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Unterschätztes Meisterwerk mit großartiger Besetzung Von Thomas Molke / Fotos: © ORW Liège / J. Berger Mozarts am 29. Januar 1781 am Münchner Cuvilliés-Theater uraufgeführtes Dramma per musica Idomeneo markiert in doppelter Hinsicht einen Wendepunkt im Leben des Salzburger Genies. Zum einen handelt es sich dabei um die letzte Opera seria seiner "Jugendzeit", bevor er nach Wien übersiedelte, was das Ende seiner Wanderjahre bedeutete. Zum anderen schlägt das Stück mit großen Chorpassagen neue Wege ein und durchbricht auch die Tradition der affektgeladenen Arien und der die Handlung vorantreibenden Rezitative, die in der Oper größtenteils vom kompletten Orchester begleitet werden und nahtlos in die Arien übergehen. So ebnet Mozart in diesem Werk bereits den Weg für die Jahrzehnte später entwickelten durchkomponierten Opern. Bei der Uraufführung war dem Stück jedoch kein großer Erfolg vergönnt. Dass die große Bravour-Wahnsinns-Arie der Elettra im dritten Akt, "D'Oreste, d'Aiace", gestrichen wurde, kann man heute genauso wenig nachvollziehen wie Mozarts Umschreibung der Partie des Idamante fünf Jahre später von einem Kastraten auf einen Tenor. Heute wird die Rolle in der Regel mit einer Mezzosopranistin besetzt. Trotz der großartigen Musik fristet die Oper in vielen Opernhäusern immer noch eher ein Schattendasein und wird von Mozarts anderen berühmten Werken verdrängt. Umso erfreulicher ist es, dass in dieser Saison dieses Stück auch noch in der Oper Köln auf dem Spielplan stehen wird. Idomeneo (Ian Koziara, Mitte) soll seinen Sohn Idamante (Annalisa Stroppa, links) dem Meeresgott Neptun opfern (rechts: Riccardo Della Sciucca als Arbace). Die Oper behandelt einen mythologischen Stoff, zu dem es keine antike Dramenvorlage gibt. Idomeneo wird zwar als König Kretas in Homers Ilias erwähnt, und Vergil schreibt über dessen Vertreibung nach Kalabrien. Dass er aber nach seiner dramatischen Rückkehr nach Kreta dem Meeresgott Neptun verspricht, den ersten Menschen zu opfern, der ihm am Strand begegnet, und dass es sich dabei um seinen Sohn Idamante handelt, wird nur in einer Quelle aus dem vierten Jahrhundert erwähnt. Giambattista Varesco, der das Libretto zu Mozarts Oper erstellt hat, greift auf einen Text von Antoine Danchet zurück, der 1712 von André Campra unter dem Titel Idoménée vertont worden ist. Sowohl in Campras Oper als auch in der gleichnamigen Tragödie von Prosper Jolyot Crébillons aus dem Jahr 1705 wird das Menschenopfer vollzogen, während bei Mozart das Bild der Götter radikal humanisiert und Idamante von der ihn liebenden trojanischen Prinzessin Ilia gerettet wird. Ilias Bereitschaft, sich für den Geliebten zu opfern, führt dazu, dass der Meeresgott einlenkt und nur die Absetzung Idomeneos einfordert. Eine Aufwertung in Mozarts Oper erfährt auch die Rolle der Elettra, die nach der Anstiftung ihres Bruders Orest zum Muttermord aus Mykene geflohen ist und nun am Königshof von Kreta vergeblich darauf hofft, Idamantes Liebe zu gewinnen. Idomeneo (Ian Koziara) wird an den Strand von Kreta gespült. Für die Inszenierung kehrt Jean-Louis Grinda an seine ehemalige Wirkungsstätte zurück, wo er von 1996 bis 2007 die Geschicke des Hauses als Intendant geleitet hat, bevor er an die Oper Monte Carlo gegangen ist. In bester