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Wald als
Fenster in die Tiefen der Seele Von Thomas Molke / Fotos: © Björn Hickmann
Dass zwei Operneinakter zu einem Opernabend zusammengefasst werden, ist
grundsätzlich nichts Neues. In Wuppertal ist in diesem Zusammenhang aber jetzt
doch etwas sehr Außergewöhnliches in mehrerlei Hinsicht zu erleben. Zum einen
stammen die beiden ausgewählten Stücke zwar aus einer Zeit, schlagen allerdings
musikalisch völlig unterschiedliche Wege ein. Zum anderen werden sie, obwohl sie
von einer Komponistin und einem Komponisten stammen, miteinander verbunden, und
bilden dabei inhaltlich eine Einheit, ohne dass die beiden erzählten Geschichte
im eigentlichen Sinne zusammengehören. Beide eint der Wald als Ort der Handlung.
Einen Wald bekommt man auf der Bühne nicht. Der ist dem Opernfoyer vorbehalten.
Zur Einstimmung auf diese Premiere hat man nämlich das Foyer mit zahlreichen
Bäumen und Blumengestecken auf den Tischen geschmückt. Ergänzt wird die
Dekoration noch durch zahlreiche Tiere aus dem Fundus. Diese themenbezogene
Gestaltung des Foyers scheint ein Markenzeichen von Rebekah Rota zu sein, die zu
Beginn der Spielzeit die Intendanz der Wuppertaler Bühnen übernommen hat und bis
jetzt einen sehr abwechslungsreichen Spielplan präsentiert hat.
Erwartung: Eine Frau (Hanna Larissa
Naujoks) auf der Suche
Den Anfang macht das Monodram Erwartung von Arnold Schönberg. Obwohl
Schönberg als Entwickler der sogenannten Zwölftonmusik einen großen
Bekanntheitsgrad genießt, fristen seine Werke eher ein Schattendasein. Die
"Emanzipation der Dissonanz" ist wohl nichts, was das gängige Opern- oder
Konzertpublikum liebgewonnen hat. Dabei steht die Komposition Erwartung
noch ganz am Anfang von Schönbergs kompositorischen Entwicklung und ist noch
stark im Expressionismus behaftet. Obwohl Schönberg die Komposition bereits 1909
abschloss, erlebte das Werk erst am 6. Juni 1924 seine Uraufführung im Rahmen
des Musikfests der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik am Neuen
Deutschen Theater in Prag unter der Leitung von keinem Geringeren als Alexander
von Zemlinsky. Das Libretto schuf die junge Ärztin und Schriftstellerin Marie
Pappenheim, deren beruflicher Umgang mit zahlreichen Psychiatern und Psychologen
sich in der Struktur der Geschichte niederschlug. In rund 30 Minuten Spielzeit
wird das Seelenleben einer namenlosen Frau ausgebreitet, das sich in einer
wesentlich kürzeren Zeitspanne abspielt. Eine Frau irrt auf der Suche nach ihrem
Geliebten durch einen dunklen Wald und stößt plötzlich auf seine Leiche, ohne zu
wissen, wie er zu Tode gekommen ist.
Der Wald: Heinrich (Sangmin Jeon) zwischen
Röschen (Mariya Taniguchi, links mit dem Burschen) und Jolanthe (Edith Grossman,
rechts)
Im Gegensatz dazu hat Ethel Smyths Musikdrama Der Wald eine richtige
Handlung. Im Dorf wird die bevorstehende Hochzeit von Röschen mit dem Holzfäller
Heinrich gefeiert. Doch die Geliebte des Landgrafen Rudolf, Jolanthe, die von
vielen als Hexe gefürchtet wird, unterbricht das fröhliche Treiben und umgarnt
Heinrich. Heinrich weist ihre Avancen schroff zurück und schwört Röschen die
Treue. Da wird ein Reh entdeckt, das Heinrich verbotener Weise für die Hochzeit
gejagt hat. Der Landgraf Rudolf sieht darin die Chance, den unliebsamen
Nebenbuhler loszuwerden, da auf Wilderei die Todesstrafe steht. Jolanthe bietet
Heinrich an, ihn zu retten, wenn er Röschen verlässt. Selbst Röschen drängt ihn
aus Liebe, dem Verlangen Jolanthes nachzugeben. Doch Heinrich bleibt standhaft
und geht entschlossen seinem Schicksal entgegen. Smyth hat neben der Musik
gemeinsam mit ihrem langjährigen Wegbegleiter Henry Brewster das Libretto in
deutscher Sprache verfasst. Als erste Frau schaffte sie es nämlich, am Leipziger
Konservatorium Komposition zu studieren. Die am 9. April 1902 an der Hofoper
Berlin uraufgeführte Oper war bereits ihr zweites Werk, das in Deutschland
herauskam, und schaffte es ein Jahr später sogar auf die Bühne der Metropolitan
Opera New York. Musikalisch lassen sich spätromantische Anklänge an Wagner und
Brahms heraushören. Mit Letzterem stritt sie leidenschaftlich darüber, ob Frauen
überhaupt in der Lage seien, Opern zu komponieren.
