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Tausche Abendgarderobe gegen Soldatenmantel
Von Stefan Schmöe /
Fotos von Bettina Stoess
Muss man sich die Zauberinsel der Alcina als Paradies vorstellen? Für den Mann, der aktuell die Gunst der Zauberin erlangt hat, mag das so sein. Aber Liebe macht bekanntlich blind: Diese Gunst ist allzu vergänglich, und wer sie wieder verliert, den verwandelt Alcina in ein Tier oder gar einen Stein. In der Inszenierung von Jens-Daniel Herzog wird die blühende Insel durch eine Villa in der Architektur der 1920er-Jahre mit einem Interieur in warmen Goldtönen ersetzt (Bühne: Mathis Neidhardt, Kostüme: Sibylle Gädeke). Die Hausherrin tritt als eine mondäne Frau dieser Zeit auf, und sie unterwirft Personal wie Gäste ihren eigenen Gesetzen und amüsiert sich mit ihrem aktuellen Liebhaber Ruggiero. Sie hat sich eine luxuriöse Welt geschaffen, in der immer die Sonne scheint - auch wenn es sich dabei nur um warmes Kunstlicht der elektrischen Beleuchtung handelt.
In der realen Welt dagegen regnet es. Nach außen schottet sich Alcinas Welt durch unansehnliche Backsteinmauern ab. Aus diesem scheußlichen, typisch englischen Wetter tritt Bradamante in die Sphäre von Luxus und zügelloser Liebe ein, die Verlobte von Ruggiero, als Mann verkleidet. Natürlich in der Absicht, ihren untreuen Liebhaber zurückzugewinnen und den (faulen) Zauber auffliegen zu lassen. Die Entzauberung gelingt, weil sich Ruggiero an das erinnert, was vorher war: der Erste Weltkrieg und das Soldatenleben. Herzog lässt sich Zeit, bis er die Kriegswelt geradezu schockartig in die dekorative, erotisch aufgeladene Sphäre einbrechen lässt. Pantomimisch wird Ruggiero später noch genauer daran erinnert, was die Welt von ihm erwartet, und das ist eine brave Ehe im ärmlichen Milieu der Weltwirtschaftskrise. Er fügt sich.
Alcina, umgeben vom Tanzensemble, findet auch gefallen an Bradamante, die sich als Mann ausgibt
Alcinas Zauber vergeht, weil irgendwann niemand mehr daran glaubt. Vielleicht war es doch nur ein schöner Schein, nur eine Vision vom unverschämt luxuriösen Leben. So wie die Hoffnung des Knaben Oberto, seinen in einen Löwen verwandelten Vater retten zu können, hier eine böse Illusion ist. Jedenfalls wirft Alcina das Stofftier, das man lange für eben diesen Vater hält, mitleidlos ins Kaminfeuer. Herzog zeigt eine desillusionierende Entzauberung, indem er die eleganten Party-Outfits gegen die ärmliche Kleidung der Inflationszeit austauschen lässt. Aber ein Paradies, auch das macht die Regie deutlich, war dieses Zauberreich mit seinen eigenen, unmenschlichen Regeln nun wahrlich nicht.
Auch wenn die Kontraste zwischen Abendgarderobe und Soldatenmantel mitunter allzu deutlich ausformuliert werden, geht Herzogs Konzept insgesamt auf, ohne die Oper zu überfrachten. Das liegt auch an den ausgezeichneten Darstellerinnen und Darstellern. Marie Heeschen ist eine Alcina von kühler Eleganz, die mit kleinen Gesten die Bühne beherrscht und musikalisch vor allem mit den leisen, dabei ungemein intensiven Tönen glänzt. Überhaupt sind die Frauenstimmen durchweg mit hell timbrierten, leichten Stimmen besetzt, was ein lichtes Klangbild erzeugt. Anna Alàs i Jové singt einen jugendlich strahlenden, auch in den Koloraturen imponierenden Bradamante, Gloria Rehm eine ebenso agile, mit silbrig glänzendem Sopran brillierende Morgana (die Schwester Alcinas). Und Nicole Wacker steuert einen geradezu übermütigen Knaben Oberto bei.
Mit einem etwas dunkler eingefärbten Mezzosopran wird der Ruggiero von Charlotte Quadt gestaltet, die freilich an diesem Premierenabend ihre ganz eigene Geschichte schreibt: Am Morgen hatte sie noch krankheitsbedingt abgesagt. Weil der auf die Schnelle als Einspringer engagierte Countertenor Ray Chenez nach allerlei Komplikationen nur mit Verspätung aus Wien eingeflogen werden konnte, sollte sie wenigstens am Anfang der Vorstellung bis zu dessen Eintreffen auf der Bühne stehen und singen - und hielt dann bravourös bis zum Ende durch, auch als Chenez längst an der Seite auf seinen Einsatz wartete. In das von jungen, vibratoarmen Stimmen geprägte Ensemble passt Charlotte Quadts Mezzo ganz ausgezeichnet, und Beeinträchtigungen hörte man ihr nicht an. Stefan Sbonnik mit leichtem, agilem Tenor als Morganas Liebhaber Oronte und Pavel Kudinov mit angemessen poltrigem Bass als Bradamantes gestrenger Begleiter Melisso vertreten die Männerstimmen. Gewohnt zuverlässig erfüllt der hier wenig geforderte Chor (Einstudierung: André Kellinghaus) seine Aufgaben.
Und dann sind alle desillusioniert - nur Alcina, am Boden, will es noch nicht wahrhaben
Händel stand für die Uraufführung 1735 im neu erbauten Covent Garden Theater in London das berühmte Tanzensemble von Marie Sallé zur Verfügung, weshalb Alcina als Ballettoper angelegt ist. Als Reminiszenz daran setzt Herzog eine Gruppe von sechs Tänzern ein. In der Choreographie von Ramses Sigl zeichnen sie in häufig wechselnden Kostümen mit einer gehörigen Portion Ironie vor allem die frivole Atmosphäre im Hause Alcinas nach, dürften dabei an Präzision aber noch zulegen. Im Orchestergraben sorgt Dirigentin Dorothee Oberlinger mit dem Beethoven Orchester für musikalischen Furor - in der Ouvertüre noch eine Spur zu zaghaft, dann schnell an barocker Schärfe gewinnend. Auch an Farbigkeit lässt die Aufführung keine Wünsche offen. Zudem begleitet die Dirigentin sensibel (und um die technischen Schwierigkeiten der Gesangspartien wissend) die Stimmen auf der Bühne. Großer Jubel.
Das Regieteam um Jens-Daniel Herzog findet passende Bilder für eine musikalisch hochkarätige Aufführung.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Choreographie
Chor
Dramaturgie
Cembalo
Solisten* Besetzung der Premiere
Alcina
Ruggiero
Morgana
Bradamante
Oronte
Melisso
Oberto
Tänzer
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