Erinnerung dürfte seine Abschiedsinszenierung von Boitos Mefistofele geblieben sein (siehe auch unsere Rezension). Auch seine Lesart von Mozarts Oper bleibt im Großen und Ganzen traditionell und verzichtet auf Umdeutungen der Geschichte, auch wenn er einige stumme Figuren einführt, die man sicherlich hinterfragen kann. Da ist zum einen Minotaurus, der im Hintergrund der Bühne steht und das Geschehen aus der Distanz betrachtet. Zwar spielt die Geschichte um ihn und das Labyrinth auch in Kreta, hat jedoch nichts mit der Handlung der Oper zu tun und wird auch in keinem Moment einbezogen. Die Tatsache, dass ihm jedes Jahr sieben Jünglinge und sieben junge Mädchen geopfert werden mussten, wirkt als Bezug zum geforderten Opfer des Meeresgottes ein wenig schwach. Als weitere Statisten treten zwei blaue Meeresungeheuer mit einem Dreizack auf, die gewissermaßen mit Idomeneo an den Strand gespült werden und immer dann in Erscheinung treten, wenn es um das geforderte Opfer geht. Die Intention dieser beiden Gestalten bleibt ebenfalls fraglich, zumal ja das Ungeheuer, das im zweiten Akt dem Meer entsteigt, eine riesige Projektion des Königs ist, der an das Gelübde aus dem ersten Akt erinnert. Fragen wirft auch die barbusige Frau mit den beiden Schlangen auf, die im dritten Akt mit dem Oberpriester des Neptun auftritt. Zwar setzt sie die Schlangen nach der Wahnsinns-Arie an Elettras Brust, so dass diese leblos zu Boden fällt. In der vorherigen Opferungsszene macht ihr Auftritt jedoch keinen Sinn. Idamante (Annalisa Stroppa) und die trojanische Prinzessin Ilia (Maria Grazia Schiavo) lieben einander. Das Bühnenbild von Laurent Castaingt ist relativ abstrakt gehalten. Als Vorhang dient zu Beginn des Abends eine weiße Wand, auf die Ausschnitte der Gesichter der fünf Hauptfiguren projiziert werden: Idomeno, Idamante, Ilia, Elettra und Arbace. Ob das eine tiefere Bedeutung haben soll, erschließt sich nicht. Nach der Ouvertüre scheint es wohl bei der zweiten Aufführung einen kleinen technischen Defekt zu geben. Der Vorhang hebt sich nämlich nicht, und als er endlich nach oben gefahren wird, steht Ilia eine Weile orientierungslos herum, bevor es mit dem ersten Akt weitergeht. Die Bühne wirkt mit den einzelnen halbrunden Elementen wie ein Labyrinth, was vielleicht die Anwesenheit des Minotaurus erklären könnte, erinnert aber auch in abstrakter Form an Ruinen von alten Ausgrabungsstätten. Aus dem Schnürboden hängen einzelne nicht näher definierbare Elemente herab, die ebenfalls ein Labyrinth darstellen könnten und hinter denen im zweiten Akt eine Maske sichtbar wird, die wohl für den Meeresgott Neptun stehen soll. Dahinter befindet sich eine große Projektionsfläche, auf der Arnaud Pottier das Meer in eindrucksvollen Bildern agieren lässt. Wieso in das Labyrinth an der Decke zwischenzeitlich Bilder vom Anfang projiziert werden, erschließt sich nicht. Auch Grindas Personenregie am Ende wirft Fragen auf. Wenn Idomeneo als König abdankt, ist es die vorher so milde Ilia, die den leblosen König relativ brutal vom Thron stößt, Idamante die Krone aufsetzt und ihn etwas herrisch küsst. Dieser Wandel der Prinzessin wird vom Stück nicht wirklich motiviert. Idomeneo (Ian Koziara, Mitte) will, dass sein Sohn Idamante (Annalisa Stroppa) mit Elettra (Nino Machaidze) Kreta verlässt. Musikalisch hingegen bewegt