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Spitzentanz auf höchstem Niveau Von Thomas Molke / Fotos: © Andrej Uspenski (Royal Opera House)
Die neue Saison der Live-Streams, mit denen das Royal Opera House seit 2008
Opern- und Ballettaufführungen in mehr als 1300 Kinos weltweit überträgt,
hat wieder begonnen und startet im Bereich der Ballettsparte mit hohem Besuch.
King Charles höchstpersönlich ist mit seiner Frau Camilla zu Gast im Royal Opera
House, um gemeinsam mit Kinobesucher*innen in ganz Europa und zahlreichen
geladenen Gästen einen Ballettklassiker zu genießen, der 2013 ins Repertoire
aufgenommen wurde und eigentlich wie Schwanensee, Der Nussknacker,
Dornröschen, Romeo und Julia und Giselle zu den großen
klassischen Handlungsballetten zählt: Don Quixote. Dass das Werk seltener
auf den Spielplänen zu erleben ist als die anderen genannten Stücke, mag zum
einen daran liegen, dass der Komponist Ludwig Minkus heutzutage nicht mehr so
präsent wie beispielsweise Tschaikowsky, Prokofijew oder auch Adam ist, obwohl
die Choreographie nach Marius Petipa bei den namhaften russischen Compagnien
immer noch zum Standard des klassischen Balletts gehört. Zum anderen enthält die
Handlung weder etwas Märchenhaftes noch eine tragische Liebesgeschichte. Carlos
Acosta, der in den 1990er Jahren selbst am Royal Ballet die Rolle des Basilio
verkörpert hat, hat dem Direktor Kevin O'Hare 2013 vorgeschlagen, das Stück
wieder ins Repertoire aufzunehmen, und eine Choreographie erarbeitet, die jetzt
10 Jahre später vor "königlichem Publikum" präsentiert wird.
Kitri (Mayara Magri, Mitte) mit der
Dorfgemeinschaft (Ensemble)
Erzählt wird in leichter Abwandlung die Quitéria-Geschichte aus dem 21. Kapitel
des zweiten Buches von Miguel Cervantes über den "Ritter von der traurigen
Gestalt". Don Quixote kommt hier mit seinem Knappen Sancho Pansa in ein
spanisches Dorf, in dem der Wirt Lorenzo seine Tochter Kitri (bei Cervantes:
Quitéria) mit dem vermögenden Gamache (bei Cervantes: Camacho) verheiraten
möchte. Doch Kitri liebt den Barbier Basilio und flieht mit ihm in ein
Zigeunerlager. Hierhin folgen ihnen Lorenzo, Gamache, Don Quixote und Sancho
Pansa. Es kommt zum legendären Kampf Don Quixotes gegen die Windmühlen, wobei
der Ritter schwer verwundet wird und sich in eine Phantasiewelt mit der Königin
der Dryaden und ihrem Gefolge träumt. Kitri und Basilio gelangen anschließend in
einen Gasthof, wo sie mit dem Torero Espada und der Straßentänzerin Mercedes ein
rauschendes Fest feiern. Als Lorenzo und Gamache die beiden Liebenden dort
finden, will Lorenzo seine Tochter mit Gamache zum Traualtar führen. Da ersticht
sich Basilio vor aller Augen und erfleht sterbend Lorenzos Segen für sich und
Kitri. Don Quixote bestärkt Lorenzo, sich diesem Wunsch nicht zu widersetzen.
Nachdem Lorenzo seine Tochter für Basilio freigegeben hat, springt letzterer
fröhlich auf, da sein Selbstmord nur vorgetäuscht war. Gamache muss sich eine
andere Braut suchen, die unter den Gästen auch schnell gefunden wird. Don
Quixote bricht mit Sancho Pansa zu weiteren Abenteuern auf.
Don Quixote (Gary Avis, auf dem Pferd) und Sancho
Pansa (Liam Boswell, rechts daneben) kommen ins Dorf (rechts und links:
Ensemble).
Neben dem berühmten Kampf gegen die Windmühlen, der mehr als willkürlich und ein
bisschen unpassend in das Originallibretto eingebaut worden ist, darf natürlich
auch Dulcinea nicht fehlen. Acosta inszeniert sie im Prolog und auch später in
einem langen weißen Kleid mit einem Schleier, der sie wie ein Traumwesen
erscheinen lässt. Damit wird klar, dass Don Quixote einer Illusion
hinterherläuft. Nadia Mullova-Barley begegnet als Dulcinea Gary Avis in der
Titelpartie in seiner Schlafkammer, die Tim Hatley liebevoll im Stil der Zeit,
in der die Geschichte spielt, eingerichtet hat. Auf Spitze schwebt sie scheinbar
federleicht durch den Raum und zieht Quixotes Aufmerksamkeit auf sich. Als sie
dann entschwindet, ist klar, dass er diesem geheimnisvollen Wesen folgen muss.
Eine Obstschale aus Blech wird kurzerhand in einen Helm umfunktioniert, und ein
Holzpfosten wird aus dem Bett herausgebrochen, der im weiteren Verlauf als Lanze
fungiert. Mit großer Detail-Verliebtheit ist auch das Pferd gestaltet, auf dem
Don Quixote anschließend in die Stadt reitet. In diesem Pferd steckt ein
Mitarbeiter, der einerseits mit einem Hebel das Pferd auf Rollen scheinbar
laufen lässt und als kleinen Gag auch noch die Ohren des Tieres bewegen kann.
