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Die reine Liebe ist stärker als der TodVon Stefan Schmöe / Fotos von Marco Borggreve © Nederlandse Reisopera
Für Erich Wolfgang Korngold, das Wunderkind der frühen Weimarer Republik, war der Gipfel des Ruhmes bereits überschritten, als 1927 Das Wunder der Heliane in Hamburg uraufgeführt wurde. Ernst Krenek hatte ein halbes Jahr zuvor mit Jonny spielt auf außerordentlich erfolgreich neue Töne angeschlagen - und neue Themen für das Theater vorgegeben. Korngold dagegen verweigerte sich der "Zeitoper" und blieb durch und durch Romantiker. Sein in märchenhafter Zeit angesiedeltes Sujet geht auf das Drama Die Heilige von Hans Kaltneker (1895 - 1919) zurück, ein "anarchistisch-visionäres Mysterium" (Wikipedia). Der Inhalt: Ein freudloser Herrscher, dem sich seine schöne Gattin Heliane sexuell verweigert, lässt einen geheimnisvollen Fremden verhaften und zum Tode verurteilen, weil dieser den Menschen Glück verspricht. Heliane besucht den Todeskandidaten, entkleidet sich auf dessen Wunsch, verwehrt ihm aber die Liebesnacht. Vom Herrscher überrascht, wird auch sie vor Gericht gestellt. Weil der Fremde sich selbst ersticht, bevor er eine Aussage macht, soll ein Gottesurteil entscheiden: Kann Heliane den Toten wiedererwecken, so ist sie rehabilitiert. Das gelingt zwar, aber der Herrscher ersticht sie darauf aus Eifersucht. Auch dieser Tod ist nicht von langer Dauer, denn auch Heliane erhebt sich alsbald wieder und schreitet mit dem Fremden in glücklichere Sphären ab. Die reine Liebe hat gesiegt. Korngold malt diese merkwürdige Geschichte musikalisch mit allem spätromantischem orchestralen Pomp, der ihm zur Verfügung steht, aus: Da gehören auch Celesta, Klavier, Harmonium und Orgel zum Riesenorchester. Vor allem dieser Aufwand dürfte verhindert haben, dass sich das Werk trotz der ungebrochenen Popularität von Korngolds Sensationserfolg von 1920 Die tote Stadt (die inhaltlich auch nicht gerade einfach ist) bis heute nicht durchsetzen konnte - wobei die Produktion an der Deutschen Oper Berlin 2018 vielleicht einen wichtigen Impuls gegeben hat, diese Oper stärker in den Blick zu nehmen. Im Kerker: Der Fremde. (Rechts an der Wand sitzt "der Engel", eine von der Regie hinzuerfundene Figur.)
Die Nederlandse Reisopera hat als Tourneetheater gänzlich andere Voraussetzungen als das große Berliner Haus und wagt sich trotzdem an die Heliane. Fergus McAlpine hat eine (von Korngolds Erben abgesegnete) neue Fassung erstellt, die den Orchesterapparat auf Stadttheaterformat zurechtstutzt. In der hier besprochenen zweiten Aufführung lässt sich nur schwer beurteilen, inwieweit der Überwältigungseffekt der Originalfassung dadurch geschmälert wird; die problematische Akustik im Parktheater in Eindhoven beschneidet die Lautstärke doch immens. In leisen Passagen trägt der Raum den Klang sehr gut und differenziert, da schillern Korngolds Farben auch in dieser Fassung faszinierend; aber jegliches Forte oder gar Fortissimo verpufft weitgehend wirkungslos - das sollte in anderen Sälen besser sein. Dirigent Jac van Steen findet mit dem zuverlässigen Noord Nederlands Orkest einen unsentimentalen, erzählerischen Tonfall, der das Pathos der großen Momente nicht unterschlägt, aber bewusst ansteuert und der Gefahr einer Dauerüberwältigung entgegensteuert. Sicher gibt es eine Nähe zur Filmmusik (damit wurde Korngold bekanntlich später in Hollywood berühmt). Aber das umstrittene Werk erweist sich auch in dieser Version als facettenreich und musikdramaturgisch spannend. Eheprobleme: Der Herrscher und Heliane
Die szenischen Probleme löst das Regieteam um Jakob Peters-Messer alles in allem recht geschickt. Bühnenbildner Guido Petzold hat einen nüchtern weißen, abgeschlossenen Raum geschaffen, der nach hinten spitz zuläuft (und damit geschickt den Schall reflektiert, was den Sängern entgegenkommt, die sich gut gegen das Orchester behaupten können). Die gewellte Decke ist verspiegelt, was immer wieder unwirkliche Lichtreflexe ermöglicht, die einer allzu realistischen Ausdeutung entgegenwirken. Im ersten Akt liegt der inhaftierte Fremde auf einer Liege mit Chromgestell - unterkühlte Moderne, die an ein Büro oder Sanatorium denken lässt. Im zweiten Akt wandelt sich der Raum zum Gerichtssaal mit einer imposanten Tribüne für die sechs Richter; für das Volk gibt es Plastikschalensitze, die eine gehörige soziale Kluft zwischen Obrigkeit und Untertanen andeuten. Der Fremde wird nach seinem Tod auf einer aus Europaletten und einem Metallgestell improvisierten Tisch aufgebahrt, dessen Materialien das Pathos der Szene ironisch unterlaufen. Im dritten Akt wird der Raum zur wilden Müllhalde mit umgekippten Containern, wodurch sich die Handlung vom Kammerspiel zum Gesellschaftsdrama weitet. Natürlich ist vorhersehbar, dass sich die Wände zum Erlösungsfinale öffnen - wirkungsvoll ist es trotzdem. Aufforderung zum Gottesurteil: Heliane soll als Beweis ihrer Unschuld den Fremden, der sich durch Selbstmord einer gerichtsfesten Aussage über die Geschehnisse im Kerker entzogen hat, zum Leben erwecken.
