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Alte Männer im mörderischen Jugendwahn
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Stutte Den Deutschen war Charles Gounods Faust-Oper lange Zeit einigermaßen suspekt. Allzu unfaustisch und nicht ohne Sentimentalität ist aus Goethes opus summum eine durch und durch französische Oper geworden, die einen populären Stoff gekonnt für die Opernbühne ausschlachtet. Was die Welt im Innersten zusammenhält, das lässt Gounod völlig kalt; ihn interessiert allein die Gretchen-Tragödie und damit die Dimension des bürgerlichen Trauerspiels mit Teufelspakt als musikalisch zündendem, dramaturgisch eigentlich überflüssigem Beiwerk. Der Vergleich mit Goethe war daher schon immer müßig. Als Abgrenzung gegen dessen Drama hat sich eine Zeit lang hierzulande der Titel Margarethe für Gounods Oper durchgesetzt, unter dem jetzt auch die Vereinigten Bühnen Krefeld und Mönchengladbach das Werk herausbringen - nicht ohne in Klammern den originalen Titel Faust hinterherzuschieben. Ganz falsch ist die Umbenennung natürlich schon deshalb nicht, weil Gretchen-Margarethe zur anrührend scheiternden Hauptfigur wird. Mephisto und Faust ködern Margarethe mit Juwelen
In der bildmächtigen Inszenierung von Anthony Pilavachi (Regie) und Tatjana Ivschina (Ausstattung) spürt man in den revuehaft angelegten Chorszenen den mitunter auch frivolen Geist der Entstehungszeit (uraufgeführt wurde die Oper 1859) - Jacques Offenbach ist da manchmal gar nicht so weit weg. Kokotten, Soldaten und Bürger geben ein illustres Panoptikum in historischen Kostümen ab, das aber keineswegs museal aussieht, weil die Regie sich ansonsten weitgehend ästhetische Strenge als Grundprinzip verordnet. Auf der leeren Bühne strukturieren vier verschiebbare Säulenelemente den leeren Raum und deuten die Spielorte nur vage an. Zur Ausstattungsoper wird die Inszenierung, der üppigen Kostümierung zum Trotz, nicht. Vielmehr erscheinen die historisiert angelegten Massen (und auch Margarethe) wie Spielfiguren von Mephistos Gnaden. Der tritt wie Faust in nüchternem Schwarz auf, was die beiden vom Geschehen distanziert als durchwanderten sie eine schillernd bunte Traumwelt. Dass in den Tableaus trotzdem manches den Rand des Kitsches streift, widerspricht sicher nicht der Anlage dieser Oper, die sich vom Pathos der Grand opéra absetzt, aber trotzdem auch Spektakel sein möchte. Genau dieses Spektakel liefert Pilavachi verlässlich, aber er ordnet es gekonnt in die tragische Geschichte ein. Annäherung: Faust wirbt um Margarethe; Marthe Schwerdtlein (hinten) wurde von Mephisto vorsorglich ins Jenseits befördert
Wenn Margarethe vom engelsgleichen Wesen in weißem Kleid nach der fatalen Affäre mit Faust (und ungewollter Schwangerschaft als Konsequenz) zur Prostituierten absteigt, macht die Regie ungeachtet der historischen Einkleidung das überzeitliche Sozialdrama sehr deutlich. Und indem Margarethe zunehmend dem Wahnsinn verfällt, wird die frömmelnde Attitüde Gounods vorsichtig relativiert. Im Schlussbild fährt Margarethe nicht zu Gounods verklärender Orgelmusik gen Himmel, sondern statt ihrer erscheint ein Kind im weißen Kleid. So schließt sich der Kreis, der mit Fausts Suizidabsichten und Mephistos Angebot, ihm noch einmal Jugend zu schenken, begann (um mehr geht es im Pakt zwischen Faust und Mephisto bei Gounod nicht). Im Rückblick kann man diesen Jugendwahn als ein fatales Handlungsmuster erkennen, das unweigerlich andere wie hier Margarethe in den Abgrund reißt. Pilavachis Inszenierung bietet damit kein allzu zwingendes Deutungsmuster an, aber sie findet durchaus starke Bilder - und besticht durch eine nuancierte Personenregie, mit der schlüssig und emotional die Geschichte erzählt wird. Sozialer Abstieg: Margarethe schließt sich den Prostituierten an
