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Die Ausflüge des Herrn Brouček

Oper in zwei Teilen und neun Bildern
Text von Karel Mašek, Zigmund Janke, František Gellner, Viktor Dyk und František Serafínsky Proházka nach Svatopluk Čech;
Musik von Leoš Janáček

in tschechischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 30' (eine Pause)

Koproduktion mit dem Nationaltheater Brünn und dem Teatro Real, Madrid

Premiere am 16. März 2025
(rezensierte Aufführung: 29.03.2025)




Staatsoper unter den Linden
(Homepage)
Skurrile Phantastereien mit der Wirklichkeit konfrontiert

Von Christoph Wurzel / Fotos: © Arno Declair

Eine Oper, in der sich ein betrunkener Prager Hausbesitzer zuerst in einen Ausflug auf den Mond hinein träumt und anschließend in den Hussitenkrieg des Jahres 1420, mutet sonderbar an. Die Ausflüge des Herrn Brouček von Leoš Janáček ist eine seltsame Oper, die nicht leicht zu inszenieren ist. Aus diesem Grund und weil das Thema zum Teil recht nationalspezifisch anmutet, ist sie hierzulande nur sehr selten zu sehen. Aber Robert Carsen ist es in seiner Inszenierung, die nun als Koproduktion mit dem Nationaltheater Brünn und dem Teatro Real Madrid an der Berliner Staatsoper herauskam, gelungen, in Janáčeks Opernsatire sowohl großes Unterhaltungspotential wie auch aktuell Bedenkenswertes freizulegen. Erstaunlich, wie es Carsen immer wieder gelingt, die Opernstoffe völlig stimmig in die Gegenwart zu holen.

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Im Braukessel auf den Mond: Peter Hoare (Brouček / hinten) und Aleš Briscein (Blankytný)

Dass Menschen einmal den Mond betreten würden, konnte Leoš Janáček ( gestorben 1928) sich nicht einmal träumen lassen. Noch viel weniger Svatopluk Čech, dessen Erzählungen von den Reisen des Herrn Brouček aus dem Jahr 1889 den Komponisten zu dieser Oper angeregt haben. Für beide Autoren sind es nur kuriose Phantasien, die sie ihrem Protagonisten andichten. Aber wir haben natürlich solche Bilder aus der Realität vor Augen. Etwa die Mondlandung: Robert Carsen lässt sie zum Vorspiel noch einmal auf dem Vorhang im übergroßen Schwarzweiß-Bildschirm vorüber ziehen. Dann blenden die Bilder hinüber in die Prager Bierkneipe Vikarka, wo dieses Ereignis zur Begeisterung der Leute im kleinen Fernseher flimmert. Ganz real also switchen wir ins Jahr 1969 und dann sind wir doch bald wieder im Irrealen, wenn der Erdenbürger Brouček von einem Astronauten im Mondmobil auf dem Erdtrabanten begrüßt wird. Zuvor war er in einem kupfernen Braukessel direkt vom Bierlokal stilecht gen Himmel gestartet. So fließen Realität und Phantasie ganz im Sinne von Komponist und Dichter in dieser Inszenierung ständig in einander.

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Nationaler Freiheitsappell: Alexander Dubček (im Fernsehen) und Gyula Orendt als Svatopluk Čech

So auch im zweiten Teil, wenn der biedere Prager Hausbesitzer Matěj Brouček sich im Glaubenskrieg des Mittelalters wiederfindet. Carsen braucht für den Zeitenwechsel nur eine Drehtür, schon landet die Opernfigur in der Vergangenheit. Im Original gerät Brouček auf der Seite der nationalen Religionsreformer in den Kampf gegen die reaktionären Papisten, d.h. den Kaiser Sigismund, der Jan Hus beim Konstanzer Konzil 5 Jahre zuvor hatte verbrennen lassen.

Carsen siedelt den Konflikt im Jahre 1968 zur Zeit des Prager Frühlings an, wo Alexander Dubček dem Steinzeitkommunismus ein menschliches Antlitz verleihen wollte. Doch sowjetische Panzer wälzten den friedlichen Protest der Tschechen nieder. Auch hier wieder verschwimmen Fiktion und Wirklichkeit. Noch läuft die Ansprache Dubčeks im Fernsehen, da tritt scheinbar aus dem Bildschirm die Opernfigur mit einem ganz ähnlichen Freiheitsappell ins Bühnengeschehen.

Was Brouček auf dem Mond erlebt, ist schon im Original skurril genug. Er begegnet dort einer abstrusen Künstlersekte, die sich allein vom Duft der Blumen ernährt. Brouček dagegen gelüstet es allein nach Bier und Würstln. Carsen macht daraus eine Riesenparty mit Blumenkindern in Ekstase - ein psychodelisch buntes "Moonstock", Größen wie Joan Baez, Jimmy Hendrix und Bob Dylan inbegriffen. Dies alles ist erstaunlich textkonform und ungeheuer unterhaltsam.

