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Alcina

Dramma per musica in drei Akten
Libretto nach Antonio Fanzaglia und Motiven aus dem Epos Orlando furioso von Ludovico Ariosto
Musik von Georg Friedrich Händel

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 45' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Wuppertal am 9. März 2024


Wuppertaler Bühnen
(Homepage)
Zauberinsel als Reise ins Innere

Von Thomas Molke / Fotos: © Bettina Stöß

Händels Zauberoper Alcina zählt zu den größten Opernerfolgen des Hallenser Komponisten und stellt ein letztes Aufbäumen gegen das sinkende Interesse des Londoner Publikums an der Gattung dar, was Händel schließlich veranlasste, mit seinen Oratorien neue Wege einzuschlagen. Vielleicht lag es an dem großen Konkurrenzdruck durch die Opera of the Nobility, die in der Spielzeit 1734/1735 keinen geringeren als den Starkastraten Farinelli neben den ehemaligen Händel-Stars Francesca Cuzzoni und Senesino aufbieten konnte und damit Händel zu neuen Höchstleistungen antrieb. Jedenfalls konnte Händel nach der erfolgreichen Premiere von Ariodante am 8. Januar 1735 im Covent Garden Theater mit seiner neuen Zauberoper drei Monate später das Londoner Publikum noch einmal so im Sturm erobern, wie es ihm bereits 1710 mit seinem Rinaldo gelungen war. Einen nicht unbeachtlichen Anteil am großen Erfolg dürften aber auch die Tanzeinlagen gehabt haben. Der Auftritt der Tänzerin Marie Sallé löste sogar einen kleinen Skandal aus, den niemand in der Metropole verpassen wollte. Nachdem das Werk zuletzt vor zehn Jahren als "Abschiedsgeschenk" des damals scheidenden Intendanten Johannes Weigand in Wuppertal auf dem Programm stand (siehe auch unsere Rezension), hat die neue Intendantin Rebekah Rota das Stück in der ersten von ihr geplanten Saison in einer neuen Inszenierung auf den Spielplan gestellt.

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Alcina (Margaux de Valensart, Mitte) und Ruggiero (Randall Scotting, Mitte) als glückliches Paar auf der Zauberinsel (links: Morgana (Subin Park) und Oronte (Sander de Jong) mit Tanzensemble)

Wie Ariodante greift auch Alcina eine Episode aus Ludovico Ariostos großem Ritterroman Orlando furioso auf, in dem Karl der Große zum Sieger über die ungläubigen Sarazenen hochstilisiert wird. Erzählt wird die Geschichte der Zauberin Alcina, die auf ihrer Insel Männer verführt und sie anschließend in Blumen, Tiere oder Steine verwandelt. Auch der Kreuzritter Ruggiero wird auf ihre Insel gelockt und vergisst darüber nicht nur seinen eigentlichen Auftrag sondern auch seine Verlobte Bradamante, die sich hingegen mit seinem Erzieher Melisso aufgemacht hat, um den verschollenen Geliebten zu suchen. Als die beiden ebenfalls auf der Zauberinsel stranden, erkennt Ruggiero seine ehemalige Verlobte zunächst nicht, da sie sich als ihr eigener Bruder Ricciardo ausgibt und er Alcinas Charme erlegen ist. Zu allem Unglück verliebt sich auch noch Alcinas Schwester Morgana in die verkleidete Bradamante, was wiederum die Eifersucht Orontes hervorruft, der als Heerführer Alcinas mit Morgana liiert ist. Schließlich gelingt es Melisso, Ruggiero zu überzeugen, die Insel zu verlassen. Alcina versucht verzweifelt, den Geliebten zu halten, stellt jedoch erschrocken fest, dass sie mit ihrer Liebe zu Ruggiero zugleich auch die Macht über die Insel verloren hat. So muss sie tatenlos zusehen, wie Ruggiero im Moment seiner Abreise die Zauberinsel zerstört und ihr Reich untergeht.

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Alcina (Margaux de Valensart, vorne links) trifft auf ihre Gegnerin Bradamante (Edith Grossman, Mitte hinten).

