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Eingefrorene
Hoffnung Von Christoph Wurzel / Fotos: © Christian Kleiner Neunzehn Tage waren die Nazis bereits an der Macht, als Der Silbersee gleichzeitig in Leipzig, Erfurt und Magdeburg uraufgeführt wurde. Das Deutsche Theater in Berlin hatte nicht mehr den Mut dazu und war vor den Nazis bereits eingeknickt. Die noch nicht gleichgeschaltete Presse schrieb von einem "virtuos durchgeführten, einheitlichen Handlungsgemälde von erregender, bezwingenden Schärfe". Der Völkische Beobachter dagegen geiferte, dass mit diesem Werk sich "ein Jude erlaubte für seine unvölkischen Zwecke sich einer deutschen Opernbühne zu bedienen!" Und dies auch noch "fünf Tage nach dem 50. Todestage Richard Wagners"! Nazitrupps sprengten bereits die zweite Aufführung. Umgehend wurde das Stück abgesetzt und bei der Bücherverbrennung im Mai 1933 waren die Namen Kaiser und Weill an vorderster Stelle mit dabei. Weill war noch im März nach Frankreich geflohen, Kaiser emigrierte 1938 in die Schweiz. Der Regisseur Detlef Sierck ging ebenfalls ins Exil und feierte als Douglas Sirk in Hollywood große Regieerfolge. Der Dirigent Gustav Brecher wurde kurz nach der Aufführung entlassen und nahm sich 1940 das Leben. Ein beklemmendes Lehrstück dafür, wenn völkischer Ungeist sich der Kultur bemächtigt. Sowohl Kaiser als auch Weill waren in der Weimarer Zeit zu beträchtlicher Anerkennung gelangt. Georg Kaiser war seinerzeit einer der meist gespielten Dramatiker und Kurt Weill vor allem als Komponist der Dreigroschenoper und ebenfalls zusammen mit Brecht der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny berühmt geworden. Der Silbersee war bereits die dritte Zusammenarbeit von Kaiser und Weill, aber der Text kommt an die Vorlagen von Brecht mit deren beißend sarkastischer Sozialkritik in dialektisch scharfsinniger Sprache bei weitem nicht heran. Im Silbersee mischen sich der Märchencharakter mit spätexpressionistischer Metaphorik und vor allem im 3. Akt einer gehörigen Portion Sozialromantik. So bezwingend scharf wie in der obigen Kritik erwähnt, erscheint das Stück heute nicht mehr. Dies mag einer der Gründe sein, warum dieses Schauspiel mit Musik heute nur selten auf die Bühnen kommt, selbst wenn man berücksichtigt, dass die Rezeption Kurt Weills jenseits von Dreigroschenoper und Mahagonny überhaupt lange sträflich vernachlässigt wurde. Sehnsucht nach einer besseren Welt: Olim (Patrick Zielke), Severin (Christopher Diffey) und Fennimore (Mirella Hagen) Es liegt am Menschen, wenn es Armut und Elend gibt, und Solidarität miteinander kann darüber hinweghelfen - so das Fazit des Stücks. Der Silbersee als Sehnsuchtsort scheint eine Metapher für die Utopie eines besseren Lebens zu sein. Das Schauspiel handelt von drei Protagonisten der unteren Klassen, dem Arbeitslosen Severin, dem Polizisten Olim und der "armen Verwandten" Fennimore. Ihnen gegenüber stehen zwei Figuren aus der Oberschicht, Frau von Luber und den Baron Laur. Olim hat Severin bei einem Einbruch in ein Lebensmittelgeschäft ins Bein geschossen. Als er bemerkt, dass die einzige Beute des Diebs eine Ananas war, bereut er seine Tat, denn diese Frucht als einziges Diebesgut zeigt ihm, dass Severin nicht aus reiner Habgier, sondern aus dem Wunsch nach menschenwürdiger Nahrung stehlen wollte. Als Olim auf wunderliche Weise im Lotto gewinnt, kauft er ein Schloss, um Severin zur Wiedergutmachung ein Leben im Genuss zu ermöglichen. Die adligen Vorbesitzer werden zu Dienstboten degradiert, während Olim, Severin und die hinzugekommene Fennimore ausgelassene Feste feiern. Doch durch eine Intrige Frau von Lauers kehren sich bald die Verhältnisse um, der alte Adel übernimmt wieder seinen Besitz und die Drei werden aus dem Schloss gejagt. Sie machen sich auf zum Silbersee, auf den sie alle Hoffnung setzen. Doch es ist noch nicht die Zeit