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Niedergang einer Spaßgesellschaft Von Christoph Wurzel / Fotos: © Martin Sigmund Über Mahagonny kam es zum Zerwürfnis zwischen Bert Brecht und Kurt Weill. Was ist wichtiger, der Text oder die Musik? Diese alte Frage der Operngeschichte entzweite Dichter und Komponist. Zudem hätte Brecht, der die Oper als bürgerlich-dekadente Kunstform ansah, am liebsten mit diesem Werk die Gattung als Ganze zu Grabe getragen. Weill dagegen suchte anknüpfend an den "Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst" seines Lehrers Ferruccio Busoni nach nichts weniger als einer neuen Form für die Oper als zeitgemäße Gattung. Die erste gemeinsame Arbeit mit Brecht, die Dreigroschenoper - eher Schauspiel mit Songs als Oper - ermöglichte Weills Anliegen einer Opernreform nicht. Mit Brechts Text vom Aufstieg und Fall der Sadt Mahagonny ließ sich aus seiner Sicht das neue Musiktheater aber verwirklichen. Durch die epische Form der stufenartigen Aneinanderreihung von Zuständen in den einzelnen Bildern konnte Weill eine in sich dramaturgisch geschlossene Oper "nach rein musikalischen Gesetzen" gestalten. Nur so ließen sich tradierte Formelemente einsetzen, die Weill allerdings nicht in herkömmlicher Weise verwendete, sondern verfremdet bis hin zur Negation: Arie, Duett, Melodram, auskomponierte Szene, Stretta, aber auch Formen kontrapunktischer Komposition, Cantus Firmus oder Choral. Verbunden mit Elementen der Unterhaltungsmusik wie Tango, Marsch oder Songs ergeben diese Kompositionstechniken die vielfältige Totalität eines - in den Augen Weills - Musiktheaters der Zukunft. Die Musik in Mahagonny sollte weder Seelenzustände repräsentieren noch Handlung nachahmen oder Stimmungen malen, sondern Weill setzt mit ihr einen dramaturgischen Kontrapunkt zum Text: schlagkräftig z.B. dort, wo er Brechts Nihilismus ("Ihr sterbt mit allen Tieren und es kommt nichts nachher") musikalisch in die Form eines Bach'schen Chorals kleidet. Text und Musik sind in diesem Werk also gleichberechtigt, bedingen sich sogar gegenseitig. Bedauerlich, dass dies in der Stuttgarter Produktion zu wenig realisiert wird. Denn das Orchester ist auf der Hinterbühne postiert, während vorn, durch einen Laufsteg ins Publikum noch verlängert, gespielt und gesungen wird. Die übliche Gefahr in der Oper, dass der Gesang vom Orchester überdeckt wird, tritt hier umgekehrt ein: Das Orchester ist zu oft nur schwach und undeutlich im Hintergrund zu hören. Aber Weills Musik ist eben weit mehr als nur Begleitmusik. Es verwundert daher, dass GMD Cornelius Meister mit dieser unbefriedigenden Lösung einverstanden war. Ida Ränzlöv (Jenny), Alisa Kolosova (Leokadja Begbick) sowie Chor und Statisten Worum geht es überhaupt in dieser Oper? Drei Ganoven (der Prokurist Fatty, Dreieinigkeitsmoses und die Witwe Begbick) bleiben auf der Flucht vor den Konstablern mit einer Autopanne mitten in der Wüste liegen. Um zu Geld zu kommen, beschließen sie, dort eine Stadt zu gründen, die sie Mahagonny nennen, die Netzestadt: Kundenfang mit dem Angebot auf Nichtstun und Konsum, vollständige Bedürfnisbefriedigung für die Männer von der Goldküste. Schnell kommt der Aufschwung, Mädchen eröffnen den Sexbetrieb, Whisky-Bars schießen aus dem Boden, Glücksspiel und Boxturniere blühen. Unter den sehnsüchtigen Kunden ist auch der gutgläubige Jim Mahoney. Mit der Zeit wird den Leuten die Sinnlosigkeit dieser Paradiesestadt aber langweilig. Und als ein Taifun an der Stadt vorbeizieht, erfindet Jim ein neues Gesetz: Alles soll erlaubt sein. Hemmungsloser Konsum, die totale Spaßgesellschaft. Nur eine Grenze gibt es: Wer kein Geld hat, wird "abgeläutet". Es trifft Jim Mahoney, der seine Zeche nicht bezahlen kann und also zum Tode verurteilt wird. Am Schluss hilft auch kein Gott mehr. Im Gegenteil: Niemand will und kann niemandem helfen. Die Stadt taumelt dem Ende entgegen. Kai Kluge als Jim Mahony sowie Elmar Gilbertsson, Joshua Bloom und Björn Bürger Die Regisseurin Ulrike Schwab erzählt das ganze Geschehen aus der Sicht der Stadtunternehmerin Begbick (Alisa Kolosova mit mächtigem Mezzo und starkem Akzent) und