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Sieg der Schönheit

Oper in drei Akten
Libretto von Christian Heinrich Postel
Musik von Georg Philipp Telemann (Braunschweiger Bearbeitung von 1728)


In deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 25' (eine Pause)

Koproduktion mit dem Telemann-Zentrum Magdeburg und der Akademie für Alte Musik Berlin

Premiere am 9. März 2024 im Opernhaus Magdeburg
(im Rahmen der 26. Magdeburger Telemann-Festtage 2024)
(rezensierte Aufführung: 10. März 2024)



Theater Magdeburg
(Homepage)

Vier Hochzeiten und kein Todesfall

Von Thomas Molke / Fotos: © Andreas Lander

Obwohl Georg Philipp Telemann mit seinen ungefähr 50 nachgewiesenen Opern durchaus als "Vielschreiber" im Bereich des Musiktheaters bezeichnet werden kann, sind davon nur acht Werke mehr oder weniger vollständig erhalten. Eine besondere Stellung nimmt die am 13. Juli 1722 am Hamburger Gänsemarkttheater uraufgeführte Oper Sieg der Schönheit ein, die nicht nur einen ambitionierten Neubeginn unter neuer Leitung des Hauses markierte. Telemann feierte auch mit seinem Erstlingswerk als Kapellmeister in Hamburg mit dem für damalige Verhältnisse aufwändig besetzten Werk einen riesigen Erfolg, dem zahlreiche Aufführungen bis 1734 folgten. Der Kompositionsautograph der Uraufführung ist jedoch genauso wenig erhalten wie die Partitur- und Stimmenabschriften. Vollständig überliefert ist hingegen die Braunschweiger Bearbeitung von 1728, die im Vergleich mit dem vorhandenen Arienauszug der Uraufführung einige Unterschiede zur Hamburger Fassung vermuten lässt. Da in Braunschweig für die Aufführung teilweise andere Sängerinnen und Sänger zur Verfügung standen, mussten einige Partien transponiert und bearbeitet werden. Weil die Rezitative harmonisch und melodisch nun teilweise nicht mehr zu den veränderten Tonarten und Tonumfängen passten, wird vermutet, dass der Braunschweiger Kapellmeister Georg Caspar Schürmann sie neu komponiert hat. Auch der Titel wurde in Gensericus abgeändert, was dem Libretto von Christian Heinrich Postel, das Telemann als Vorlage für seine Oper diente, näher kam. Postel selbst hatte den Text Der Große König der Africanischen Wenden Gensericus, als Rom und Karthagens Überwinder genannt und sich dabei an dem venezianischen Libretto Il Genserico von Niccolò Beregan aus dem Jahr 1668 orientiert. Im Rahmen der 26. Magdeburger Telemann-Festtage ist das Werk nun als Koproduktion mit dem Telemann-Zentrum Magdeburg und der Akademie für Alte Musik Berlin im Opernhaus Magdeburg zu erleben, zum zweiten Mal übrigens, denn bereits 1987 stand die Oper hier auf dem Programm, damals unter dem Titel Gensericus.

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Gensericus (Dominik Köninger) will Eudoxia (Lydia Teuscher) heiraten.

Die Oper spielt im Jahr 455 in Rom, als der Vandalenfürst Geiserich (Gensericus) die Hauptstadt des weströmischen Reiches erobert und geplündert hat und dort unter anderem auf die Kaiserwitwe Eudoxia trifft. Die historische Verortung dient aber nur als Folie für ein buntes Liebeskarussell, das sich zwischen den Eroberern und den Besiegten entwickelt. Aus politischem Kalkül will Gensericus Eudoxia heiraten, die aber nicht weiß, ob sie zu einer neuen Hochzeit bereit ist. Seinen Sohn Honoricus will er mit Eudoxias Tochter Eudocia verheiraten, die in der Oper und auch bei Postel Pulcheria heißt, um eine Verwechslung mit der Kaiserwitwe auszuschließen. Während Pulcheria in Honoricus verliebt ist und einer Ehe durchaus nicht abgeneigt ist, glaubt Honoricus, niemals eine lebende Frau lieben zu können, und widersetzt sich den Heiratsplänen seines Vaters. Pulcheria nähert sich ihm daraufhin als Mann verkleidet unter dem Namen Formosus und macht ihn in ein Bildnis der angeblich verstorbenen Pulcheria verliebt. Eudoxias zweite Tochter Placidia ist eigentlich mit dem Patrizier Olybrius liiert, zeigt sich allerdings den Avancen von Gensericus' Heerführer Helmiges nicht abgeneigt, der daraufhin Olybrius zum Duell herausfordert, was dazu führt, dass Gensericus beide verhaften und zum Tode verurteilen lässt. Auch Eudoxias Zofe Melite ist in Helmiges verliebt und verspricht ihm ihre Hilfe bei seiner Werbung um Placidia, wenn er bereit ist, ihr einen Wunsch zu erfüllen, den sie zunächst noch nicht nennen will. Nachdem Placidia einen ihrer beiden Verehrer begnadigen darf, entscheidet sie sich zunächst für Helmiges, was dazu führt, dass Melite nun seine Liebe einfordert. Daraufhin hat Placidia Mitleid mit Olybrius und verhindert seinen Tod, indem sie ihn zum Ehemann wählt. Honoricus erkennt in Formosus schließlich Pulcheria und öffnet sich ihr schließlich, nachdem er befürchtet hat, ihren Tod verschuldet zu haben, und auch Eudoxia willigt in die Ehe mit Gensericus ein, so dass es am Ende vier glückliche Paare gibt.