Die Regie überzeugt immer dann, wenn sie sich auf die Hauptfiguren konzentriert. Der Fremde in märchenhaftem Gewand (blaues Hemd, weite Hose, keine Strümpfe und Schuhe - das widersetzt sich jedem Konformismus), Heliane im strengen gelben Kleid (das sie für den Fremden öffnet, auf ein vollständiges Entkleiden verzichtet die Regie) und der Herrscher im nüchternen Schwarz bilden eine fast abstrakte, überzeitliche Dreieckskonstellation, die in ihrer Sachlichkeit wohltuend klar ist. Schwieriger ist die Gestaltung der Kostüme (Tanja Liebermann) bei den kleineren Rollen. Nicht bei den Richtern in Anzügen; aber der Pförtner in der Uniform eines Wachtmanns (stimmlich etwas matt: Zachary Altman) und die (auf Heliane eifersüchtige und daher intrigante) Botin als Sekretärin (schneidend scharf und zupackend: Ursula Hesse von den Steinen) verschieben die Akzente hin zu einer Konkretisierung, die von der Regie aber nicht eingelöst wird. Und der stimmlich ganz ausgezeichnete und bestechend präsente Chor Consensus Vocalis (die Reisopera besitzt keinen eigenen Chor) ist allzu bunt und vordergründig heutig ausstaffiert - da hätte mehr ästhetische Strenge, wie sie an anderen Stellen die Inszenierung prägt, gutgetan. Manche Anspielung; die der Regisseur im Programmheft erwähnt, bleiben in der Bühnenwirklichkeit unkenntlich, was letztendlich kein Schaden ist. Eine (stumme) Rolle im grauen Kapuzenanzug ist neu hinzuerfunden. "Angel" ist auf der Vorderseite aufgedruckt, "der Engel" heißt die Figur auf dem Besetzungszettel. Tänzerin und Choreographin Nicole van den Berg bleibt oft lange am Rande des Geschehens, und sitzt zusammengekauert an der Wand; dann wieder kommentiert sie mit großen Bewegungen die Handlung. Schlüssig nachvollziehbar ist das im Detail nicht, setzt aber nicht ungeschickt einen Akzent auf das Irrationale, das sich bereits im Titel der Oper andeutet und besser aufgeht als der Realismus mancher Kostüme. Erster Teil des Doppelwunders: Der Fremde wird wieder lebendig.
Dazu wird großformatig gesungen. Annemarie Kremer gibt der Heliane eine lyrisch geprägte, immer klangschön geführte Stimme mit der Kraft zur dramatischen Attacke. Sie ist keine mädchenhaft zarte, sondern durchaus gestandene Frau, die Ruhe und Entschlossenheit ausstrahlt und große Bühnenpräsenz einbringt. Szenisch wie musikalisch bildet sie unangefochten das Zentrum. Tilman Unger singt mit leicht baritonal gefärbtem, nicht zu schwerem und elegant geführtem Tenor den Fremden und gibt ihm mit blendender Erscheinung die charismatische Aura, die das Geschehen in Gang bringt. Darren Jeffery, stimmlich von beeindruckender Souveränität, ist ein nicht mehr junger, trauriger Herrscher - kein Despot, sondern ein verzweifelter und hilfloser alter Mann. Für diese Hauptrollen hat Peters-Messer eine unaufgeregt klare Personenregie gefunden. Paul McNamara gibt dem blinden Schwertrichter scharfes Profil, und die sechs "regulären" Richter (Sander de Jong, Ross Ramgobin, Wiebe-Pier Cnossen, Lucas van Lierop, Aleš Janis und Artur Janda) bilden ein beeindruckendes Sextett von gefährlicher Durchschlagskraft.
Sängerisch ein eindrucksvoller Abend für die Niederländische Reiseoper, die akustisch bessere Räume verdient hat - so muss man in anderen Häusern urteilen, wie gut die reduzierte Orchesterfassung funktioniert und ob sie dem Werk einen Weg ins Repertoire bereiten könnte. Das Regieteam findet eindrucksvolle Bilder und überzeugt vor allem da, wo es auf eine Konkretisierung und zusätzlichen Deutungsballast verzichtet. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Licht
Kostüme
Choreographie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Heliane
Der Herrscher, ihr Gemahl
Der Fremde
Die Botin
Der Pförtner
Der Schwertrichter (blind)
Der junge Mensch
Der erste Richter
Der zweite Richter
Der dritte Richter
Der vierte Richter
Der fünfte Richter
Der sechste Richter
Seraphische Stimmen
Der Engel
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