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Mord aus Eifersucht gibt' immer und überallVon Stefan Schmöe / Fotos von Sandra Then
Stockholm oder Boston? Hauptsache Italien, möchte man da in Anspielung auf ein vermeintliches Fußballer-Zitat ausrufen. In Stockholm hatte Verdis Librettist Antonio Somma die Geschichte des Maskenballs ursprünglich angesiedelt, historisch ganz konkret im Jahr 1792, in dem König Gustav III. bei einem Maskenball Opfer eines Attentats wurde. Den Zensoren aber erschien 1858 die Darstellung eines vergleichsweise aktuellen Königsmordes in Europa allzu provokant. Geplant hatten Verdi und Somma die Oper eigentlich für das von den Bourbonen regierte Neapel, dort erwies sich eine Aufführung ohne gravierende Umarbeitungen aber schnell als undenkbar. Im päpstlichen Rom (wo Un Ballo in Maschera dann 1859 tatsächlich uraufgeführt wurde) gab man sich mit einer Verlegung der Handlung ins ferne Nordamerika zufrieden. So wurde aus dem schwedischen König Gustav der Gouverneur Ricardo in Boston zu Zeiten der Kolonialisierung. Ob man tatsächlich fürchtete, die Oper könne als Aufruf zum Aufstand, zum Mord an den Herrschenden verstanden werden? Der populäre Verdi jedenfalls war in der Zeit des Risorgimento durchaus eine politische Figur. Der Ausruf "Viva Verdi" galt als Parole der Einigungsbewegung Italiens, ließ sich aus den Buchstaben "Verdi" doch leicht "Vittorio Emanuele, Re d'Italia" heraushören - ein Bekenntnis zu Vittorio Emanuele, seit 1849 als König von Sardinien-Piemont ein Anführer der Einigkeitsbewegung und 1861 zum König von Italien ernannt. Unter diesem Blickwinkel kann man durchaus italienische Zustände in der Handlung des Maskenballs wittern. Nächtliches Rendezvous: Amelia und Ricardo
Die Regie muss sich also erst einmal entscheiden, ob sie die üblicherweise gespielte "Boston"-Textfassung (so auch hier in Köln) oder die in der Figurenkonstellation plausiblere originale "Stockholm"-Version verwendet. Viel ändert sich dadurch allerdings nicht; im Wesentlichen geht es um die Rollennamen. Das entscheidende Motiv für das Attentat ist in der Oper ohnehin nicht der Wunsch nach etwaiger Gedankenfreiheit, sondern schnöde Eifersucht auf den vermeintlich ehebrecherischen Herrscher - daran ändern auch ein paar eher blass gezeichnete Verschwörer mit politischen Interessen nicht viel. In dieser Inszenierung siedelt Regisseur Jan Philipp Gloger die Geschichte weder in Boston noch in Stockholm an, sondern im Italien um 1900, wobei aus Ricardo (der aber immer noch so heißen darf) offenbar der italienische König Umberto I. werden soll, der im Jahr 1900 bei einer Kutschfahrt von einem Anarchisten ermordet wurde. Das erweist sich schnell als historische Parallele ohne dramaturgischen Mehrwert: Dem deutschen Opernpublikum, das vermutlich mehrheitlich nicht allzu vertraut mit jüngerer italienischer Geschichte ist, dürfte es relativ gleich sein, ob nun ein irgendwie historischer Gustavo oder Ricardo oder ein verkappter Umberto ein fatales Rendezvous mit Amelia hat, blöderweise Gattin seines engsten Freundes und Vertrauten Renato. Un Ballo in Maschera ist schließlich keine History-Doku, sondern eine italienische Oper mit den marktüblichen Motiven und Mechanismen. Der Page Oscar beim Maskenball
