektierten näselnden Akzent, und die Prinzessin kommt mit dem S-Fehler recht burschikos daher. Dabei erweist sich Hieronimi auch als kongenialer Stimmen-Imitator, wenn er den Kanzler des Königs mit der Stimme Helmut Kohls spricht. Der Soziologe (Uwe Tobias Hieronimi) will beweisen, dass Macht alle Menschen korrumpiert. Als Bühnenbild fungieren vier hintereinander angebrachte Vorhänge. Der hinterste zeigt eine Strandlandschaft in kräftigen Farben. Der königliche Palast ist in knalligen Rottönen gehalten. Die Hütte von Zephoris' Schwester Zelide und ihrem Bräutigam Pifear erscheint in satten Gelb- und Grüntönen. Davor prangt auf einem royal-blauen Vorhang in weißen Lettern "Enrichissez vous" (Bereichert euch) als Anspielung auf die Parole, die einem Minister des "Bürgerkönigs" Louis-Philippe zugeschrieben wird und die ursprünglich besagen sollte, dass persönlicher Wohlstand für alle Schichten ein gesellschaftlicher Fortschritt sei. Die Kostüme von Amelie Müller zeichnen den Hofstaat in bunten Farben mit fantasievollem Kopfschmuck bei den Damen und die Fischer in einfachem Weiß. Anstelle einer Schleppe hat der König an seinem roten Anzug den Teil eines wallenden Kleides, der ihm wie die rot geschminkten Lippen einen recht femininen Charakter verleiht. Zephoris (Yohan Kim) glaubt, dass Nemea (Sonja Isabel Reuter) für ihn unerreichbar ist. In diesem Ambiente entfachen die Sängerinnen und Sänger ein regelrechtes Feuerwerk der Slapstick-Komödie. Dazu führt von Götz auch noch weitere Figuren ein. So wuselt beispielsweise Natascha Flindt als Giselle über die Bühne. Nachdem ihr der Soziologe zu Beginn deutlich gemacht hat, dass sie im falschen Stück sei, besteht ihre Aufgabe vor allem darin, Vorhänge auf- oder zuzuziehen, Requisiten auf die Bühne zu tragen und dabei möglichst elegant auszusehen. Auch Felix Mischitz verweist als König mit mehr oder weniger grazilen Tanzeinlagen immer wieder darauf, dass Adam heutzutage ja eigentlich vor allem noch als Ballettkomponist bekannt ist. Die komischsten Szenen erhält aber Sonja Isabel Reuter, die als Prinzessin Nemea so gar nicht in das höfische Zeremoniell passt. Immer wieder befreit sie sich aus dem sie einengenden Reifrock und macht auch auf Inline-Skatern eine gute Figur. Singen kann sie sogar im Handstand. Auch ist sie die erste, die den Soziologen in seine Schranken weist und ihre Texte selbst sprechen will. Dabei zeigt sie, dass die Prinzessin das Herz am rechten Fleck hat und sich nicht um Konventionen schert. Ihr würde man es sogar abnehmen, dass sie aus Liebe einen einfachen Fischer heiratet. Zelide (Martha Matschekor) und Pifear (Julian Rohde) haben Streit. Yohan Kim verfügt als Zephoris über einen kräftigen lyrischen Tenor, der in den Höhen strahlen kann. Dabei lässt auch er die Komik nicht zu kurz kommen, wenn er beispielsweise mit großer Sehnsucht und tenoralem Schmelz von der Unerreichbarkeit seiner Angebeteten singt, während er dabei den gefangenen Fischen die Köpfe abschneidet. Wenn Zephoris im großen Liebes-Duett der Prinzessin gesteht, dass er und nicht Kadoor sie aus dem Meer gerettet hat, punkten Kim und Reuter mit großartigem Spiel und einer atemberaubenden Akrobatik, bei der sie immer wieder aus unterschiedlichen Klappen aus dem Bühnenboden auftauchen. Die Trunkenheit des Fischers bei der großen Feier spielt Kim ebenfalls mit komödiantischem Talent aus. Wenn Reuter den Soziologen kurz vor Schluss von der Bühne gejagt hat und alle Darstellerinnen und Darsteller ihre Texte selbst sprechen, stellt Kim unter Beweis, dass er auch "schwäbeln" kann. Maciej Gorczyczyński gibt den Prinzen Kadoor mit leicht polterndem Bariton als herrlichen Schurken. Martha Matschekor begeistert als Zelide mit keckem, frischem Sopran. Julian Rohde legt ihren Verlobten Pifear mit leichtem Tenor als sehr durchtrieben an. Der von Achim Falkenhausen einstudierte Chor beweist als Fischer und Hofstaat große Spielfreude. Florian Ziemen führt das Orchester des TfN mit leichter Hand durch die beschwingt klingende Partitur. Die Texte werden trotz des recht verständlichen Gesangs in deutscher Sprache übertitelt. Wieso man bei den Übertiteln mit dem Hinweis auf "vereinfachte Sprache" teilweise andere Wendungen wählt, die keineswegs verständlicher als der gesungene Text sind, erschließt sich nicht. Nachdem die Figuren des Stückes zunächst den Soziologen von der Bühne gejagt und den unliebsamen Strandvogt mit Hieben malträtiert haben, wird das Happy End allerdings doch in Frage gestellt, wenn der Chor singt, dass diese Geschichte natürlich nur in einem Märchen so ausgehen könne. So triumphiert am Ende doch der Soziologe, wenn er hämisch das Stück mit den Worten beendet: "Und der Mensch ist doch schlecht." FAZIT Christian von Götz findet für das unbekannte Werk eine herrlich frische, aktualisierte Umsetzung, wobei manchen Besucher*innen der Klamauk vielleicht doch ein wenig zu weit geht.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung
Inszenierung und Bühne
Kostüme
Chor
Dramaturgie
Orchester des TfN Chor des TfN
Solistinnen und Solisten Der König Prinzessin Nemea, seine Cousine Prinz Kadoor Zephoris, ein Fischer Zelide, seine Schwester / Eine Hofdame Pifear, ein Fischer Soziologe / Zizell, Strandvogt Der Kanzler Ein alter Fischer Ein Höfling Marie-Antoinette Giselle
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