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Turpino (Dietrich Henschel, Mitte) führt als Spielleiter die anderen Figuren durch das Stück: auf der linken Seite von links: Olybrius (Marko Pantelić), Honoricus (Terry Wey) und Trasimundus (Johannes Stermann), auf der rechten Seite von links: Gensericus (Dominik Köninger), Helmiges (Ludwig Obst) und Eudoxia (Lydia Teuscher).

Das Regie-Team um Kai Anne Schuhmacher inszeniert die recht abstruse Handlung als Stück im Stück. Dafür hat sie die Rolle des Dieners Turpino, der eigentlich mit einem weiteren Diener der Vandalen, Trasimundus, die Verwicklungen im Stück recht bissig kommentiert und dabei auch noch anheizt, in einen Spielleiter umgewandelt, der die ganze Aufführung leitet. Mit roten Teufelhörnchen und Flügeln betritt er die Bühne mit einem Modell eines Theaters, das er während der Ouvertüre in Brand steckt und bis auf die Grundmauern abbrennen lässt. Die Kinderstatisterie, die auf der Bühne zunächst gespielt und sich dann heftig gestritten hat, verstummt bei dem Brand und zeigt sich sichtlich bewegt. Die Bühne von Lisa Däßler zeigt dann wohl den abgebrannten Theaterbau, auf dem im Folgenden Turpino die Geschichte aufführen lassen will. Dazu benötigt er natürlich Darstellerinnen und Darsteller, die die Kinder allesamt aus dem Publikum holen. In moderner Alltagskleidung werden sie Teil der Inszenierung und verwandeln sich im weiteren Verlauf mit aufwändigen Barockkostümen von Valerie Hirschmann in die Figuren des Stückes. Das Publikum wird auch im zweiten Teil nach der Pause in das Stück einbezogen. Zur Hochzeit von Eudoxia und Gensericus werden vier Zuschauer*innen auf der Bühne platziert, die gewissermaßen als Hochzeitsgäste fungieren und Reis auf das Brautpaar werfen müssen. Erst als mit mehreren Explosionen alles aus dem Ruder zu laufen scheint, werden die Zuschauer*innen wieder von der Bühne zu ihren Plätzen gebracht.

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Pulcheria (Anna Willerding, rechts) nähert sich Honoricus (Terry Wey, links) als Formosus.

Und Kai Anne Schuhmacher scheint großes Vergnügen dabei zu haben, einiges auf der Bühne im Chaos versinken zu lassen. So fallen die Darstellerinnen und Darsteller immer wieder aus ihren Rollen, so dass Turpino eingreifen muss, um alle wieder in das Stück zurückzuführen. Dadurch entsteht eine unglaubliche Komik, die den Abend sehr unterhaltsam macht. So finden beispielsweise Placidia und Olybrius mehrere Male zueinander und stimmen ein Liebesduett an, obwohl ihr "Happy End" an dieser Stelle noch gar nicht vorgesehen ist. Eudoxia macht Gensericus bei der Trauung mehr als deutlich, dass es sich nur um eine strategische Verbindung handelt. Anfassen ist nicht, was sie beim Liebesduett immer wieder unterstreicht. Auch gegen einen Kuss wehrt sie sich vehement. Passend dazu ist auch, dass die Schleier, die den Frauen bei der Hochzeit aufgesetzt werden, aus den alten beige-farbenen Vorhängen des Theaters bestehen und somit alles andere als hübsch oder romantisch aussehen. Bei der Hochzeit zwischen Honoricus und Pulcheria wird der Schleier dann Honoricus aufgesetzt, weil Pulcheria sich ja lange Zeit als Mann ausgegeben hat und Honoricus nicht zuletzt wegen der hohen Countertenorstimme fast weiblicher wirkt als seine Gattin. Auch beim glücklichen Ende der vier Paare stellt Schuhmacher einiges auf den Kopf. So entspinnt sich eine Liebesbeziehung zwischen den beiden Rivalen Olybrius und Helmiges, die Placidia zu einer Menage à trois erweitert, was dann einen Musiker aus dem Orchestergraben veranlasst, sich aus dem Graben zu schleichen, um ein Selfie mit den drei Verliebten zu machen. Melite ist darüber natürlich alles andere als begeistert. Aber da weiß Eudoxia Rat und tritt einfach ihren Rang und ihren Gatten Gensericus an sie ab. Trasimundus steigt aus dem Spiel aus und verwandelt sich wieder in den Opernbesucher vom Anfang. So kommt eigentlich trotz der Länge von knapp dreieinhalb Stunden keine Langeweile auf.

