Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Traumatisierter KriegsheldVon Stefan Schmöe / Fotos von Sandra Then
Der König a. D. ist irre geworden. Nach seiner (erzwungenen) Abdankung als Herrscher von Kreta vegetiert Idomeneo in einer Gummizelle vor sich hin. Besuche von Sohn Idamante und Schwiegertochter Ilia regen ihn so sehr auf, dass er zwangssediert werden muss. Regisseur Floris Visser setzt diese Rahmenhandlung vor die Oper, deren Geschichte er in Form von Rückblenden erzählt. Idomeneo ist traumatisiert vom trojanischen Krieg und hat offensichtlich auch schwere Kriegsverbrechen begangen. Die Regie erfindet dafür eine allegorische Figur, "das Trauma" (so steht's auf dem Besetzungszettel), eine schwarz gekleidete Person mit einer Axt. Diese pathetische Geste funktioniert ganz gut (nutzt sich aber im Verlauf des Stückes ab). Insgesamt aber geht die Erzählperspektive recht gut auf, weil sie mit der sich immer wieder öffnenden und schließenden Zelle visuell geschickt umgesetzt ist (Bühnenbild: Frank Philipp Schlößmann) und konsequent durchgezogen wird. Am Ende ist der alte König gestorben und hat ein Ehrengrab bekommen. Der psychisch kranke Idomeneo erhält Besuch von Schwiegersohn Idamante, Schwiegertochter Ilia und seinem namenlosen Enkelsohn.
Der Krieg, um den es hier geht, ist ein ziemlich gegenwärtiger, das zeigt die Regie vor allem im ersten Akt. In moderner Alltagskleidung (Kostümen: Gideon Davey) trauern Frauen und Kinder um die gefallenen Soldaten in Leichensäcken, und die auf der Seite der Sieger stehenden Kreter gehen wenig zimperlich mit den Kriegsgefangenen um. Kreta gegen Troja, das wäre aus heutiger geographischer Sicht ein Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei, und die beiden Fantasieflaggen, die gehisst werden, spielen eindeutig auf diese beiden Länder an. Aber im Kopf schieben sich schnell Bilder aus Gaza, wie sie derzeit täglich über die Bildschirme laufen, vor die detailliert erzählte Antikengeschichte. Man kann der Regie vorwerfen, allzu reißerisch damit umzugehen (und hektisch mit Maschinenpistolen hantierende Statisten in Soldatenkostümen sehen auf der Bühne immer schnell nach schlechtem Action-Film aus). Auf der anderen Seite ist dieser Idomeneo gerade in der hier gezeigten Kriegsproblematik beklemmend aktuell. Kriegsheld und Kriegsverbrecher: Idomeneo
Am Ende der Oper steht genregemäß ein lieto fine, ein happy end: Idomeneos Sohn Idamante heiratet die in Gefangenschaft geratene trojanische Prinzessin Ilia, und dieses neue Herrscherpaar verkörpert eine friedliche Zukunft. Visser inszeniert das als Utopie eines Friedens, in dem die Flaggen beider Staaten einträchtig nebeneinander hängen. Das könnte schnell im Kitsch enden, wird hier aber geschickt gegen die individuelle Tragödie Idomeneos geschnitten. Bis dahin kann das Regiekonzept überzeugen, auch wenn es im Daueraktionismus mitunter ermüdet - eine stärkere Konzentration der Mittel wäre wohl die bessere Entscheidung gewesen. Der dritte Akt wirkt allerdings über weite Strecken so, als habe Visser seinen Erzählfaden verloren. Das Kriegsdrama tritt zurück hinter die vetrackte Privattragödie. Idamante wird ja nicht nur von Ilia, sondern auch von Elettra, der Tochter des griechischen Königs Agamemnon, begehrt. Und weil Idomeneo dem Meeresgott Poseidon bei einem Sturm leichtfertig den ersten Menschen auf dem Festland zum Opfer versprochen hatte (und das war natürlich ausgerechnet der eigene Sohn Idamante), möchte er schnell Elettra und Idamante vermählen und ins vermeintlich sichere Griechenland schicken - was natürlich nicht funktioniert und den Zorn des Meeresgottes heraufbeschwört. Das Libretto, regieunfreundlich konventionell in seiner Entstehungszeit verhaftet, spricht von einem Ungeheuer und von vielen Leichen und Blut als Preis für diese kläglich scheiternde List. Davon zeigt Visser praktisch nichts, auch nicht auf einer übertragenen Ebene. Vermutlich muss man diese Ereignisse als Traumatisierung Idomeneos deuten und nicht als reale Katastrophe - was an sich ja einigermaßen schlüssig wäre, aber trotzdem einen Bruch mit der zuvor detailliert gezeichneten bildmächtigen Nachkriegsrealität darstellt. Denn jetzt wendet sich alles unfreiwillig zur kleinbürgerlich-familiären Komödie (dazu dreht sich sogar der Felsen, vor dem sich alles abspielt um 180 Grad und zeigt seine Rückseite, die allerdings kaum anders aussieht). Idamante und Ilia gestehen sich ihre Liebe und reißen sich sofort die Kleider vom Leib, wobei sie prompt von Idomeneo und Elettra überrascht werden. Und bei der mörderischen Frage, wer zur Besänftigung Neptuns nun wen opfern soll, wird die Axt der Trauma-Figur munter von einem zur anderen weitergereicht, was (sicher nicht gewollt) zu ein paar Lachern im Publikum führt. Mit der arrangierten Hochzeit zwischen Elettra und Idamante soll das dem Meeresgott Neptun versprochene Menschenopfer umgangen werden - was natürlich nicht funktioniert.
Musikalisch unterlaufen wird Floris Vissers Breitwandoptik von der eher filigran angelegten musikalischen Interpretation durch das ausgezeichnete Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Rubén Dabrovsky. Der schlägt einen schlanken, "historisch informierten" Klang an, der durch einen geschärften Bläserklang (Ausnahme: Die hinreißend weiche und sanfte Begleitung der unsichtbaren Stimme, die das glückliche Ende verkündet) und "harte" Pauken geprägt ist. Ungeachtet der akustisch immer problematischen Situation im Saal 2 des Deutzer Staatenhauses wird Mozarts Musik nicht vergrößert, sondern mit kammermusikalischer Finesse präsentiert, wie sie einem kleinen Theaterbau gut anstünde. Auch das sehr gute Ensemble auf der Bühne mit beweglichen, aber nicht sehr großen Stimmen trägt zu diesem Eindruck bei. Idamante und Ilia lieben sich und bieten sich beide großzügig als freiwilliges Opfer an; Idomeneo mit Axt ist ratlos.
Betörend schön singen vor allem Anna Lucia Richter als ganz leicht und charmant eingedunkelter Idamante und Kathrin Zuckowski als leuchtend lyrische Ilia. Da kann der solide und koloratursichere, aber ein wenig monochrome Tenor von Sebastian Kohlhepp nicht ganz mithalten. Ana Maria Labin singt eine nicht allzu dramatische, trotzdem furiose Elettra, Anicio Zorzi Giustiniani einen beweglichen, nicht zu leichten königlichen Berater Arbace, John Heuzenroeder einen soliden Oberpriester (hier mit Bibel als Christ unterwegs), und Lucas Singer verleiht aus dem Off der rettenden Stimme Neptuns Schauer und angemessene Größe. Mit schönem Klang singt der auch szenisch geforderte Chor der Oper Köln. Großer Beifall des Premierenpublikums für die musikalische Seite, merklich weniger für das Regieteam.
Floris Vissers Regiekonzept zwischen unbewältigten Kriegstraumata und einer tagespolitisch brisanten Utopie von der Verständigung verfeindeter Völker kann trotz des mitunter anstrengenden Aktionismus' überzeugen, hat aber auch Durchhänger. Musikalisch durchweg beeindruckend. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Idomeneo
Idamante
Elettra
Ilia
Arbace
Gran Sacerdote
La Voce
|
© 2023 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de