Das Regie-Team um Julia Burbach hinterfragt die klassische Lesart der Geschichte und überlegt, was eine moderne Frau dazu bewegen könnte, wie die vermeintliche Zauberin Alcina zu handeln. Dazu nimmt sie einige Kürzungen im Umfang von rund einer Stunde vor und streicht beispielsweise die komplette Geschichte um den Knaben Oberto, der auf der Zauberinsel auf der Suche nach seinem Vater ist. Händel soll diese Partie erst kurz vor der Premiere für den 15-jährigen William Savage eingefügt haben, weil er von dessen Stimme so begeistert gewesen sei. Zur eigentlichen Handlung trägt die Partie des Oberto nicht viel bei, so dass sie relativ häufig - allerdings nicht in der letzten Produktion in Wuppertal - weggelassen wird. Dafür fügt Burbach Tanzszenen ein, die in einer Mischung aus Barock, Contemporary Dance und Urban Streetstyle in der Choreographie von Cameron McMillan und Ben Wichert zwar nicht viel mit den Tanzeinlagen bei der Uraufführung gemein haben dürften, für Burbachs Lesart jedoch eine bedeutende Rolle spielen. Die fünf Tänzerinnen und Tänzer sollen Alcinas Seelenzustände sichtbar machen. In einer Rahmenhandlung zeigt Burbach Alcina als betrogene Ehefrau. Eigentlich war sie mit Ruggiero liiert, bevor er sie wegen Bradamante verlassen hat. Um den Trennungsschmerz zu verarbeiten, träumt sie sich auf eine Zauberinsel, auf der ihre eigenen Gesetze gelten. Dort fühlt sie sich so sicher, dass sie sogar Bradamante mit Melisso auf die Insel kommen lässt, um ihre Macht zu demonstrieren. Doch die Realität holt sie wieder ein, und sie erkennt, dass sie Ruggiero ziehen lassen muss. Für diese Lesart werden auch einzelne Arien in eine neue Reihenfolge gebracht.

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Morgana (Subin Park) hat sich sehr zum Missfallen von Oronte (Sander de Jong, 2. von rechts) in Ricciardo / Bradamante (Edith Grossman, Mitte) verliebt (ganz rechts: Erik Rousi als Melisso).

Das Bühnenbild von Cécile Trémolières zeigt zunächst einen kühlen Hausflur mit braunen Holzwänden und diversen Briefkästen. Auf der linken Seite befinden sich drei hohe Fenster, die zunächst als Spiegel fungieren und dann Alcina den Weg in ihr Inneres weisen. Neben den Briefkästen hängt ein Gemälde mit einer von großen Bäumen dominierten Landschaft, das später Alcina zu der von ihr entworfenen Zauberinsel inspiriert. Dieser Raum bricht in Alcinas Zauberwelt später immer wieder durch, wenn ihr Reich zu bröckeln beginnt. Trémolières, die auch für die Kostüme verantwortlich zeichnet, hat für Alcina zunächst ein schickes rotes Kleid entworfen, welches sie sehr attraktiv erscheinen lässt. Aber Ruggiero scheint wohl eher auf den "mütterlichen" Typ zu stehen, den Bradamante in einem weiteren blauen Kleid verkörpert. So läuft er an Alcina vorbei direkt in Bradamantes Arme. Das ist zu viel für Alcina. Sie betrachtet sich im Spiegel und wird von einer Tänzerin reflektiert, die sie einlädt, in eine andere Welt einzutreten. Die Rückwand wird in den Schnürboden emporgezogen und gibt den Blick auf hohe Wände frei, die die Bäume des Bildes aus dem Flur aufgreifen. Was der offene Kamin auf der rechten Bühnenseite soll, erschließt sich nicht wirklich. Jedenfalls "purzeln" Bradamante als verkleideter Ruggiero und Melisso durch diesen Kamin in diese Welt, in der die Tänzerinnen und Tänzer in teils unvollständigen Barockkostümen eine surreale Welt zeigen. In diesem Ambiente ist Alcina, die in ihrer Welt nun eine hochtoupierte schwarze Perücke trägt und ihr schickes Kleid vom Anfang um ausladende Puffärmel und einen Umhang ergänzt hat, quasi wie eine Spielleiterin die ganze Zeit auf der Bühne präsent und beobachtet das Geschehen.

Wenn Alcinas Traumwelt zu bröckeln beginnt, wird ein Teil der hohen Wände von der Bühne geschoben und gibt den Blick auf eine kleine Bühne frei, die wohl als Anspielung auf eine mehr oder weniger klassische Inszenierung der Oper zu deuten ist. Nach der Pause ist dieses Bühnenpodest in den Vordergrund gerückt. Man sieht alles von hinten, blickt quasi wie die Darstellerinnen und Darsteller auf das Geschehen. Die Tänzerinnen und Tänzer haben nun die barocken Kostüme abgelegt und sich farblich Alcina angepasst. So sollen sie wohl Alcinas Seelenleben verkörpern. Ob das den Ansatz verständlicher macht, ist fraglich. Wenn Alcinas Reich schließlich zerfällt, wird die Bühnenwand vom Anfang wieder herabgefahren. Alcina betritt wieder in ihrem modernen Kostüm die Bühne und wirkt befreit. Sie hat den Schmerz über die Trennung überwunden, ohne wie im Original daran zugrunde zu gehen.

