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Spaß im Theater Von Thomas Molke / Fotos: © Martina Pipprich
Von Jacques Offenbach gibt es neben den bekannten Werken des Repertoires wie beispielsweise Les contes d'Hoffmann, Orphée aux enfers oder La belle Hélène zahlreiche Operetten, die größtenteils in den Archiven schlummern, da die satirisch-hintergründige Handlung doch sehr auf die Entstehungszeit bezogen ist und die daraus resultierende Komik sich heute nur bedingt erschließt. In Münster hat man nun ein Stück "ausgegraben", das am 26. Januar 1877 eine umjubelte Premiere im Théâtre des Variétés feierte, aber nach rund 40 Vorstellungen vom Spielplan genommen wurde und in Vergessenheit geriet: Doktor Ox. Eine revidierte Fassung kam in Köln rund 100 Jahre später am 19. September 1978 heraus. Eine Aufführung am Théâtre de L'Athénée in Paris 2003 wurde auf DVD herausgebracht. Ansonsten blieb das Werk sehr unbekannt. Das will Anna Weber in Münster nun ändern und hat eine deutsche Spielfassung erstellt, die als großer Theater-Spaß "Operette für alle!" bieten soll. Selbst die Einnahme des Nachmittagstees verbreitet in Quiquendonne Hektik: von links: Herr van Tricasse (Christian Bo Salle), Niclause (Gregor Dalal), Lotsche (Luise von Stein), Frau van Tricasse (Barbara Bräckelmann) und Suzel (Katharina Sahmland). Die Handlung basiert auf der Kurzgeschichte Une fantaisie du docteur Ox von Jules Verne aus dem Jahr 1872. Sie spielt in dem beschaulichen Städtchen Quiquendonne, in dem alles in langsamem Tempo friedlich und ruhig abläuft. Hier plant der wohlhabende Doktor Ox gemeinsam mit seinem Assistenten Ygen ein Experiment. Wasserstoff und Sauerstoff (Oxygen) werden voneinander getrennt und auf unterschiedlichen Wegen in die Stadt gepumpt. Dadurch entsteht ein enormes Wachstum bei den Pflanzen, und die Menschen werden lebhafter aber auch wesentlich aggressiver, so dass sie gegen die Nachbarstadt in den Krieg ziehen wollen. Ein Unfall in Doktor Ox' Fabrik führt zu einer großen Explosion, bei der sich die Gase wieder vermischen und den ursprünglichen Zustand in der Stadt wieder herstellen. Offenbach reichert diese Geschichte um zwei Liebesgeschichten an. Suzel, die Tochter des Bürgermeisters van Tricasse, die eigentlich mit Franz verlobt ist, soll den Forscher Doktor Ox heiraten, wenn er die Stadt mit seinem Experiment zum Wohlstand führt. Das gefällt Prascovia, der ehemaligen Geliebten des Doktors, die ihm mit einer Musikbande heimlich in die Stadt gefolgt ist, überhaupt nicht, und so versucht sie, den Doktor wieder für sich zu gewinnen. Das Gas erweckt in Quiquendonne vor allem die Lust am hedonistischen Konsum und der freien Liebe, führt aber nicht dazu, dass die Wirtschaft belebt wird, was das eigentliche Ziel des Bürgermeisters war. So rebellieren die hohen Herren der Stadt am Ende selbst gegen den Doktor und lösen die Explosion aus, die die Fabrik in Schutt und Asche legt. Ox gesteht Prascovia erneut seine Liebe, und auch Suzel und Franz finden wieder zueinander. Ob die beiden aber ihre Hochzeit erleben werden, wenn alles in der Geschwindigkeit vom Anfang weitergeht, lässt die Aufführung offen. Das Experiment kann beginnen: Doktor Ox (Garrie Davislim, Mitte hinten rechts) und sein Assistent Ygen (Ludwig Obst, Mitte hinten links). Sina Manthey hat für die Bühne einen Raum entworfen, der die phlegmatische und langsame Welt von Quiquendonne passend einfängt. Ein nach hinten leicht ansteigender