für deren Erfüllung. Der Silbersee ist noch zugefroren, auch wenn sich am Horizont bereits ein helles Licht zeigt: "Alles was ist, ist Beginnen", heißt es kryptisch am Ende. Calixto Bieto ist es gelungen, aus dieser etwas kruden Geschichte auf der Bühne der Alten Schildkrötfabrik temporeich eine unterhaltsame Show zu inszenieren. Dazu wurde in die Mitte der langen Halle der ehemaligen Puppenfabrik ein Laufsteg gebaut und treppenförmig an beiden Seiten die Plätze des Publikums angeordnet. An einer Stirnseite ist das mittelgroße Orchester platziert. Nur mit wenigen Requisiten wird allein durch das präsente Spiel der Akteure die Handlung markiert. Doch leider werden viele Details nicht auf Anhieb klar, zumal die Spielerinnen und Spieler alle mit Mikroports verstärkt werden und - wohl aus technischen Gründen - die Texte zum großen Teil nicht oder nur schwer zu verstehen sind. Ein großes Manko ist daher das Fehlen von Übertiteln. Kurt Weills Musik zu diesem Schauspiel ist allemal der Wiederentdeckung wert. Konsequent hat er seinen Komponierstil seit der Dreigroschenoper weiterentwickelt, greift das bewährte Modell der Songs auf, erweitert es aber durch opernhafte Formen wie begleitete Rezitative, Duette und Chorpassagen. Auch ist die Combo von früher jetzt zum eher sinfonischen Orchester mit Jazz-Appeal erweitert. Das Mannheimer Orchester unter der Leitung von Jürgen Goriup, einem Spezialisten in den Bereichen Filmmusik, Musical und Operette, bekommt diesen Sound hervorragend hin. Der Lotterieagent (Niklas Mayer) und zwei Gesetzeshüter (Jordan Harding und Ilya Lapich) Vor allem in den Songs können die Sängerinnen und Sänger ihre sensible Ader für Weills spezifischen Songstil aus melodischer Eingängigkeit, rhythmischer Prägnanz und hintergründiger Textausdeutung unter Beweis stellen. Mit kaum verhohlener Schadenfreude präsentiert Mirella Hagen die Ballade vom Fall Cäsars, in der von dessen Ermordung "aus Verblendung" erzählt wird: " Er wollte mit dem Schwert regieren und ein Messer hat ihn selbst gefällt". Von der schier erotischen Wirkung von "Zinseszins und Zinsesfreude" singt Niklas Mayer süffisant in der Tangoballade vom Lotteriegewinn. Und die zwei Verkäuferinnen (Maria Polanska und Theresa Steinbach) fallen lustvoll ironisch in Wiener-Walzer-Seligkeit, wenn sie singen "nur die Haltung darfst du nicht verlieren" - ist der Konkurrenzkampf im Geschäftsleben auch noch so gnadenlos. Und weil diese Songs so schön sind, gibt es noch zwei Zugaben aus anderen Weill-Stücken. So macht Patrick Zielke den Bilbao-Song aus Happy End (Brecht) zu einem Glanzstück frivoler Nostalgie. Schließlich haben Frau von Luber (Rita Kapfhammer) und Baron Laur (Uwe Eikötter) auch eine effektvolle Einlage, wenn sie die Restitution des Schlosses in die alten Besitzverhältnisse als Wiederkehr des Schlaraffenlandes feiern.
Leider zieht sich die Aufführung im zweiten Teil
etwas hin, dafür sitzt aber die Schlusspointe umso besser. Statt nämlich, wie
im Libretto vorgesehen, am gefrorenen Silbersee wartend auszuharren, werden
Olim, Severin und Fennimore kurzerhand von einem Taxi abgeholt, das man durch
die großen Fenster im Hof der Fabrikhalle vorfahren sieht. So gelingt es der
Regie, das übermäßig sentimentale Finale des Stücks kräftig zu ironisieren.
FAZIT
Vor allem im Blick auf die Musik von Kurt Weill
ist Der Silbersee eine Entdeckung wert. Die Inszenierung setzt zu Recht
vor allem auf den Unterhaltungswert. Auch die Musik betont den kulinarisch
antikulinarischen Charakter der Musik. |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Video
Choreografie
Dramaturgie
Orchester und Statisterie
Solistinnen und Solisten
Olim Polizist
Severin
Frau von Luber
Fennimore
Baron
Laur
Polizist
Erste
Verkäuferin / Ärztin /
Zweite
Verkäuferin
Der
Lotterieagent
Erster Bursche
Zweiter Bursche |
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