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Alcina (Margaux de Valensart) mit den Tänzerinnen und Tänzern

Musikalisch bewegt sich der Abend auf gutem Niveau. Unter der musikalischen Leitung von Dominic Limburg setzt das Sinfonieorchester Wuppertal Händels Partitur sauber intoniert um und findet emotional bewegende Zwischentöne, die die Gefühle der Figuren unterstreichen. Nur in Alcinas großer Arie "Ah! mio cor!" nach der Pause hätte man sich ein bisschen mehr Biss bei den Streichinstrumenten gewünscht. Alcina hat schließlich in dieser Arie gerade erkannt, dass ihr Geliebter Ruggiero sie hintergeht, was vor ihm noch nie ein Mann gewagt hat. Sie ist völlig verbittert, was sich eigentlich in unruhigen, bebenden Tempi ausdrückt. Da wäre vielleicht ein etwas schneidenderer und aggressiverer Anschlag passend gewesen, um die musikalische Sprengkraft nicht zu verschenken. Margaux de Valensart, neues Ensemble-Mitglied am Haus, gibt in der Titelpartie dabei nämlich alles, um dieses Gefühl deutlich zu machen. Mit kraftvollem Sopran und intensivem Spiel zeigt sie eine glaubhafte Wandlung von einer zunächst sehr verletzten Frau, die sich in eine Zauberwelt flüchtet, hin zu einer starken Person, die gelernt hat, mit der Trennung umzugehen. In den Arien, die teilweise in geänderter Reihenfolge stehen, begeistert de Valensart mit sauber angesetzten Höhen. Subin Park, Mitglied des Opernstudios NRW, verfügt als Morgana über einen wunderbar reinen und in den Höhen glockenklaren Sopran und gestaltet Alcinas jüngere Schwester als lebensfrohe junge Frau. Großartig gelingen ihr die Arie "Ama, sospira", wenn sie Alcina davon abhält, Bradamante / Ricciardo in ein wildes Tier zu verwandeln, oder ihr herzergreifendes "Credete al mio dolore", mit dem sie ihren Geliebten Oronte um Vergebung bittet, auch wenn die Figur des Oronte in Burbachs Inszenierung sehr blass bleibt. Burbach lässt Sander de Jong die meiste Zeit als leicht effeminierten Mann im goldenen Barockkostüm mit übertriebenen Posen herumlaufen, was der Figur des Oronte eigentlich nicht entspricht. Stimmlich überzeugt de Jong mit flexiblem Tenor.

Edith Grossman wird vor allem kleidungstechnisch einiges abverlangt. So muss sie sich teilweise blitzschnell von Bradamante in blauem Kleid mit blonder Perücke in Ricciardo in dunkler Hose mit blonder Kurzhaarperücke verwandeln, da sie in Burbachs Inszenierung zwischendurch immer wieder im Kostüm vom Anfang erscheint. Stimmlich begeistert sie mit beweglichem Mezzosopran und großartigen Koloraturen, die vor allem in ihrer großen Rachearie "Vorrei vendicarmi" zum Ausdruck kommen, wenn sie Ruggiero für seine Untreue zur Rechenschaft zieht. Für die Partie des Ruggiero ist Randall Scotting verpflichtet worden, der die Partie mit weichem Countertenor gestaltet. Beim sehr lyrisch angelegten "Verdi prati", wenn Ruggiero noch einmal die Schönheiten der Insel besingt, hätte man sich ein bisschen mehr Strahlkraft gewünscht, da Scotting hier teilweise vom Orchester überdeckt wird. In der großen Arie "Sta nell'ircana" punktet er allerdings mit großer Beweglichkeit in den Koloraturen und liefert sich ein regelrechtes Feuerwerk mit den Blasinstrumenten. Erik Rousi rundet als Melisso das Ensemble mit profundem Bass ab, so dass es am Ende großen und verdienten Applaus für alle Beteiligten gibt, in den sich auch das Regie-Team einreiht.

FAZIT

Julia Burbachs Lesart geht im Großen und Ganzen auf und beraubt Händels Zauberoper nicht seiner Faszination. Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf gutem Niveau und macht nicht nur für Liebhaberinnen und Liebhaber der Barockmusik einen Besuch empfehlenswert.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Dominic Limburg /
Immanuel Karle

Inszenierung
Julia Burbach

Choreographie
Cameron McMillan

Co-Choreographie
Ben Wichert

Bühne und Kostüme
Cécile Trémolières

Choreinstudierung
Ulrich Zippelius

Dramaturgie
Laura Knoll

 

Sinfonieorchester Wuppertal

Opernchor der
Wuppertaler Bühnen


Solistinnen und Solisten

Alcina
Margaux de Valensart

Morgana
Subin Park

Ruggiero
Randall Scotting

Bradamante
Edith Grossman

Oronte
Sander de Jong

Melisso
Erik Rousi

Tänzerinnen und Tänzer
Christian Paul
Narumi Saso
Noah Tepe
Sarah Katharina Becher
Yeva Silenko

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Wuppertaler Bühnen
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