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Operettenglück im Palais der RepublikVon Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung
Ob nicht noch eine klitzekleine Milliarde vom Vermögen der schwerreichen Witwe Hanna Glawari für das Opernhaus abfallen könne? Man habe sich da nämlich ein wenig verkalkuliert. Spöttische Seitenhiebe auf das Lokalgeschehen gehören seit je zur Operette dazu, und Regisseur Bernd Mottl baut sie elegant - soll heißen: durchaus präsent, aber nicht zu aufdringlich - in seine Regie von Franz Lehárs Erfolgsoperette von 1905 ein. Und natürlich bietet die Sanierung des Kölner Opernhauses am Offenbachplatz allerlei Anlass für Spott (jüngst wurde erneut die Wiedereröffnung verschoben, vom März 2024 auf den 28. Juni 2024 - Stand Dezember 2023). Aber aus Pontevedro wird hier keineswegs der Kölsche Klüngel, vielmehr erinnern die heruntergekommenen Räumlichkeiten der Gesandtschaft des bankrotten Operettenkleinstaats im mondänen Paris ziemlich eindeutig an die längst verblichene DDR. Im ersten Akt zeugen herabfallende Steine und Löcher im Boden vom maroden Bauzustand, die hinreißend spießige Inneneinrichtung mit großgemusterter Tapete von schlechtem Geschmack. Die Witwe lässt das Gebäude nach ihrem Eintreffen in sagenhaften sieben Tagen renovieren, und dann zieren großformatige Mosaike zum Lob der Werktätigen im Sozialismus die Wände. Im Handumdrehen wird aus der Bruchbude ein schickes Palais der Republik. Und im dritten Akt verdeckt der prunkvoll-schöne kapitalistische Schein mit ein paar Vorhängen alle realsozialistischen Utopien. Dank ihrer günstigen finanziellen Situation von den Männern außerordentlich begehrt: Die Witwe Hanna Glawari
Friedrich Eggert (Bühne) und Alfred Mayerhofer (Kostüme) haben großartige Arbeit geleistet, denn es gibt viel zu sehen in dieser opulenten Produktion. Dabei ist der Weg vom osteuropäischen Elend der Vorwendezeit bis zum zeitlosen Prunk des Pariser Großbürgertums raffiniert angelegt, denn er führt gleichzeitig von kaum verhüllter Gegenwartstristesse in eine goldglitzernde Theatertraumwelt, von der man sich gerne berauschen lässt (und gleichzeitig die Ironie des Ganzen im Nacken spürt). In diesem Ambiente erzählt Mottl die Geschichte durchaus konventionell, aber in der Personenregie sehr genau, und er nimmt diese Geschichte unbedingt ernst. Da stehen zwei Menschen auf der Bühne, die einander begehren, aber sich gegenseitig schwer verletzt haben - Graf Danilo hat Hanna, das unterprivilegierte Bauernmädchen, aus familiärem Standesdünkel nicht heiraten dürfen, sie hat sich durch die Hochzeit mit einem schwerreichen Bankier von schwacher Gesundheit gerächt. Und nun finden sie nicht mehr zueinander. Es gibt viele ernste Momente in dieser Inszenierung, die trotz durchgehend flottem Tempo Zeit findet, um die beiden Hauptfiguren als Charaktere zu entwickeln. Zwei Königskinder, die nicht zueinander finden: Hanna und Danilo
Adrian Eröd, sonst eher an der Wiener Staatsoper als am Rhein unterwegs, singt und spielt einen verletzlichen und auch verbitterten Danilo mit viel Eleganz, wobei diese allerdings bei seiner Lebensflucht in die Pariser Halbwelt einige Kratzer abbekommen hat. Stimmlich legt er die Partie mit schöner, nicht zu schwerer und immer souverän geführter Stimme an, gestalterisch mit einem morbiden Hauch von Schwermut, die der ausklingenden "silbernen" Ära der Operette in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg bestens ansteht. Und er bewahrt sich eine gewisse Zerbrechlichkeit in dem Wissen, dass die ganz große Bühne in diesem Stück der dominanten reichen Witwe gehört. Elissa Huber imponiert mit ihrer Präsenz, mit der sie sich als gelernte Musical-Darstellerin selbstbewusst in den Vordergrund spielt. Ihr heller, intensiver Sopran könnte vielleicht noch eine Spur voller sein, sie bewältigt die Partie aber von der vokalen Attacke bis zur lyrischen Emphase des Vilja-Liedes überzeugend. Und eben diese Nummer darf sie ganz ernst und seriös vortragen, als Folklore-Mädel vom Balkan - wobei der absurde Charme der bereits erwähnten Wandmosaike die Szene in einen historischen Rahmen stellt, der sie gleichzeitigt beglaubigt und karikiert. Das Vilja-Lied als folkloristische Staatsaktion im realsozialistischen Prunkgewand: Hanna und Tanzensemble