abgeschlossener Raum erinnert in der Struktur an eine Art Gummizelle. Die vertäfelten weißen Wände sind allesamt gepolstert, so dass man nirgendwo wirklich anecken kann. In der Decke prangt ein riesiges schwarzes Loch, das den Eindruck vermittelt, dass dieser Raum allmählich schmilzt. Vor dem Orchestergraben gibt es einen weißen Steg, der den Figuren ermöglicht, aus diesem Raum und ihrer Langsamkeit herauszutreten. Auch die Kostüme von Hanna Rode fangen die Behäbigkeit der Bürgerinnen und Bürger in grauen weiten Kostümen passend ein, da diese ebenfalls keine Ecken und Kanten haben. Die Haare sind allesamt grau und auftoupiert, wobei ein erweiterter Kopfschmuck Standesunterschiede zwischen den Figuren andeutet. Nur die Hausangestellte Lotsche fällt aus dem Rahmen. Sie scheint zu Beginn auch die einzige zu sein, die diesen gemächlichen Raum der Langsamkeit verlassen kann. Doktor Ox und sein Assistent Ygen treten als Wissenschaftler in Anzügen auf, deren Farbe dem Grün des Labors entnommen ist, das sich hinter diesem abgeschlossenen Raum befindet. Wenn die Rückwand in den Schnürboden gezogen wird, sieht man auf einer kleinen schrägen Drehscheibe einen von Nebel umwaberten grünlichen Raum, in dem ein Gebilde mit weißen Kugeln hängt, das ein wenig an ein Planetensystem erinnert. Prascovia (Judith Gennrich, rechts) kommt mit der Musikbande der Träumer nach Quiquendonne. Sehr fantasievoll sind auch die Kostüme von Prascovias Musikbande der Träumer gestaltet. Die Figuren verschmelzen gewissermaßen mit dem Instrument, das sie spielen. Farblich heben sie sich deutlich von den Bewohner*innen von Quiquendonne ab. Wenn das Gas dann seine Wirkung tut und alle nur noch für die Lust leben, werden plötzlich rote Röcke bzw. Hosen unter den grauen Kostümen sichtbar. Auch die Requisiten haben an Größe zugenommen. So treten die Bürgerinnen und Bürger mit riesigen Käsestücken, Fischen, Teetassen und Teekannen auf und haben sichtlich Spaß. Der Bürgermeister vergnügt sich mit Lotsche und überlässt ihr sogar seinen Kopfschmuck. Frau van Tricasse gesteht ihrem Schwager Niclause ihre Gefühle, und auch Franz, Suzel und Josse machen die Erfahrung der freien Liebe. Regisseurin Anna Weber inszeniert die Geschichte mit viel Augenzwinkern und einer guten Prise Humor. Bisweilen wird bei den Liedern in den Übertiteln auch nicht der gesungene Text eingeblendet, sondern ein leicht ironischer Kommentar zu der jeweiligen Nummer abgegeben, die auf der Bühne gerade angestimmt wird. Auch die Verwechslungen inszeniert Weber mit großem Tempo. Der Präsident, in dessen Verkleidung zunächst Ox und später sein Gehilfe Ygen schlüpfen, wird kurzerhand aus der ersten Reihe des Publikums auf die Bühne gezerrt. So weiß man am Ende kaum noch, wer wer ist, bevor es dann im dritten Akt zum Showdown kommt und nach der Explosion des Labors der Anfangszustand wieder hergestellt wird. Orgiastische Feier in Quiquendonne (Ensemble) Auf die Ouvertüre des Werkes wird an diesem Abend verzichtet. Wenn das Publikum in den Saal kommt, ist die Handlung quasi schon "in vollem Gange". Man sieht den Bürgermeister mit seiner Familie, Niclause, Franz und seinem Vater Josse in Zeitlupe auf der Bühne agieren. Frau van Tricasse strickt, wobei sich das Gestrickte immer wieder auflöst. Aus dem Orchestergraben erklingt langsame Musik, die im Stil fast an Barockmusik erinnert. Relativ unvermittelt geht diese Szene dann in den Abend über, wenn das Licht im Saal erlischt