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A Streetcar Named Desire (Endstation Sehnsucht)

Oper in drei Akten
Libretto von Philip Littell nach dem Schauspiel von Tennessee Williams
Musik von André Previn


in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 10' (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Bielefeld am 7. Dezember 2024
(rezensierte Aufführung: 7. März 2025)


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Theater Bielefeld
(Homepage)

Südstaaten-Blues, weitgehend jugendfrei

Von Stefan Schmöe / Fotos von Bettina Stöß

Nichts ändert sich: Der vergewaltigten Frau glaubt niemand. Die Wirklichkeit wäre nicht auszuhalten, denn der Vergewaltiger ist mit der Schwester des Opfers verheiratet, gerade ist das erste Kind des jungen Paares zur Welt gekommen. Es ist die Kehrseite des amerikanischen Traums, den Tennessee Williams 1947 in seinem Drama A Streetcar Named Desire beschrieben hat. Blanche DuBois, die aus einer ehemals stolzen und wohlhabenden Südstaaten-Dynastie abstammt, quartiert sich nach Verlust von Haus, Vermögen und Arbeitsplatz bei ihrer jüngeren Schwester Stella und deren Mann Stanley Kowalski ein. In der ärmlichen Zweizimmerwohnung in New Orleans kommt es sofort zu Spannungen zwischen der in ihrer aristokratischen Lebenslüge gefangenen Blanche und dem vulgären und gewalttätigen Stanley, der ihren gesellschaftlichen Abstieg entlarvt und sie am Ende vergewaltigt. Besondere Popularität gewann das Drama durch Elia Kazans Verfilmung 1951 mit Marlon Brando an Vivien Leigh in den Hauptrollen.

Szenenfoto

Blanche (liegend) ist nach dem Verlust der elterlichen Villa bei ihrer jüngeren Schwester Stella untergekommen.

André Previn (1929 - 2019) vertonte den Stoff 1995 im Auftrag der San Francisco Opera als Oper. Einen Namen gemacht hat er sich zuvor vor allem als Komponist von Filmmusiken (für die er vier Oscars erhielt, u. a. 1964 für Billy Wilders Irma la Douce) und als Jazz-Musiker sowie als Dirigent. Diesen Hintergrund hört man der Musik an, die im besten Sinne pragmatisch ist und auf alles Experimentelle verzichtet. Sie lädt die im Libretto von Philip Littell linear erzählte Handlung emotional auf und verwendet dafür allerlei Anleihen aus dem Jazz, ohne selbst "jazzig" zu sein. Die Bielefelder Philharmoniker unter der Leitung von Kapellmeisterin Anne Hinrichsen spielen ziemlich neutral über solche Einfärbungen hinweg, und die Musik bleibt zu oft in einem unverbindlichen Mezzoforte oder Forte, das zwar die Stimmen nicht zudeckt, aber der Musik einiges an spezifischem Flair der Klangsprache schuldig bleibt.

Szenenfoto

Spannungsreiches Zusammenleben auf engem Raum: Blanche (l.), Stella und deren Mann Stanley

Die Inszenierung von Wolfgang Nägele zeigt überzeugend die klaustrophobische Atmosphäre in der heruntergekommenen Wohnung von Stella und Stanley und bewältigt souverän die häufigen Szenenwechsel, die oft mit Zeitsprüngen verbunden sind. Über weite Strecken bleibt er eng und detailgetrau am Libretto. Irritationsmomente schafft eine allegorische Figur, eine im schwarzen Ganzkörperkostüm mit aufgemaltem Skelett auftretende Frau - der Tod. Später singt sie die kurze Partie der Blumenverkäuferin. Mayan Goldenfeld gibt ihr gespenstische Präsenz. Damit durchbricht die Regie den realistischen, fast dokumentarischen Ansatz gleich zu Beginn, wenn auch zunächst nur in kurzen Momenten. Der Schwenk auf eine andere, höhere Bedeutungsebene kommt, wenn im schuhkastenförmigen Bühnenbild (Ausstattung: Stefan Mayer) Bad und Schlafzimmer immer wieder vom Hauptraum abgekoppelt werden und als Verfremdungseffekt zur Seite fahren, vor allem aber, wenn die Drehbühne herumfährt und auf der Rückseite die amerikanische Flagge im Großformat zeigt. Es geht also auch um Bild und Selbstbild der Vereinigten Staaten. Vorsichtshalber sei angemerkt, dass die Produktion bereits im Dezember 2024, als vor dem Amtsantritt Donald Trumps, zur Premiere kam und die Konzeption daher sicher weit in die Zeit vor dessen Wahl zurückreicht.