Im Vergleich zu diesem differenziert durchgestalteten Paar gibt Ralf Lukas den Baron Mirko Zeta, Leiter der pontevedrinischen Gesandtschaft in Paris, mit operettenhafter Trotteligkeit, ohne seine Würde zu verlieren - sängerisch schon gar nicht. Rebecca Nelsen singt und spielt seine viel zu junge Gattin Valencienne mit quirliger Leichtigkeit - die "anständ'ge Frau" ist sie nach ihrem Gastspiel bei den Grisetten im dritten Akt bestimmt nicht mehr lange und brennt offenbar postwendend mit ihrem Liebhaber Camille durch. Den gestaltet Maximilian Meyer als smarten exzentrischen Paradiesvogel inmitten der grauen Funktionärselite. Stimmlich braucht er ein wenig, um seinen Tenor freizusingen, die Romanze "Wie eine Rosenknospe" gelingt ihm dann aber sehr schön. Schauspieler Ralph Morgenstern brilliert mit hinreißender Distinktion als Kanzlist Njegus. Überhaupt ist die Spielfreude des Ensembles (einschließlich des ausgezeichnet singenden Chores) groß und das Gespür der Regie für das richtige Tempo nahezu perfekt. Und bevor es allzu ernst oder operettenhaft behäbig wird, sorgt ein sehr agiles Tanzensemble für frivole Varieté-Atmosphäre (für die mitreißende Choreographie ist Christoph Jonas verantwortlich). Das ist neben dem Spiel mit den wechselnden Räumen und der Fokussierung auf den ernsten Konflikt inmitten der Komödie die dritte wichtige Ebene der Inszenierung: Immer wieder gibt sie sich als zupackende Revue, etwa im textlich nicht mehr ganz korrekten Herren-Septett "Ja, das Studium der Weiber ist schwer", das tänzerisch von bieder ausschauenden Hausfrauen mit Staubsaugern begleitet wird. So überlagern ein längst überkommenes Wirtschaftswunder-Frauenbild und der nostalgische Charme des Fernsehballetts die Nummer, ohne deren Schwung auszubremsen. Rauschendes Finale mit Hanna Glawari im Zentrum (links von ihr Baron Zeta, rechts Danilo und Valencienne, hinten wacht Njegus über das Geschehen)
So intelligent und vielschichtig erlebt man Operette selten, und das gelingt, weil Bernd Mottl das Genre ernst nimmt und auf die Qualitäten des Stückes vertraut. Darin hat er in Andrea Sanguineti, dem neuen Generalmusikdirektor des Essener Aalto-Theaters, am Pult des hervorragenden Gürzenich-Orchesters einen idealen Partner. Die Musik erklingt ungeheuer transparent, und viele sonst schnell überspielte Details und Nebenstimmen werden hörbar. Sanguineti dirigiert keinen "schweren" Lehár, sondern betont die Lebendigkeit dieser "Tanzoperette". Und er hat ebenso Gespür für die klangliche Raffinesse der Partitur wie für die kleinen Verzögerungen, das winzige "Aus-dem-Takt-Bringen", das es für diese Musik ab und an braucht. Und was wird nun aus der Milliarde für den unendlichen Sanierungsfall Kölner Oper? Wenn man sich da auch so gut amüsiert wie hier, dann sollte das kein Problem sein, verspricht die lustige Witwe Hanna Glawari. Schön wär's. Derweil amüsiert man sich notgedrungen im (leider in der hier besprochenen Aufführung viel zu schlecht besuchten) Staatenhaus in Köln-Deutz. Aber auch hier auf der "falschen" Rheinseite amüsiert man sich in dieser Produktion prächtig.
Eigentlich müssten alle Aufführungen längst ausverkauft sein: Eine mustergültig aufgeführte lustige Witwe mit viel Witz und Doppelbödigkeit, tollen Kostümen und Bühnenbildern, einem mitreißendem Tanzensemble, leicht frivolen Revueeinlagen, und das mit ganz ausgezeichneten Darstellerinnen und Darstellern und einem ebenso guten, einfühlsam dirigierten Orchester. Was will das Operettenherz mehr? Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Baron Mirko Zeta
Valencienne, Baron Zetas Frau
Graf Danilo Danilowitsch
Hanna Glawari
Camille de Rosillon
Njegus, Kanzlist
Vicomte Cascada
Raoul de St. Brioche
Bogdanowitsch
Sylviane, seine Frau
Kromow, pontevedrinischer Gesandtschaftsrat
Olga, Kromows Frau
Praskowia
Pritschitsch
Praskowia, seine Frau
Tanzensemble
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