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Eine Frage der VerantwortungVon Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung
Das Hohelied der Mutterschaft möchte Regisseurin Katharina Thoma nicht singen. Dabei geht es in der Frau ohne Schatten zumindest vordergründig genau darum. Eine Kaiserin aus dem Geisterreich will einer Menschenfrau deren Schatten - Symbol für Fruchtbarkeit - abkaufen, weil der Kaiser ansonsten, das ist der Preis für diese Liebesbeziehung, versteinern würde. Aber statt von kleinbürgerlichem Eheglück und gelingender Familienplanung möchte die Inszenierung von einer größeren Geschichte erzählen, nämlich dem Lernprozess dieser merkwürdigen Kaiserin, die erfahren muss, dass sie Verantwortung trägt - für den Kaiser, aber eben auch die Färberin und deren Mann Barak, deren Schatten sie mit Hilfe ihrer um keinen schäbigen Trick verlegenen Amme erlangen möchte - und dann doch im Wissen um die Konsequenzen ablehnt. Märchengemäß führt gerade diese Entscheidung zum glücklichen Ende, was in der Regie, dazu später mehr, als zaghafte Utopie aufblitzt. Aber um dort hinzukommen, begibt sich das Publikum auf eine lange Reise mit den beiden Frauen, die um ihr Glück ringen. Jagdgenossen: Kaiser und Falke
Erst einmal erzählt Katharina Thoma zwei Akte lang tatsächlich ein Märchen, modern eingekleidet, aber mit allerlei Gestalten aus dem Märchenreich wie dem wunderbaren kaiserlichen Jagdfalken. Im feuerroten Kostüm ist Giulia Montanari (die Stimme müht sich gegen das Riesenorchester) erkennbar eine Frau (und kein Vogel), verstreut aber in betont artifizieller Manier rote Federn - eben doch ein Wesen aus einer anderen Welt. Die Darstellerin verkörpert das großartig, und solche Momente zeigen exemplarisch die Sorgfalt der exzellenten Personenregie. Karl-Heinz Lehner (stimmlich angestrengt) gibt einen Geisterboten, weiß und statisch wie eine Marmorfigur, und Chor und Statisterie treten wiederholt ganz ähnlich auf. Das ist die Märchenwelt, die immer wieder bedient wird. Dagegen steht eine präzise und sehr heutige Zeichnung der gesellschaftlichen Unterschiede. Kaiser und Kaiserin in teurer Kleidung (Kostüme: Irina Bartels) stehen für eine bürgerliche Oberschicht, Barak und seine Frau als Färbersleute (immer schon ganz unten in der Rangordnung) für ein Leben in prekären Umständen. Daraus entwickelt sich das Sozialdrama. Eheprobleme: Färberin und Barak
Der amerikanische Tenor AJ Glueckert gibt den Kaiser als sympathischen Großbürger und verleiht ihm eine baritonal eingefärbte, nicht zu schwere, aber kraftvolle und immer schön klingende Stimme. Daniela Köhler ist eine hochdramatische, gleichwohl nie scharf klingende und sehr expressiv gestaltende Kaiserin, deren Erkenntnisprozess und schmerzhafte Wandlung sie berührend vermittelt. Am anderen Ende der Skala stehen Jordan Shanahan als großartig vitaler, energischer, mit lyrischer Emphase wie mit (sorgsam dosierter) dramatischer Ekstase singender Barak. Er handelt offenbar mit Altkleidern und Lumpen, und im Programmheft wird darauf hingewiesen, dass der Export abgetragener Kleider nach Afrika ein in vieler Hinsicht höchst fragwürdiges Geschäft ist (mit oft dramatischen Konsequenzen für die lokale Wirtschaft wie für die Umwelt). Etwas vereinfacht gesagt: Die westliche Welt lässt auf diesem Weg ihren Kleidungsmüll unter dem Deckmäntelchen des Recyclings in Afrika kostengünstig entsorgen. Damit steht Barak nicht nur für den notorischen Underdog, sondern sinnbildlich für ein Wirtschaftssystem, das hohen Wohlstand auf Kosten des globalen Südens produziert. Diese Bedeutungsebene schleicht sich nach und nach in die Inszenierung ein. Die Färberin wird von Lise Lindström als liebesbegierige junge Frau dargestellt, der sich plötzlich scheinbar die Chance auf einen unfassbaren sozialen Aufstieg eröffnet - auf Kosten Baraks, was ihr immer klar ist. Und sie singt mit jugendlich-dramatischem, sehr intensivem, leuchtenden Sopran, der sofort für sie einnimmt. Irmgard Vilsmaier hat es als durch und durch souveräne Amme schwer, sich gegen diese beiden vokal grandiosen Paare zu profilieren. Auf Schattensuche: Kaiserin und Amme