und die Solistinnen und Solisten auf der Bühne zu singen beginnen. Dabei erklingt am Anfang ein Lied, das am Ende wieder aufgenommen wird, wenn nach dem ganzen Chaos, das das Gas verursacht hat, der Zustand vom Beginn des Abends wieder hergestellt ist. Beim beginnenden Schlussapplaus strömt dann noch einmal das ganze Ensemble auf die Bühne und vermittelt die "Moral von der Geschichte": Habt Spaß im Theater! Thorsten Schmid-Kapfenburg lotet mit dem Sinfonieorchester Münster die unterschiedlichen Tempi der Partitur differenziert aus. So gelingen ihm wunderbar langsame Bögen, um den Lauf der Dinge im verschlafenen Städtchen Quiquendonne zu zeichnen, die sich durch die Wirkung des Oxygens in eine Klangwelt verwandeln, wie man sie aus anderen Offenbach-Operetten gewohnt ist. Auch der um den Extrachor erweiterte Opernchor unter der Leitung von Anton Tremmel begeistert durch große Spielfreude und homogenen Klang. Am Ende der Pause heizt er im Foyer die Stimmung so richtig an, so dass man gar nicht weiß, ob man sich trotz des Klingelzeichens schon wieder in den Saal begeben möchte. Auch die Solistinnen und Solisten bewegen sich auf gutem Niveau. Garrie Davislim gibt die Titelpartie als leicht abgehobenen Wissenschaftler mit leicht britischem Standesdünkel und punktet durch sauber angesetzten Tenor. Wunderbar versucht er zunächst, vor seiner ehemaligen Geliebten Prascovia zu fliehen, und denkt sich immer wieder neue Gemeinheiten aus, bis er am Ende ihrem Charme dann doch erliegt. Judith Gennrich gestaltet die Partie der Prascovia mit vollem Mezzosopran und intensivem Spiel, entfacht dabei aber auch eine enorme Komik, wenn sie Ox zu überlisten versucht. Niclause (Gregor Dalal) liebt seine Schwägerin Frau van Tricasse (Barbara Bräckelmann). Ludwig Obst legt Ox's Assistenten Ygen mit großem Spielwitz an und flirtet dabei heftig mit Lotsche, der Angestellten des Hauses. Luise von Stein versprüht als pfiffige Angestellte freche Komik und zieht aus den Männern einen monetären Vorteil. Musikalisch bleibt vor allem die Nummer des Niclause im Ohr, der sich rühmt, seiner Schwägerin um die Taille gefasst zu haben. Gregor Dalal punktet hier mit überbordender Komik, wenn er durch den Genuss des Gases allmählich seine Hemmungen verliert und offen die Gefühle für seine Schwägerin gesteht. Barbara Bräckelmann entwickelt sich mit dunkel gefärbtem Mezzo von einer gemächlich strickenden Gattin in eine feurige Liebhaberin, die neben Niclause auch noch weitere Eisen im Feuer hat. Auch die übrigen kleineren Partien sind gut besetzt, so dass es für alle Beteiligten großen Beifall gibt, in den sich auch das Regie-Team einreiht. FAZIT Anna Webers Inszenierung der unbekannten Offenbach-Operette macht großen Spaß, auch wenn das Stück insgesamt nicht als ganz großer Wurf des "Kölner Jungen" betrachtet werden kann.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung
Regie
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Choreinstudierung Dramaturgie
Sinfonieorchester Münster Opernchor
und Extrachor
Solistinnen und Solisten *Premierenbesetzung
Doktor Ox Prascovia Ygen,
Ox's Assistent Lotsche,
Angestellte im Haus der Tricasses Herr van Tricasse, Bürgermeister Frau van
Tricasse Suzel, Tochter der Tricasses Niclause,Verwandter
der Tricasses Josse, Freund des Bürgermeisters Franz, Josses Sohn Musikbande der Träumer Bratsche Gitarre Klarinette Tuba Kontrabass Cello Präsident
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