der Hure Jenny, wie eine Popdiva im silbern glitzernden, eng anliegenden Overall und strohblonder Perücke perfekt gemimt und ebenso kühl wie ihr Kostüm und emotionsfrei gesungen von Ida Ränzlöv. Sex ist ihr Geschäftsmodell, Romantik scheidet aus und so wird das einzige Liebesduett dieser Oper durch ihre Distanziertheit ebenso wie durch die Molltristesse der Musik treffend konterkariert. Da nützt es nichts, dass der verliebte Jim Mahoney (Kai Kluge mit bestens sitzendem Tenor) noch so lyrisch singt: Liebe gibt es in Mahagonny nicht, nicht einmal Solidarität. Nur "Geld macht sinnlich". Denn, so die Quintessenz: "Wenn einer tritt, dann bin ich es. Und wird einer getreten, dann bist's du." Nachdem der Taifun Mahagonny wie ein Wunder (welch Ironie!) verschont hat, bricht dort der pure Bedürfnis-Anarchismus aus, den das Regieteam in schrillen Bildern und mitunter wuseliger Personenführung inszeniert. Hier entgeht die Inszenierung nicht der Gefahr, sich in bloßen Showeffekten zu erschöpfen. Peinlich wird es regelrecht, als ein angeblich freiwilliger älterer Herr aus dem Publikum sich auf der Bühne einem (allerdings nur angedeuteten) Sado-Maso-Ritual aussetzen muss. Das Publikum beklatscht dabei fröhlich seinen eigenen Voyeurismus. Zwei goldene Kälber (welche Symbolkraft!) werden aufgefahren, wenn sich einer der Männer zu Tode frisst und beim Boxkampf wird ein anderer gnadenlos niedergeprügelt. Viel spaßiger Aktionismus überdeckt hier die bitter sarkastische Kritik an hemmungslosem Konsum, bitterer Entfremdung durch schnödes Gewinnstreben und die Entmenschlichung aller personalen Beziehungen, wie sie Gegenstand dieser Oper sind. Das Ensemble in der Schlussszene Etwas gezwungen wirkt die überdeutliche Bibel-Affinität der Gerichtsszene, in der Jim Mahoney durch ein Scherbengericht von Toga tragenden Männern verurteilt wird. Jenny erscheint als Madonna in Raffael-Blau und Jim vertraut ihr seinen Freund Tobby an wie Jesus den Jünger Johannes gegenüber seiner Mutter unterm Kreuz. Dann wird Jim auf einer Art Kalvarienberg aus zerdrücktem Blech von Jenny erschossen (Es soll vom Dach des Opernhauses stammen, das im vergangenen Jahr von einem Orkan heruntergerissen wurde). Alles soll irgendwie auch an des Jüngste Gericht erinnern, welches in Gestalt von Michelangelos Fresco auf den Bühnenboden gemalt ist. Vom Parkett aus ist dies allerdings nur schwer auszumachen. Stimmiger gelingt dagegen die Szene, in der die Männer es sich bei sentimentaler Pianomusik an der Bar gemütlich gemacht haben und einer von ihnen in einer romantischen Ballade an ihre Holzfäller-Zeit in Alaska erinnert. Die Regie macht daraus eine herrliche Parodie auf Opernszenen im Salon mit Gesangseinlagen à la Rosenkavalier. Wie es aber in dieser antiillusionistischen Oper eben kommt: am Schluss bricht die Stimmung wieder im Chaos zusammen. Wie eingefroren dagegen harren die Leute auf der Szene dem sich bedrohlich nähernden Taifun entgegen, während Durchsagen immer neue Katastrophenmeldungen seiner Zerstörungskraft verkünden. Hier kommt wenigstens einmal die Musik zu vollen Recht. Cornelius Meister lässt die harte Polyphonie dieser Stelle prägnant zum Ausdruck kommen. Darstellerisch und gesanglich bleiben in dieser Produktion keine Wünsche offen. Neben den bisher Genannten macht die Männerriege aus Elmar Gilbertsson (Dreieinigkeitsmoses), Joseph Tancredi (Jakob Schmitt und Tobby Higgins), Börn Bürger (Sparbüchsenbill) und Jasper Leever (Alaskawolfjoe) mit überdrehtem Spiel und bisweilen rauem Gesang ihre Sache überzeugend. Gleiches gilt für die sechs Mädchen von Mahagonny mit dem Alabama- Song "Oh, show us the way to the next whisky-bar", der einem noch lange nach Schluss der Vorstellung als Ohrwurm im Kopf herumspukt. FAZIT Unterhaltsam war dieser Abend also zweifellos. Doch andererseits auch etwas eindimensional fast ganz darauf fokussiert. Brechts Sarkasmus verschwand stellenweise hinter zu viel Showeffekt. Musikalisch blieben Wünsche offen, was die großartige, vielfältige Partitur von Kurt Weill betrifft. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
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