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Versunken im
Meer der Emotionen Von Thomas Molke / Fotos: © Matthias Jung
Nachdem zu Beginn der Spielzeit das Opernhaus noch 12 Wochen für den
Vorstellungsbetrieb gesperrt war, um die Schäden zu beheben, die das Hochwasser
im Juli 2021verursacht hatte, bei dem 2 Millionen Liter Wasser in die Unterbühne
gespült worden waren und einen Großteil der Technik lahmgelegt hatten, sind die
Renovierungsarbeiten nun abgeschlossen, und das Haus kann wieder im vollen
Umfang bespielt werden. Das muss natürlich mit einem großen Meisterwerk der
Opernliteratur gefeiert werden, und so hat Rebekah Rota, die ab dieser Spielzeit
die Intendanz der Oper Wuppertal übernommen hat, Richard Wagners Tristan und
Isolde ausgewählt. Das Werk stand hier zuletzt 2009 in der Inszenierung des
damaligen Intendanten Gerd Leo Kuck auf dem Spielplan und mag dem einen oder
anderen Wuppertaler Wagner-Anhänger noch in guter Erinnerung sein (siehe auch
unsere Rezension).
Von daher wird hier ein schweres Erbe angetreten. Die Regie, für die Martin
Andersson und Edison Vigil im Doppel-Team verantwortlich zeichnen, kann den
Vergleich mit der damaligen Produktion aber durchaus aufnehmen, auch wenn sie
bei allem Jubel im Publikum nicht nur Zustimmung findet.
Tristan (Samuel Sakker) und Isolde (Stéphanie
Müther) auf der Überfahrt nach Kornwall
Dass Wagner selbst das Werk als "Handlung in drei Aufzügen" beschrieben hat, mag
ein wenig verwundern, denn allzu viel Handlung weist die Oper trotz ihrer Länge
von rund vier Stunden reiner Spielzeit nicht auf. Der eigentliche Hauptteil der
Aktion hat bereits stattgefunden, wenn sich der Vorhang hebt. Im Anschluss
erlebt man ein wort- und klanggewaltiges Drama über einen der wohl traurigsten
Ehebrüche der Operngeschichte, der schwer in eine Erzählung zu übersetzen ist,
die den Spannungsbogen nicht allein der Musik überlässt. Das Regie-Team setzt
zum großen Teil auf Videoprojektionen und teilt sich in eine Video-Regie, für
die Andersson verantwortlich zeichnet, und eine Bühnen-Regie auf, die Vigil
übernimmt. Schon während des grandiosen Vorspiels, das der Wuppertaler
Generalmusikdirektor Patrick Hahn wunderbar emotional mit dem Sinfonieorchester
Wuppertal präsentiert, blickt man auf das seichte Wogen des Meeres, das auf
einen Gaze-Vorhang vor der Bühne projiziert wird, und möchte bei der
leidenschaftlichen Musik in diesen Wogen versinken. So stellt man sich den Blick
vom Schiff vor, das die irische Königstochter Isolde als Braut zu König Marke
nach Kornwall bringt.
Isolde (Stéphanie Müther, rechts) beklagt vor
Brangäne (Jennifer Feinstein, links) ihr Schicksal (im Hintergrund links:
Sangmin Jeon als junger Seemann, im Hintergrund Mitte: Martijn Sanders als
Kurwenal).
Das Bühnenbild von Lukas Noll ist relativ abstrakt und spartanisch gehalten. Im
Hintergrund auf der linken Seite sieht man eine Treppe mit dem jungen Seemann,
der von Sangmin Jeon mit lyrischem Tenor interpretiert wird. Davor deuten zwei
bewegliche helle Bühnenelemente den Schiffsrumpf an. Darüber schwebt ein Segel,
auf das eigentlich die Vorgeschichte projiziert werden soll, die während des
ersten Aufzugs als Rückblende mit Vigil als Isoldes von Tristan ermordetem
Verlobten Morold gezeigt werden soll. Da allerdings Kirstin Sharpin, die
eigentlich in Wuppertal ihr Haus-Debüt in der weiblichen Titelpartie geben
sollte, die Premiere wegen Erkrankung absagen musste und Stéphanie Müther als
Isolde eingesprungen ist, werden die Video-Einspielungen im ersten Aufzug
weggelassen, da sie Sharpin gezeigt hätten und das beim Publikum vielleicht für
Verwirrung gesorgt hätte. So sieht man im Hintergrund nur als Projektion die
friedlich wogende See. Stéphanie Müther begeistert als Isolde nicht nur mit
kraftvollen Spitzentönen, die die Verzweiflung der jungen Frau deutlich machen,
sondern punktet auch durch eine hervorragende Textverständlichkeit, so dass man
bei ihr die Übertitel eigentlich gar nicht benötigt hätte. Auch Jennifer
Feinstein lässt als Brangäne mit jugendlich frischem Mezzosopran aufhorchen.
Darstellerisch bewegend trifft sie die Entscheidung, den Todestrank durch einen
Liebestrank auszutauschen, der schlussendlich in die Katastrophe führt. Der
Trank wird dann ganz klassisch in einer Schale überreicht.
