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Es war einmal in New OrleansVon Stefan Schmöe / Fotos von Sandra Then
Ein Migrant wird des Mordes an einem hochrangigen Polizisten verdächtigt und festgenommen - weniger der Indizienlage wegen als vielmehr aufgrund seiner Abstammung. Eine rassistisch unterwanderte Polizei, eine fremdenfeindliche Grundstimmung, ein populistischer Politiker mit Hetzreden - das alles klingt leider ziemlich gegenwärtig. Dabei basiert die Handlung dieser Oper auf einem historischen Ereignis: Am 14. März 1891 wurden in New Orleans elf Menschen italienischer Herkunft von einer aufgebrachten Menge ermordet, was bis heute als der größte einzelne Massen-Lynchmord der Vereinigten Staaten gilt. Vorangegangen war die Ermordung des Polizeichefs David Hennessy. Im anschließende Geschworenenprozess wurden die meisten Angeklagten, Migranten italienischer Abstammung (und dadurch pauschal der Bandenkriminalität verdächtigt) freigesprochen und am folgenden Tag gelyncht. Der amerikanische Komponist Frank Pesci, geboren 1974 in Washington D.C. und heute in Köln lebend, und sein Librettist Andrew Altenbach haben aus dem Stoff eine rund zweistündige Oper destilliert, ein Auftragswerk der Oper Köln, die in konventionell linearer Erzählweise die Geschehnisse jener Tage aufarbeitet. Eine brandaktuelle Angelegenheit, könnte man meinen. New Orleans im Jahr 1891, museal arrangiert
Die Inszenierung aber führt in eine museale Vergangenheit. Der Saal 3 des Kölner Staatenhauses, dem Ausweichquartier der Oper während der Endlos-Sanierung des Stammhauses am Offenbachplatz, verfügt über keine Bühne und keine feste Bestuhlung, und so haben Regisseurin Maria Lamont und Ausstatter Luis F. Carvalho sich für eine kreisrunde Spielfläche entschieden, auf der das Kammerorchester genau in der Mitte sitzt und das Publikum in zwei Reihen drumherum. Als Spielfläche dient hauptsächlich eine Reihe von rollbaren Podesten, die wie Inseln im Raum stehen und nach Belieben umgruppiert werden können. Zunächst stehen die Hauptakteure bewegungslos in historischen Kostümen auf diesen Podesten herum - wie Wachsfiguren in einem historischen Museum, alsbald betrachtet von ein paar Besuchern in heutiger Alltagskleidung. Schnell werden die kostümierten Gestalten lebendig, und damit ist die Intention der Regie klar: Im Historiendrama sollen wir unsere Gegenwart erkennen. Tatsächlich passiert aber genau das Gegenteil. Man erlebt einen völlig verstaubten Kostümschinken, dem nicht eine Sekunde lang zu glauben ist. Die Nähe der Darsteller zum Publikum verstärkt den Effekt noch. Gerade weil hier keine Guckkastenbühne ein Illusionstheater vorgaukeln möchte, wirken die Kostüme wie alberne Verkleidungen, die das Drama verschlucken. Einwanderer unter Generalverdacht: Iana und ihr Verlobter Emmanuele
Auch gelingt es dem Libretto und der Musik nicht, aus der hier vorgeführten Geschichte theatralisches Kapital zu schlagen. Pescis leicht aufgeraut tonale, mit Jazz wie mit amerikanischen Volksliedversatzstücken durchsetze Musik ist breit und flächig angelegt und findet nie zu einer dramatischen Zuspitzung. Es gibt beispielsweise eine Szene, in der die eigentliche Heldin des Stücks, die zwischen den Kulturen zerrissene Einwanderin Iania, vom Freispruch ihres Verlobten, dem später gelynchten Emmanuele Palizzi, erfährt. Puccini hätte diesen Moment zu einem Höhepunkt des Individualdramas gemacht. Pesci und Altenbach lassen die anderen Frauen jubeln