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Olybrius (Marko Pantelić) liebt Placidia (Sunhae Im).

Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf hohem Niveau. Die Akademie für Alte Musik Berlin, die bereits 2006 mit dem Telemann-Preis der Stadt Magdeburg ausgezeichnet worden ist, stellt unter der Leitung von Michael Hofstetter unter Beweis, dass die Musikerinnen und Musiker allesamt auf Alte Musik spezialisiert sind, und arbeitet die unterschiedlichen Klangfarben, die Telemann hier sehr farbenreich eingesetzt hat, mit großer Präzision heraus. So findet Hofstetter mit dem Orchester differenzierte Töne, um die komischen und teilweise auch tragischen Momente der Oper zu betonen. Das Ensemble begeistert nicht nur durch enorme Spielfreude, sondern überzeugt auch stimmlich auf ganzer Linie. Dabei ist hervorzuheben, dass Telemann hier zehn mehr oder weniger gleichwertige Partien geschaffen hat, die allesamt die Möglichkeit erhalten zu glänzen. Die stärkeren Figuren im Stück sind dabei die besiegten Römerinnen, bei denen man das Gefühl hat, dass sie allesamt am Ende ihren Willen durchsetzen können. Lydia Teuscher punktet als Kaiserwitwe Eudoxia mit beweglichem Sopran und großartigen Läufen. Anna Willerding besitzt als Pulcheria großartige Komik, wenn sie sich als Formosus verkleidet und auf diesem Weg versucht, Honoricus' Herz zu erobern. Dabei begeistert sie mit rundem Sopran, der in den Höhen große Strahlkraft besitzt. Am Ende gelingen ihr sehr zarte Töne, wenn sie entseelt zu Boden sinkt. Enorme Bühnenpräsenz besitzt sie dann in Honoricus' folgender emotional bewegender Arie, wenn er sie für tot hält und sie wie ein Geist im Hintergrund erscheint. Sunhae Im stattet die Partie der Placidia mit leuchtenden Höhen aus und entfaltet in ihrem Spiel mit den beiden Männern, die sie verehren, ebenfalls überbordende Komik. Auch bei der abschließenden Menage à trois geht sie darstellerisch aufs Ganze. Sarah Alexandra Hudarew überzeugt als Zofe Melite mit dunkel gefärbtem Mezzosopran und keckem Spiel.

Dominik Köninger gibt als Gensericus einen Eroberer, den man eigentlich nicht ganz ernst nehmen kann. Mit dem Fatsuit, den er zu Beginn anlegen muss, wirkt er sehr behäbig und unbeweglich und spielt das mit überbordender Komik aus. Besonders witzig sind seine verzweifelten Versuche, seine Braut zu küssen. Stimmlich punktet er mit profundem Bariton. Terry Wey gibt seinen Sohn Honoricus mit weichem Countertenor und klaren Höhen. Große Komik entfacht er in seinem Spiel als Imker vor allem dann, wenn er seinen Selbstmord plant, indem er den Kopf in den Bienenstock steckt. In seiner letzten klagenden Arie bewegt er mit verletzlicher Stimme und zeigt, dass er auch sehr ernste Töne anschlagen kann. Marko Pantelić zeichnet den Olybrius mit warmem Bariton als stellenweise recht weinerliche Figur, punktet dabei aber ebenfalls mit großer Komik. Gleiches gilt für Ludwig Obst als Helmiges, der den Heerführer mit kraftvollem Tenor ausstattet. Johannes Stermann überzeugt als Trasimundus mit dunkel gefärbtem Bass, und Dietrich Henschel rundet das Ensemble als Turpino mit großem komödiantischem Talent und enormer Bühnenpräsenz ab. So gibt es für alle Beteiligten verdienten und großen Applaus.

FAZIT

Mit dieser Produktion ist den Magdeburger Telemann-Festtagen in jeder Hinsicht ein großer Coup gelungen. Ob das Stück allerdings für andere Bühnen repertoiretauglich ist, kann bezweifelt werden.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Michael Hofstetter

Inszenierung
Kai Anne Schuhmacher

Bühne
Lisa Däßler

Kostüme
Valerie Hirschmann

Dramaturgie
Marie Julius
Ulrike Schröder


Akademie für Alte Musik Berlin

Kinderstatisterie des
Theaters Magdeburg


Solistinnen und Solisten

*rezensierte Aufführung

Eudoxia
Lydia Teuscher

Placidia
Sunhae Im

Pulcheria
Anna Willerding

Melite
Emilie Renard /
Sarah Alexandra Hudarew

Olybrius
Marko Pantelić

Gensericus
Dominik Köninger

Honoricus
Terry Wey

Helmiges
Ludwig Obst

Trasimundus
Johannes Stermann

Turpino
Dietrich Henschel



Weitere
Informationen

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Theater Magdeburg
(Homepage)



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