Szenenfoto

Blanche (r.) hält wenig von Stanley, auch wenn derhier Stella auf Händen trägt.

So kann man das Werk in dieser Inszenierung als historische Parabel auf den Untergang der alten Eliten und deren moralischer Werte und den Aufstieg einer allein auf die eigene Stärke bezogenen Arbeiterklasse lesen. Über den symbolischen Gehalt von A Streetcar Named Desire ist seit je viel diskutiert worden, angefangen beim Titel. Die Straßenbahnlinie "Desire" gab es tatsächlich, wobei das Wort mit "Sehnsucht" unzureichend übersetzt ist. "Wunsch" oder "Verlangen" wäre passender, wobei auch eine sexuelle Konnotation eingeschlossen ist. Die zeigt sich in der auf erotischem Begehren basierenden Beziehung von Stella und Stanley, aber auch in Blanches Vorgeschichte (sie hat ihre Stelle als Lehrerin aufgrund einer Beziehung mit einem minderjährigen Schüler verloren und musste ihre Heimatstadt nach diversen Affären mit dort stationierten Soldaten verlassen). Diese Dimension ist in Wolfgang Nägeles Inszenierung allerdings weitgehend entschärft.

Szenenfoto

Gleich kommt es zur Vergewaltigung, die niemand glauben will: Stanley und Blanche.

Todd Boyce (trotz angekündigter Indisposition mit jugendlichem, kraftvollem Bariton) stellt den Stanley als adretten Jungen dar, der sich vielleicht ab und zu im Ton vergreift, dem man das aber als Unreife verzeihen könnte - und auch die Brutalität gegenüber Stella wird auf eine Ohrfeige im Affekt reduziert. Stella selbst wird von Cornelie Isenbürger (mit agilem, hell leuchtendem Sopran) als charmante, pragmatische junge Frau gespielt, ziemlich verliebt in Stanley. Die erotische Komponente hat kaum Relevanz (2008 spielten Stefania Dovhan und Frank Dolphin Wong am Theater Hagen die latente sexuelle Spannung sehr viel deutlicher aus). Lorin Wey (mit schönem lyrischen Tenor) singt und spielt Blanches Verehrer Mitch als ziemlich braves Muttersöhnchen. So recht mag man nicht glauben, dass eine Affäre zwischen ihm und Blanche mehr wäre als eine Zweckgemeinschaft zweier Außenseiter. Es geht also weitgehend jugendfrei zu in Bielefeld. Die Vergewaltigung steht dadurch ein wenig im leeren Raum und wird dramaturgisch nicht vorbereitet. Zumal Dušica Bielić mit nicht sehr großem, mitunter gedeckt verschattetem Sopran die Blanche von Beginn an als Verlierertyp darstellt. Es fehlt dieser zerbrechlichen Frau die aristokratische Fassade, ohne die ihr großspuriges Verhalten zu offensichtlich lächerlich wirkt.

Eines hat sich im Übrigen doch geändert, zumindest ein kleines Stück weit: Vor der hier besprochenen Vorstellung kam anlässlich des nahen Weltfrauentags in der Einführung die Leiterin des Bielefelder Frauenhauses zu Wort. Dort, so die wichtige Botschaft, glaube man vergewaltigten und anders misshandelten Frauen. Was die Aktualität dieses Aspekts der Oper nicht mindert.


FAZIT

Eigentlich sind diese Leute doch alle ganz nett: Die an sich solide Produktion erzählt die Geschichte ein wenig zu brav nach und kann die Abgründe nicht ausloten.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Anne Hinrichsen

Inszenierung
Wolfgang Nägele

Bühne und Kostüme
Stefan Mayer

Mitarbeit Regie
Johanna Schulz-Bongert

Licht
Carsten Lenauer

Dramaturgie
Laura Herder


Bielefelder Philharmoniker


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Blanche Dubois
Dušica Bielić

Stanley Kowalski
Todd Boyce

Stella Kowalski
Cornelie Isenbürger

Harold Mitchell (Mitch)
DLorin Wey

Eunice Hubbell
Marta Wryk

Steve Hubbell
Tilman Rose

Ein junger Zeitungsverkäufer
Tomas Kildišius

Blumenfrau
Mayan Goldenfeld

Krankenschwester
Hella Dräger

Arzt
Krzysytof Gornowicz /
* Ramon Riemarzik



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