und Iana eher nebensächlich einstimmen - so wird die Situation emotional verschenkt. Die Musik ist ohnehin mehr darauf konzentriert, jeder Szene eine einheitliche Grundierung zu geben, meistens elegischer Natur (was zu einer gewissen Monotonie führt). Die angedeuteten Konflikte werden nicht ausgeschärft, die Sympathien liegen zu eindeutig auf der Seite der Schwachen - was funktionieren könnte, siehe etwa Tosca, wenn die Bösen entsprechend groß gezeichnet wären. Das Libretto müsste sich entscheiden, ob es Spannung aus der Asymmetrie (unterdrückte Immigranten gegen übermächtige korrupte Polizei) oder der Symmetrie (Mord am Polizeichef gegen Mord am vermeintlichen Täter) gewinnen will. Hier verliert es sich irgendwo dazwischen. "Echte" Amerikaner: William Parkerson und Polizist Billy O'Conner (die irische Abstammung stört nicht)
Die durchaus gefällige, aber nicht anbiedernde Musik Pescis ist Welten entfernt von einer atmosphärischen Dichte, wie sie Kurt Weill in seiner Street Scene für eine überhitzte New Yorker Sommernacht fand; ihr gelingt nicht die knappe pointierte Zuspitzung, mit der Jake Heggie in Dead Man Walking im Disput um die Todesstrafe wechselnde Perspektiven auf Opfer und Täter beschreibt; und auch der musikalisch vielschichtigen Erzählstruktur von Gordon Kampes vor kurzem in Essen uraufgeführter Oper Dogville kommt sie nicht nahe. Am ehesten lässt sich die Komposition als großes Lamento auffassen, ein Abgesang auf eine Welt, die ihre Humanität verloren hat. Mit diesem Grundton nimmt das Werk für sich ein, droht aber - nicht zuletzt in Verbindung mit der Inszenierung - ins Sentimentale abzurutschen. Der umsichtige Dirigent Harry Ogg tut daher gut daran, das in allen Stimmen (auch den Streichern) solistisch besetzte, um Klavier wie um Banjo und Gitarre erweiterte Orchester zu einem leicht nervösen, nie breiten Ton anzuhalten. Es bleibt beim einmaligen Hören allerdings der Eindruck einer Einheitslautstärke, die vor allem ein kräftigeres Forte vermeidet, das der Dramatik des Stoffes ja hier und da angemessen wäre. Italienische Community in Little Palermo: (von links) Zia Francesca, Mama Costa, Catarina Costa
Laute Töne kommen dafür ziemlich oft von den Sängerinnen und Sängern, denen die recht gute Tragfähigkeit ihrer Stimmen in diesem merkwürdigen Raum vielleicht nicht recht bewusst ist und die zum pauschalen Forte neigen. Bei Emiliy Hinrichs als Iana führt das immer wieder zum (unnötigen) Forcieren. John Heuzenroeder als ihr Verlobter (und mutmaßlicher Mörder) Emmanuele hält sich da besser, dürfte die Figur aber musikalisch zerrissener anlegen. Eindrucksvoll mit schneidender Stimme gibt Martin Koch den hasserfüllten Polizisten O'Connor, der auf Rache für seinen ermordeten Kollegen Hennessy (souverän: Miljenko Turk) sinnt. David Howes als populistischer Hetzer Parkerson klingt schnell angestrengt. Die kleineren Rollen sind durchweg ordentlich besetzt.
Geschichtsstunde mit lebenden Bildern: Die plüschige Inszenierung nimmt der ohnehin wenig dramatischen Komposition auch noch die letzte Spannung. So ist The Stranger ein gut gemeintes, aber auf der Bühne wenig aufregendes Plädoyer für mehr Menschlichkeit in der Debatte zur Migration. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Dramaturgie
Solisten
Iania Costa
Emmanuele Polizzi
David Hennessy
Billy O'Connor
William Parkerson
Margaret Hennessy
Mama Costa
Zia Francesca
Catarina Costa
Ensemble
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