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Wilde Party der Blumenkinder: "Moonstock" 1968 (Ensemble)

Berührend gelingt der Regie die Parallelführung im zweiten Teil, wenn die Opfer aufseiten der Hussiten mit den Opfern der sowjetischen Invasoren gleichgesetzt werden. Zum Zwischenspiel sehen wir den Film von der Beisetzung Jan Palachs, der sich aus Protest auf dem Wenzelsplatz verbrannt hatte. Ganz entsprechend gibt es auch im Libretto eine Begräbnisszene. Während der erste Teil belustigt, berührt der zweite Teil.

Anders als den Hussiten 1420 war den Tschechen 1968 der Sieg politisch nicht vergönnt. Aber ein Jahr nach der Invasion war ihnen (und den Slowaken) wenigstens ein sportlicher Sieg gegen die UdSSR gelungen - bei der Eishockey-Weltmeisterschaft 1969; ein Sieg, der seinerzeit symbolisch wirkte. Carsen lässt es sich nicht nehmen, auch dies gehörig auf der Bühne feiern zu lassen.

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Die Tschechen im nationalen Überschwang (Ensemble)

Natürlich landet Matěj Brouček nach seinen Abenteuern immer wieder in seiner Stammkneipe in Prag. Es scheint, als sei seine spießige Welt danach wieder in Ordnung: genug Bier und Würstl und bloß keine Politik! Bis ganz am Schluss plötzlich ein russischer Panzer diese Gemütlichkeit zerstört...

Voller Witz, bildmächtig, unterhaltsam und vielschichtig hat Robert Carsen Janáčeks Oper inszeniert. Simon Rattle, erklärtermaßen großer Bewunderer des Komponisten, wird an diesem Abend gleichsam zu seinem Apostel. So detailreich und liebevoll deutet er die Partitur aus, lässt die Klangfarben leuchten (selbst ein Dudelsack kommt vor!), lässt Parodie aufblitzen, wiegt das Orchester in warmer Lyrik und gibt den heroischen Stellen Kraft. So kleinteilig Janáčeks Musik auch ist, Rattle widmet sich jedem Detail mit Intensität und Ausdruck.

Und alles ist eine große Ensembleleistung. Die meisten Rollen sind mehrfach besetzt. Die Charakteren des ersten Teils finden sich in Entsprechungen im zweiten Teil wieder. Gesungen wird in allen Rollen hervorragend. In größeren Partien stechen Lucy Crowe und Aleš Briscein sowie Gyula Orendt stimmlich heraus. Peter Hoare bleibt in der Titelrolle darstellerisch allerdings etwas blass. Vielseitig zeigt sich der Chor. Hervorzuheben ist die originelle Choreografie von Rebecca Howell. Nicht zuletzt tragen das detailreich naturalistische Bühnenbild von Radu Boruzescu und Annemarie Woods' Kostüme zum großen Gelingen des Abends bei.

FAZIT

Diese Produktion ist ein Erfolg auf ganzer Linie: szenisch brillant, musikalisch vital ist sie Unterhaltung und gedankliche Anregung gleichermaßen. Und die Oper selbst darf eine Entdeckung genannt werden.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Simon Rattle

Inszenierung
Robert Carsen

Regieassistenz
Gilles Rico

Bühne
R
adu Boruzescu

Kostüme
Annemarie Woods

Licht
Robert Carson
Peter van Praet

Video
Dominik Žižka

Choreografie
Rebecca Howell

Einstudierung Chor
Gerhard Polifka

Dramaturgie
Robert Carsen
Patricie Částoková
Elisabeth Kühne

 

Staatsopernchor

Staatskapelle Berlin

 

Solistinnen und Solisten

Matěj Brouček
Peter Hoare

Mazal / Pankytný / Petřik
Aleš Briscein

Sakristan / Dunobor / Domšik
von der Glocke

Gyula Orendt

Málinka / Ehterea / Kunka
Lucy Crowe

Würfl / Čaroskvouci / Schöffe
Carles Pachon

Hilfskellner / Wunderkind / Student
Clara Nadeshdin

Kedruta
Natalia Skrycka

Dichter / Oblačný / Vacek
Arttu Kataja

Maler / Stimme des Professors /
Duhoslav / Vojta

Stephan Rügamer

Komponist / Harfoboj / Miroslav
Linard Vrielink

Svatopluk Čech
Gyula Orendt

Taboriten
Michael Kim
Sungjin Lee

 



Weitere
Informationen

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(Homepage)



Da capo al Fine

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