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Kein "Game Over" für Don GiovanniVon Stefan Schmöe / Fotos von Sandra Jonek
Die Hölle, das sind (Sartre hin oder her) hier ausnahmsweise einmal nicht die anderen. Die Hölle für Don Giovanni ist er selbst. Respektive die Einsicht in sein Handeln ohne Chance, etwas ändern zu können. Und das in einer Endlosschleife - der Mythos Don Giovanni, so könnte man salopp formulieren, ist einfach nicht totzukriegen. Dadurch erübrigt sich die gewohnte Höllenfahrt im Finale von Mozarts Oper. In der Inszenierung von Georg Zlabinger liegt dieser Giovanni am Ende schwer verletzt auf der Bühne (die Verwundung hat er sich selbst zugefügt) und muss mitansehen, wie sein junges Alter Ego Anstalten macht, aus dem Souffleurkasten herauszuklettern und das ganze schäbige Spiel von vorn zu beginnen. Da schließt sich ein Kreis, denn genau mit diesem Bild hatte die Oper zu den Klängen der Ouvertüre auch begonnen. Don Giovanni (links) und Leporello - oder doch zweimal Don Giovanni, jung und alt?
Der gealterte Don Giovanni ist fortan verdammt, in die Rolle des Dieners Leporello zu schlüpfen und sein jugendliches Ich auf zwanghaften Beutezügen nach weiblichen Opfern zu begleiten. Dabei kann die Bielefelder Oper zwei Sängerdarsteller aufbieten, die sich in der blendenden Statur wie im Timbre der Stimme so ähnlich sind, dass dieser Teil des Konzepts insgesamt schlüssig aufgeht. Todd Boyce singt den Giovanni mit agilem und zupackendem Bariton, eher hell timbriert. Die einschmeichelnd warmen Farben für den Verführer könnten noch stärker ausgeprägt sein - aber die Regie zeichnet ihn ohnehin als stets gewaltbereiten Draufgänger, mit Eleganz und Charme zwar (was Boyce mit großer Bühnenpräsenz umsetzt). Aber im Grunde ist er ein einsamer Mann. Evgueniy Alexiev steht ihm als Leporello stimmlich nicht nach, hat vielleicht sogar noch eine Spur größeres vokales Format. Mit den (vorsichtig historisierenden) Kleidern tauschen die beiden zu Beginn des zweiten Akts auch ein Stück ihrer Identität. Was auch bedeutet: Der junge Giovanni altert. Versuchte Verführung im Theaterfundus, Abteilung "Barockoper": Don Giovanni und Donna Anna
Seine Opfer kommen weniger aus verschiedenen Gesellschaftsschichten wie bei da Ponte und Mozart als vielmehr aus unterschiedlichen Epochen. Donna Anna (koloratursicher strahlend: Ana Durlovski) nebst Vater Komtur (wenig dämonisch: Moon Soo Park) und Don Ottavio (mit beweglichem Tenor: Andrei Skliarenko) entsteigen als barocke Figuren dem reichlich verstaubten Theaterfundus, der in der Unterbühne gezeigt wird. Oberhalb davon dient ein bunkerartiger Raum mit Stockflecken an den Wänden als Spielfläche (Bühne: Martin Zlabinger). Donna Elvira (stimmlich wie szenisch souverän und eloquent: Marta Wryk) erscheint im Nonnenhabit. Ist das ein Fingerzeig darauf, dass sich die Geschichte gemäß dem Regieansatz immer wiederholt? Denn am Ende der Oper verkündet sie bekanntlich den Eintritt in ein Kloster, und aus selbigem könnte sie dann gerade kommen. Für die konkrete Handlung allerdings ergibt das weniger Sinn, denn schließlich ist sie auf eine bürgerliche Ehe mit Giovanni aus. Zerlina und Matteo erscheinen als junge Leute von heute. Der zuverlässig singende Chor (Einstudierung: Hagen Enke) präsentiert in Pastelltönen Kleidung diverser Epochen (Kostüme: Theresa Wilson). Die Regie nähert sich mit diesen Setzungen dem Don-Juan-Mythos an sich an und weniger Mozarts und da Pontes Oper. Das erfordert eine ganze Reihe von Eingriffen in das Stück. Don Giovanni lädt zum Fest. Auf dem Podest, das wohl eigentlich ein Grabstein ist: Zerlina und Masetto
Eine Statue und einen steinernen Gast, der zum Essen geladen wird, sucht man vergebens. Der Komtur spukt als ein hemdsärmlig biederes Phantom der Oper in besagtem Barockfundus herum (merkwürdigerweise mit der gleichen blutenden Wunde wie Don Giovanni am Ende respektive Leporello am Anfang). Das Festmahl fällt komplett aus, und statt der Höllenfahrt versucht Giovanni eher unbeholfen, sich zu erstechen - ohne Erfolg (wie oben schon beschrieben). Eine Bauernhochzeit gibt es nicht, auch wenn die kokette Zerlina (mit silbrigem, nicht zu kleinem Sopran: Veronika Lee) und ihr allzu leichtgläubiger Verlobter Masetto (Bryan Boyce mit jugendlich strahlendem Bariton) davon singen. Das mag man des höheren Konzepts wegen ja noch hinnehmen; fragwürdiger sind so manche Einfälle, die mehr oder weniger unsinnig in den Handlungsverlauf eingreifen. So ist es Donna Anna selbst, die im Getümmel des Beginns ihren Vater versehentlich ersticht. Ihrem Verlobten Ottavio erzählt sie freilich eine andere Version (die auf der Bühne nachgespielt wird und in der Giovanni als Täter erscheint). Ob es an ihren Gewissensbissen liegt, dass sie sich am Ende vergiftet? Diese gesamte Episode erscheint ebenso überflüssig wie eine Schwangerschaft Zerlinas. In solchen Momenten gewinnt man den Eindruck, die Regie wolle sich unbedingt von anderen Inszenierungen absetzen. Aber sie hat dann doch ihre stärksten Szenen, wenn sie sich mit einem ausgesprochen spielfreudigen Ensemble konventionell gibt und einfach der vorgegebenen Dramaturgie vertraut. Statt eines Festmahls mit steinernem Gast gibt's einen Disput am offenen leeren Sarg: Der Komtur (Mitte) zwischen Don Giovanni und Leporello
Unter dem straffen Dirigat von Alexander Kalajdzic fehlt es den Bielefelder Philharmonikern in der Ouvertüre zunächst noch an rhythmischer Präzision, danach begleiten sie das Ensemble auf der Bühne mit schlankem Klang und genauer Phrasierung von beinahe barocker Strenge. In den dramatischen Passagen wie der (vermeintlichen) Höllenfahrt bekommt die Musik pointierte Schärfe. Über die vielen feinen Stimmungswechsel in den Ensembles und Arien allerdings dirigiert Kalajdzic allzu unbeteiligt hinweg, und die von da Ponte und Mozart sehr genau gearbeiteten Rezitative hat man schon spritziger und prägnanter gehört.
Es ist ziemlich kompliziert und im Detail nicht immer schlüssig, was sich Georg Zlabinger über den Don-Juan-Mythos zurechtgedacht und etwas umständlich inszeniert hat. Ein engagiertes Ensemble macht trotzdem einen zumindest nie langweiligen Don Giovanni auf gutem musikalischem Niveau daraus. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Don Giovanni
Il Commendatore
Donna Anna
Don Ottavio
Donna Elvira
Leporello
Masetto
Zerlina
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