Im dritten Akt droht die Inszenierung aus der Balance zu geraten. Auf den Stufen des inselartigen Gebildes, das für alle drei Akte sehr wirkungsvoll das Bühnenbild (Johannes Leiacker) bildet, lagern sich offenbar Menschen auf der Flucht. Wenn die "Stimme von oben" hier in Form einer Frau mit Warnweste (Jing Yang) die Worte "der Weg ist frei" singt, dann ist offenbar die nächste Hürde auf dem Weg genommen, und erleichtert ziehen diese Menschen weiter - eine Umdeutung des Textes nicht ohne Witz, aber die bis dahin wunderbar leicht zwischen Märchen, Sozialdrama und Individualdrama austarierte Geschichte bekommt plötzlich arg viel tagesaktuellen Bedeutungsballast. Es gelingt Katharina Thoma aber gerade noch, die sich verselbstständigenden Bilder einzufangen. Die Wandlung der Kaiserin bis hin zum Verzicht auf den schon gesicherten Schatten wird begleitet durch Gesten der Humanität: Da werden den Flüchtenden beispielsweise Wasserflaschen gereicht. Das wäre nicht mehr als gut gemeinter Kitsch, wenn nicht parallel dazu Daniela Köhler und Lise Lindström das innere Drama ihrer Frauenfiguren bewegend (und ohne plakative Geste) verkörpern würden. So wird deren Entwicklungsprozess zum dramatischen Appell an das - bei den in Köln üblichen Preisen für eine Opernkarte sicher gut betuchte - Publikum: Erkennt Eure Verantwortung für die Welt. Der Jubel des Finales wird konterkariert durch die Videoprojektion ausgetrockneten Lehmbodens (Video: Georg Lendorff, dem auch an anderen Stellen wirkungsvolle Bilder gelingen). Ganz zuletzt wird eine zarte Pflanze hereingetragen und gewässert: Ein Symbol der Hoffnung. Etwas viel Pathos, sicher, aber eben auch eine Produktion, die unter die Haut geht. Ausgetrocknete Böden oder gedeihende Pflanzen? Am Ende fragt die Inszenierung, was wir unseren Kindern hinterlassen wollen.
Kaum eine Inszenierung im Kölner Staatenhaus konnte szenisch so gut mit den reduzierten Möglichkeiten umgehen wie diese - um den Preis, dass das Orchester auf den Platz rechts von der Bühne verbannt ist und sich klanglich schlecht mit den Sängern mischt. Das ist der Wermutstropfen an diesem ansonsten musikalisch überragenden Abend, zu dem der Chor der Oper Köln und Knaben und Mädchen der Kölner Dommusik ebenso beitragen wie das ausgezeichnete Gürzenich-Orchester. Dirigent Marc Albrecht bleibt der Dramatik der Partitur nichts schuldig. Die "gemütsvollen" Passagen Baraks behalten eine unterschwellige Nervosität, die Welt von Kaiser und Kaiserin bekommt den erforderlichen gleißenden Klang, die Amme eine dämonische Aura, ohne dass die Musik in einzelne Blöcke zerfällt. Und über allem schwebt Keikobad, der Geisterfürst, der nur im Orchester durch ein charakteristisches, den Namen "Keikobad" skandierendes Motiv präsent ist und den die Inszenierung schlüssig als antreibendes Prinzip dieser selbstzerstörerischen Weltordnung deutet. So finden Szene und Musik zu einem großen, emotional berührenden Operndrama zusammen.
Katharina Thoma deutet das Kunstmärchen als aufrüttelnden Appell an das gesellschaftliche wie individuelle Verantwortungsbewusstsein und zeigt parallel ein großes, bewegend gespieltes Drama. Szenisch wie musikalisch eine herausragende Produktion. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Video
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Die Kaiserin
Der Kaiser
Barak, der Färber
Die Färberin
Die Amme
Ein Hüter der Schwelle
Erscheinung eines Jünglings
Der Geisterbote
Eine Stimme von Oben
Der Einäugige
Der Einarmige
Der Bucklige
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