Als Tristan ist Samuel Sakker als Gast zu erleben. Im ersten Aufzug wirkt sein
baritonal gefärbter Tenor neben Müther noch ein wenig blass. Im weiteren Verlauf
des Abends steigert er sich jedoch und findet in seiner großen Szene im dritten
Aufzug zu bewegender Dramatik. Martijn Sanders stattet seinen getreuen Gefährten
Kurwenal mit kraftvollem Bariton aus. Zu Beginn ist die Personenregie von Müther
und Sakker recht statisch gehalten. Das ändert sich nach dem Genuss des
Liebestrankes.
"O sink hernieder, Nacht der Liebe": Tristan
(Samuel Sakker) und Isolde (Stéphanie Müther)
Der zweite Aufzug führt zu Beginn des musikalischen Vorspiels in einer
Videoprojektion durch eine Art düstere Gruft, in der immer wieder verschiedene
Steinfiguren erscheinen. Es verwundert nicht, dass sich Isolde in dieser
Umgebung unwohl fühlt. Ein verziertes Tor deutet den Übergang zum Garten an, in
dem sich Tristan und Isolde zum Rendezvous verabredet haben. Eine einsame Flamme
brennt auf der rechten Bühnenseite, die Isolde verlöschen lässt, um Tristan das
vereinbarte Zeichen zu geben. Für die große Liebesszene im zweiten Aufzug lässt
Andersson in einer Projektion im Hintergrund einen finsteren Zauberwald
entstehen, der im Verlauf der Szene regelrecht zu wuchern beginnt. Auch aus dem
Bühnenboden vor der Projektion wachsen riesige Pflanzen, die eigentlich die
verbotene Liebe vor der Außenwelt zu verbergen versuchen. Aber ein riesiges
Feuer verrät die beiden Liebenden. Die Pflanzen versinken im Schein des Feuers
im Boden. Was in der Projektion zurückbleibt, ist verbrannte Erde, die die
Ausweglosigkeit der Situation eindringlich beschreibt. Zuvor finden Müther und
Sakker im berühmten Duett "O sink hernieder, Nacht der Liebe" zu einer
betörenden Innigkeit. Die gekippte Eisentür im Hintergrund hat sich in eine,
wenn auch sicherlich etwas unbequeme, Schlafstätte verwandelt. Mahnend tönen
Brangänes Rufe aus dem Off, doch vergeblich. Es kommt zur Katastrophe. Jason Lee
verleiht dem Melot einen hellen, der Rolle angemessenen schneidenden Tenor. Erik
Rousi gibt den betrogenen König mit verletztem, dunkel gefärbtem Bassbariton.
Tristan (Samuel Sakker, rechts) wartet mit
Kurwenal (Martijn Sanders, links) auf Isolde.
Im letzten Aufzug sieht man zunächst wieder das Meer vom Anfang. Dieses Mal
führt es wohl nach Kareol, wohin Kurwenal den tödlich verwundeten Tristan
gebracht hat. Die Bühne stellt nun eine riesige dunkle Höhle dar, in der Tristan
mit Kurwenal auf die Ankunft Isoldes wartet. Der mittlere Teil ist geflutet und
führt mit einer ausgeklügelten Lichtregie direkt ins Meer hinaus, das hinter der
Höhle in einer Projektion zu erkennen ist. Hier läuft Sakker stimmlich zu
Höchstform auf und punktet bis zum Schluss mit kraftvoll ausgesungenen Höhen.
Jeon übernimmt auch die Partie des Hirten, der für Kurwenal Ausschau nach Isolde
hält, und überzeugt erneut mit leuchtendem Tenor. Tristans Erinnerungen an
Isolde, die ihn zunächst am Leben halten, werden in Filmeinspielungen
visualisiert. Doch als Isolde ankommt, ist es zu spät. Bewegend stirbt er in
ihren Armen, und Isolde legt sich relativ apathisch auf Tristans Krankenlager.
Den Kampf zwischen Kurwenal und Melot nimmt sie gar nicht mehr wahr. Auch Markes
Vergebung kann sie nicht mehr erreichen. Stattdessen verliert sie sich im
Todeswunsch und setzt zum berühmten Liebestod "Mild und leise" an. Müther
punktet auch hier wieder durch intensive Dramatik und schreitet langsam ins
Wasser, um im Meer zu versinken. Das Schlussbild geht unter die Haut, so dass
nicht nachvollziehbar ist, wieso es für diesen Regie-Ansatz vereinzelte
Unmutsbekundungen gibt. Die Solistinnen und Solisten, der von Ulrich Zippelius
einstudierte und um den Extrachor erweiterte Herrenchor der Wuppertaler Bühnen
und das Sinfonieorchester Wuppertal mit ihrem GMD Patrick Hahn werden jedenfalls
zu Recht mit großem Jubel vom Publikum gefeiert.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Konzept und Regie Video
Regie Bühne Bühne Kostüme
Choreinstudierung Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal Herren des Opernchors
und des Extrachors der Solistinnen und Solisten*Premierenbesetzung Tristan
König Marke
Isolde
Kurwenal
Melot
Brangäne
Ein Hirt / Stimme eines jungen Seemanns
Ein Steuermann
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- Fine -