Dazu stehen Gloger und Bühnenbildner Ben Baur vor dem Problem, dass es im Staatenhaus, dem aktuellen Ausweichquartier der Oper, keine nennenswerte Bühnentechnik gibt, die schnelle Umbauten der Bühne ermöglicht. Baur hat einen prunkvollen, von Säulen umrandeten Saal als Einheitsbühnenbild gebaut, was den Szenen im Palast und insbesondere dem Finale mit dem Maskenball einen würdigen Rahmen gibt, den die opulenten Kostüme (Sibylle Wallum) noch verstärken - in den besseren Momenten bietet die Inszenierung toll anzusehendes Ausstattungstheater. Nur funktionieren die Szenenwechsel zu den anderen Schauplätzen nicht - da müsste die Hütte der Wahrsagerin Ulrica und der geheimnisvolle Galgenberg, Ort des nächtlichen Treffens von Ricardo und Amelia, gezeigt werden. Aus der Wahrsagerin macht Gloger kurzerhand eine Widerstandskämpferin, was deren Prophezeiungen offenbar zu Morddrohungen machen soll. Dem fehlt es ebenso an Glaubwürdigkeit wie der angedeuteten nächtlichen Eroberung des Palastes durch die Rebellen, denn irgendwie muss ja motiviert werden, warum jede Szene im gleichen Innenraum spielt. Weil Gloger in anderen Szenen auf Genauigkeit setzt, fallen solche Ungereimtheiten umso stärker auf. Der Versuch, die Widerstandsbewegung hier szenisch aufzuwerten und damit eine politische Dimension zu verstärken, überzeugt kaum. Dazu kommen handwerkliche Schwächen. Weil Gloger, optisch durchaus effektvoll, den Raum gern in Unordnung versetzt, stolpern die Akteure immer wieder über herumliegende Kleidung oder andere Gegenstände oder müssen diesen umständlich ausweichen - bei einer großen Choroper mit vielen Auf- und Abtritten durchaus ein Problem. Ricardo nach dem Attentat
Es bleibt unterm Strich eine konventionell als Kostümschinken inszenierte Oper, bei der die Musik im Vordergrund steht. Da Un Ballo in Maschera ohnehin kein Werk ist, das nach einer übergeordneten Interpretation durch die Regie schreit, ist das nicht einmal das Schlechteste. Und das neben der Bühne platzierte, sehr gute Gürzenich Orchester unter der Leitung von Giuliano Carella liefert zuverlässig die passend schmissigen Töne. Die Wirkung des auf der anderen Seite unsichtbar postierten Bühnenorchesters gerät durch die räumliche Anordnung ungemein wirkungsvoll. Dazu kommt ein vielleicht nicht herausragendes, aber doch recht gutes Ensemble auf der Bühne, das Verdis Oper überzeugend zu Gehör bringt. Ricardo, erstochen, und Amelia
Gaston Rivero singt mit höhensicherem und durchsetzungsfähigem Tenor einen durch und durch soliden Ricardo mit der richtigen Mischung aus machtbewusstem Herrscher und leidendem Liebhaber. Für seinen Freund und späteren Rivalen und Mörder Renato hat Simone del Savio einen in der Mittellage prachtvoll glänzenden, großformatigen Bariton, leider mit einem sanften Bruch zur weniger strahlenden, etwas angestrengten Höhe. Gleichwohl liefern sich beide auch vokal einen kraftvollen Schlagabtausch. Astrik Khanamiryan ist eine auch stimmlich attraktive, würdevolle Amelia mit jugendlich leuchtendem (dabei nicht mädchenhaftem) Sopran. Agostina Smimmero fehlt es trotz interessant eingedunkeltem Mezzo-Timbre ein wenig an der düsteren Aura und an stimmlicher Größe für die Wahrsagerin Ulrica, wobei es ihr auch die Regie nicht leicht macht, das Geheimnisvolle der Figur zu zeigen. Die burschikose Hila Fahima gibt einen blitzsauberen und agilen Pagen Oscar mit dem Zeug zum Publikumsliebling. Gewohnt zuverlässig agiert der Chor der Kölner Oper (Einstudierung: Rustam Samedov).
Die letztendlich ziemlich konventionelle Inszenierung liefert ein paar eindrucksvolle und ein paar unglaubwürdige Bilder und erzählt die Geschichte mal mehr, mal weniger glaubwürdig nach. Damit bietet sie immerhin einen ansehnlichen Rahmen für die überzeugende musikalische Umsetzung. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Choreographie
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Riccardo
Renato
Amelia
Ulrica
Oscar
Silvano
Samuel
Tom
Ein Richter
Ein Diener Amelias
Tänzer*innen
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