Das alles wird vom Mönchengladbach-Krefelder Ensemble glänzend umgesetzt. In der hier besprochenen zweiten Aufführung gibt Sofia Poulopoulou ein großartiges Debut als Margarethe (die Premiere sang Sophie Witte). Mit ihrer mädchenhaft jungen, leuchtenden Stimme kann sie in den lyrischen Passagen glänzen, hat aber auch Kraft und vokale Fülle für die großen Aufschwünge. Szenisch ist sie ohnehin eine Idealbesetzung. Auch für den in jeder Hinsicht ungemein präsenten Johannes Schwärsky ist es die erste Aufführung als Mephisto (Premiere: Matthias Wippich). Wenn der allein schon durch seine körperliche Erscheinung imposante Schwärsky auf der Bühne steht, beherrscht er die Szene, aber er strahlt auch vokal große Autorität aus. Zwischen diesen beiden hat es Woongyi Lee (der auch die Premiere gesungen hat) als Faust schwer, sich zu profilieren. Szenisch, weil die Regie (und auch Gounod) ihn als einen Zauderer zeichnet, der nie Herr der Situation ist. Musikalisch bewältigt sein Tenor die Partie eindrucksvoll, klingt aber ziemlich einfarbig und hat nicht allzu viel von der "französischen" Eleganz, die es hier bräuchte. Kejti Karaj singt einen beachtlichen Siebel, Inkarnation des biederen (aber herzensguten) Spießbürgers; Miha Brkinjač steigert sich nach verhaltenem Beginn als Margarethes Bruder Valentin in seiner Sterbeszene zu bemerkenswertem Format. In der kleinen (tadellos gesungenen) Rolle der Marthe Schwertlein, von Mephistofeles alsbald erdrosselt, ist die altgediente Janet Bartolova zu erleben (seit 1994 gehört sie dem Ensemble an - das ist länger, als dieses Musikmagazin existiert). Das Ende: Margarethe kurz vor der Hinrichtung
Am Pult der bestens aufgelegten Niederrheinischen Sinfoniker steht Chefdirigent Mihkel Kütson und lotet Gounods Farbpalette sehr schön aus. Die Chorszenen klingen kraftvoll und volkstümlich, Margarethe wird mit schillernden entrückten Klangfarben umgeben, und für Mephistofeles darf das Blech geheimnisvoll oder bei Bedarf auch dramatisch wie beim jüngsten Gericht tönen. Der Chor klingt beeindruckend, ein paar Wackler im Tempo sind zu verschmerzen. Leider blieben an diesem Abend im Krefelder Theater zu viele Plätze frei, und da kann man nur sagen: Hier gibt es auf musikalisch hohem Niveau eine Oper voller hinreißender Melodien in einer leicht zugänglichen, eindrucksvollen Inszenierung, die am Ende dieser Aufführung mit großem Jubel gefeiert wurde. Egal, ob die Oper nun Faust oder Margarethe heißt: Hingehen!
Die Krefelder Zweitbesetzung liefert eine tolle Aufführung ab, die szenisch mit eindrucksvollen Bildern und einer differenzierten Personenregie Gounods Oper als das nimmt, was sie ist: Eine mit den Mitteln des 19. Jahrhunderts melodienselig vertonte gute Geschichte, die auch heute noch fast dreieinhalb Stunden lang spannendes Musiktheater bietet. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Choreographie
Bühne und Kostüme
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Faust
Margarethe
Mephistopheles
Siebel
Valentin
Wagner
Marthe Schwertlein
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