sich der Abend auf absolut hohem Niveau. Dabei geben zahlreiche Solistinnen und Solisten ihr Debüt an der Opéra Royal de Wallonie. Da ist zunächst Annalisa Stroppa als Idamante zu nennen. Mit vollem, rundem Mezzosopran gestaltet sie die Partie des Königssohns, der die Zurückweisung durch seinen Vater nicht versteht und bereit ist, sich aus Liebe zum Vater zu opfern. Mit kraftvollen Höhen gestaltet sie Idamantes Auftritts-Arie, in der sie den gefangenen Trojanern die Freiheit schenkt. Zarte Töne schlägt sie an, wenn sie ihrem Vater am Ufer begegnet und unter seiner Distanziertheit leidet. Als Idamante siegreich das Ungeheuer bekämpft hat, punktet Stroppa mit leuchtenden Spitzentönen und setzt das berühmte Quartett "Andrò ramingo e solo" mit innbrünstiger Entschlossenheit an. Nino Machaidze ist als Elettra ein weiterer Glanzpunkt des Abends. Schon in ihrer ersten Arie macht sie mit dramatischen Koloraturen klar, dass die Tochter Agamemnons eine gefährliche Rivalin für Ilia ist. Ihre Freude im zweiten Akt, wenn sie mit Idamante fortgeschickt werden soll, kann ihr nur einen kurzen Moment des Glücks verschaffen, bevor sie erkennen muss, dass sie Idamante endgültig an Ilia verloren hat. Mit der großen Wahnsinns-Arie am Schluss, die in der Virtuosität der Koloraturen die berühmte Arie der Königin der Nacht aus der Zauberflöte noch übertrifft, steigert sich Machaidze mit kraftvoll und flexibel angesetzten Spitzentönen in einen Rausch, der das Publikum regelrecht von den Sitzen reißt. Ilia (Maria Grazia Schiavo) krönt Idamante (Annalisa Stroppa) zum neuen König von Kreta (auf dem Boden liegend: Ian Koziara als Idomeneo, rechts: Riccardo Della Sciucca als Arbace). Auch Ian Koziara gibt in der Titelpartie ein umjubeltes Debüt in Liège. Mit dunkel angelegtem Tenor und großer Beweglichkeit meistert er die anspruchsvollen Koloraturläufe und verleiht der Zerrissenheit des Königs darstellerisch überzeugend Ausdruck. Riccardo Della Sciucca überzeugt in der Partie des Arbace mit klangschönem Tenor, der auch in den Höhen bei seiner großen Arie recht geschmeidig klingt. Als "alte Bekannte" kehrt Maria Grazia Schiavo als Ilia nach Liège zurück. Mit leuchtend hellem Sopran, der so warm und weich wie der Charakter der liebenden Priamos-Tochter klingt, stellt sie stimmlich einen großen Gegensatz zu Elettra dar. Umso überraschender ist ihr szenischer Wandel am Ende der Aufführung. Der von Denis Segond einstudierte Chor ist stimmlich sehr präsent und meistert die für eine Mozart-Oper doch eher untypische umfangreiche Aufgabe homogen und klanggewaltig. Fabio Biondi lotet mit dem Orchester der Opéra Royal de Wallonie-Liège die verschiedenen Klangfarben von Mozarts Partitur differenziert aus und rundet den Abend musikalisch glanzvoll ab, so dass es für alle Beteiligten zu Recht begeisterten Beifall gibt. FAZIT Die Aufführung in Liège macht musikalisch deutlich, dass Mozarts Oper als ein etwas unterschätztes Meisterwerk betrachtet werden kann. Szenisch ist nicht alles ganz rund, was den Genuss im Wesentlichen aber nicht schmälert.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Bühnenbild und Licht Kostüme Video Chorleitung
Orchester und Chor
Solistinnen und SolistenIdomeneo Idamante Ilia Elettra Arbace La Voce Gran sacerdote di Nettuno
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