Don Quixote (Gary Avis) in seiner Traumwelt im
zweiten Akt (Ensemble)
Für die drei Akte hat Tim Hatley neben wunderschönen Kostümen auch ein
zauberhaftes Bühnenbild entworfen, das durch große Opulenz begeistert. Wenn Don
Quixote im ersten Akt im spanischen Dorf ankommt, sieht man eine pittoreske
Häuserlandschaft, die sich mit einem großen Tor in den Bühnenhintergrund öffnet,
durch den Don Quixote auftaucht. Das Zigeunerlager im zweiten Akt ist recht
düster und unheimlich gehalten. Die Windmühle ist zunächst nur in weiter
Entfernung an einem rot schimmernden Bühnenprospekt zu erkennen. Dann wird sie
bei der Auseinandersetzung im Lager plötzlich als große schwarze Windmühle auf
die Bühne gefahren. Der Kampf findet zwischen Don Quixote und dunkel vermummten
Gestalten statt, die den Ritter außer Gefecht setzen. Wenn er sich in eine
Phantasie-Welt träumt, öffnet sich das Bühnenbild und gibt den Blick auf eine
pittoreske Landschaft frei, die auch aus dem zweiten Akt von Schwanensee
stammen könnte. Die Königin der Dryaden und ihr Gefolge treten zwar nicht direkt
als Schwäne auf, erinnern in ihren weißen Tutus und dem perfekten Spitzentanz in
ihren Bewegungen jedoch daran. Der dritte Akt führt dann zunächst in eine recht
düster gehaltene Schenke, die sich dann im weiteren Verlauf der Handlung wieder
in das Bild aus dem ersten Akt verwandelt.
Basilio (Matthew Ball, Mitte) und die
Dorfgemeinschaft (Ensemble)
In diesem wunderbar anzusehenden Ambiente bieten die Tänzerinnen und Tänzer
Spitzentanz vom Feinsten, kraftvolle Sprünge und atemberaubende Pirouetten.
Besonders anspruchsvoll sind die Partien der Kitri und des Basilio, die mit dem
Tänzerpaar Mayari Magri und Matthew Ball großartig besetzt sind. Mayari Magri
begeistert als Kitri mit perfektioniertem Spitzentanz und großartigen
Pirouetten. In der Traumsequenz im zweiten Akt und bei der Hochzeit im dritten
Akt tritt sie im weißen Tutu auf, während sie ansonsten in feurigem Rot mit
verführerischen Bewegungen spanisches Flair verbreitet. Matthew Ball punktet als
Basilio mit großer Eleganz und energiegeladenen Sprüngen und Drehungen, die das
Publikum im Saal häufig zu Zwischenapplaus verführen. Neben dem charismatischen
Liebhaber, den man ihm im Zusammenspiel mit Magri jederzeit abnimmt, zeigt er
auch durchaus komisches Potenzial im dritten Akt, wenn er seinen Selbstmord
vortäuscht. Calvin Richardson versprüht als Stierkämpfer Espada ebenfalls
feuriges Temperament und setzt mit sauber angesetzten Sprüngen und rasanten
Drehungen Akzente. Leticia Dias erweist sich als Straßentänzerin Mercedes als
ebenbürtige Partnerin. Das Ensemble glänzt durch homogenen Spitzentanz auf den
Punkt.
Die Partien des Don Quixote, seines Dieners Sancho Pansa, des Gastwirts Lorenzo
und des geplanten Bräutigams Gamache sind tänzerisch pantomimisch gehalten. Avis
und Thomas Whitehead überzeugen als Don Quixote und Lorenzo mit großartiger
Komik. James Hay legt den Edelmann Gamache als leicht lächerliche Figur an, so
dass es nicht verwundert, dass sich Kitri gegen ihn und für Basilio entscheidet.
Das macht Magri durch kleine Handgreiflichkeiten mehr als deutlich. Die Figur
des Sancho Pansa bleibt in der Erzählung relativ blass, was aber nicht am
komischen Talent von Liam Boswell liegt, sondern eher an der erzählten
Geschichte, die alles in allem ein bisschen dünn ist. Das Orchester des Royal
Opera House macht allerdings unter der musikalischen Leitung von Valery
Ovsyanikov deutlich, dass Minkus' Musiksprache durchaus mit Tschaikowsky und
Adam mithalten kann. Mit den zwei Pausen, die wahrscheinlich dem Umbau
geschuldet sind, wird der Abend relativ lang aber zu keiner Zeit langweilig, was
dem Pausenprogramm zu verdanken ist, in dem die ehemalige Balletttänzerin Darcey
Bussell, die selbst mit dem Choreographen Acosta als Ballerina auf der Bühne am
Royal Opera House gestanden hat und mittlerweile als Coach für das Haus tätig
ist, und Petroc Trelawney interessante Hintergrundinformationen präsentieren,
den Choreographen interviewen und Einblicke in die Probenarbeit gewähren.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Choreographie und Inszenierung Bühnenbild und Kostüme Lichtdesign
Orchestra of the Royal Opera House The Royal Ballet Tänzerinnen und Tänzer*rezensierte Aufführung Don Quixote Sancho Pansa, sein Knappe Lorenzo, der Wirt Kitri,seine Tochter Basilio, ein junger Barbier Gamache, ein reicher Edelmann Espada, ein berühmter Stierkämpfer Mercedes, eine Straßentänzerin Dulcinea Kitris Freundinnen Zwei Matadore Ein Zigeunerpaar Die Königin der Dryaden Amor Fandango Paar Gitarristen
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- Fine -