Die beiden Stücke werden nicht nur ohne Pause durchgespielt, sondern greifen
auch inhaltlich ineinander. Das Regie-Team um Manuel Schmitt siedelt Schönbergs
Erwartung in der Empfangshalle eines Hotels an. An der Wand prangt ein
relativ abstraktes Bild, das sich mit einiger Phantasie als Waldlandschaft
deuten lässt. Die Frau geht zur Rezeption, wartet dort allerdings vergeblich auf
die Ankunft eines Portiers. Durch die Tür schaut nach kurzer Zeit ein Clown
herein, der sich später als Hausierer im zweiten Stück des Abends vorstellt.
Auch der Holzfäller Heinrich tritt hier bereits als stumme Figur auf. Es lässt
sich vermuten, dass es sich hierbei um den Geliebten der Frau handelt, den sie
sucht. Eine weitere Verbindung zum zweiten Stück ist das Reh, das sie in einem
Schrank auf der rechten Seite findet und wie ein Schmuckstück liebkost. Am Ende
greift sie zu Heinrichs Axt und zerstört das Gemälde an der Rückwand. So steigt
sie gewissermaßen in den Wald ein, in dem das zweite Stück beginnt.
Zwei Frauen oder doch nur eine? Röschen (Mariya
Taniguchi, links) und die Frau (Hanna Larissa Naujoks, rechts) (rechts und links
außen: Opern- und Extrachor)
Während die Rückwand emporgezogen wird und den Blick auf einen tiefen Raum
freigibt, in dessen Öffnung im Hintergrund zwei einsame kahle Bäume zu erkennen
sind, schreitet die Frau zur Öffnung im Hintergrund, während der Chor der
Waldgeister an die Vergänglichkeit des Menschen erinnert. Zur gleichen Zeit
taucht Röschen auf, die ein ähnliches weißes Kleid trägt und die gleiche Frisur
hat. Röschen ist wie die Frau aus dem ersten Teil besorgt, aber nicht weil sie
ihren Geliebten vermisst, sondern weil das Horn, das Jolanthes Ankunft
verkündet, Unheil verheißt. Als Heinrich dann auch noch mit dem gewilderten Reh
auftaucht, ist Röschen völlig verzweifelt, weil sie um das Leben ihres
Bräutigams fürchtet. Smyth entwickelt für das Duett zwischen den beiden
Liebenden eine fulminante Klangsprache, die durch lyrische Zeichnung begeistert.
Anders verhält es sich mit der Musik für Jolanthe, die wesentlich kühler und
berechnender gezeichnet wird. Es kommt zum großartigen dramatischen Kampf um
Heinrich. Am Ende tritt zu Röschen und Jolanthe die Frau aus dem ersten Teil des
Abends, geht auf Heinrich zu und sticht ihn nieder. Ist sie es doch selbst
gewesen, die ihren Geliebten getötet hat? Diese Frage bleibt offen.
Heinrich (Sangmin Jeon) weist Jolanthe (Edith
Grossman) zurück.
Patrick Hahn führt das Sinfonieorchester Wuppertal mit sicher Hand durch die
beiden sehr gegensätzlichen Partituren und arbeitet die eher schroffen Töne
Schönbergs genauso expressiv heraus, wie er in den spätromantischen Klängen von
Smyths Tonsprache schwelgt. Die Musik korrespondiert sehr gut mit den Bildern
die Julia Katharina Berndt im Bühnen- und Kostümbild schafft, auch wenn nicht
ganz klar wird, wieso der Bursche, der den Hausierer begleitet, bisweilen als
Bär auftritt. Der um den Extrachor erweiterte Opernchor der Wuppertaler Bühnen
leistet unter der Leitung von Ulrich Zippelius Gewaltiges und begeistert durch
homogenen Klang und intensives Spiel. Auch die Solistinnen und Solisten lassen
keine Wünsche offen. Hanna Larissa Naujoks stattet die namenlose Frau aus
Schönbergs Erwartung mit kraftvollem Mezzosopran und klaren Höhen aus.
Mit variabler Stimmführung macht sie die seelische Achterbahn, die die Frau
erlebt, spürbar. Mariya Taniguchi begeistert als Röschen mit strahlendem Sopran
und großen dramatischen Bögen. Sangmin Jeon glänzt als Heinrich mit kraftvollen
Höhen und schlägt musikalisch ein ganz neues Kapitel auf neben den eher
lyrischen Partien, mit denen er sich in den letzten Spielzeiten in die Herzen
des Wuppertaler Publikums gesungen hat. Edith Grossman verleiht der Jolanthe mit
dunkel gefärbtem Mezzosopran die Gefährlichkeit, die alle Dorfbewohner fürchten,
und zeigt sich als starke Frau, die für Smyth in ihrer von Männern dominierten
Zeit vielleicht auch einen gewissen Vorbildcharakter gehabt hat. Samueol Park
überzeugt als Landgraf Rudolf mit weichem Bariton, der dem Charakter des
Landgrafen entspricht. Auch die übrigen kleineren Partien sind gut besetzt. So
gibt es für alle Beteiligten am Ende großen und verdienten Applaus.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung Bühne und Kostüme
Choreinstudierung Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal Opernchor der Extrachor der OpernClub-Kids Wuppertal Solistinnen und SolistenEine Frau
Landgraf Rudolf
Iolanthe
Heinrich
Peter
Röschen Ein Hausierer Ein Bursche Ein Jäger
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- Fine -