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Verachtet mir die Demokratie nicht!
Von Stefan Schmöe /
Fotos von Bettina Stoess
Erstmal wird ein böses Stück Geschichte weggesprengt. Und zwar in Gestalt eines Hakenkreuzes. In einem verwackelten historischen Film wird gezeigt, wie man sich der NS-Emblematik auf einem Repräsentativbau der Zeit entledigt, und wenn das Objekt mit der Explosion hinter einer Rauchwolke verschwindet, setzt triumphal die einleitende Fanfare des Meistersinger-Vorspiels ein. Damit ist programmatisch die Ausrichtung der Inszenierung vorgegeben: Regisseur Aron Stiehl will die mehr als belastete Rezeptionsgeschichte der Oper hinter sich lassen. Hier wird symbolisch der zugehörige historische Ballast des Werkes gleich mit weggesprengt.
Stiehl nähert sich den Meistersingern unter dem Blickwinkel des revolutionären Wagner und interpretiert das Werk als utopischen Entwurf eines Staatswesens mit der Kunst als sinnstiftendem Element. Er lässt den Komponisten höchstpersönlich vorbeischauen und dem Stadtschreiber Beckmesser, Vertreter einer konservativen Kunstauffassung, per Briefchen das berühmte Zitat "Kinder, schafft Neues!" zustecken. Die These der Regie lautet in etwa so: Die Meistersinger sind ein Werk des Aufbruchs in eine bessere (auch: demokratischere) Zukunft - und keine Feier des Bestehenden. Und es handelt sich um eine echte Komödie, bei der gelacht werden darf. Über andere, aber auch über sich selbst. Ausgeblendet wird der antisemitische Wagner. Über diese Dinge lässt sich streiten (und es ist viel darüber gestritten worden). Als Setzung für diese Inszenierung muss man sie erst einmal so akzeptieren.
Nächtliches Intermezzo: Beckmesser und Sachs
Das Bühnenbild für alle drei Akte ist offenbar das Innere des Gebäudes aus dem Film vom Beginn. Die Nachkriegszeit hat sich des Raumes bemächtigt und ihn zum multifunktionalen Versammlungsraum mit Bühne umgebaut (Ausstattung: Timo Dentler und Okarina Peter). Statt dem Ende eines Gottesdienstes wohnen wir zu Beginn einer (reichlich undisziplinierten) Chorprobe bei, und die Festwiese im Finale des dritten Aufzugs wird, wir sind am Rhein, durch eine Karnevals-Prunksitzung ersetzt. In der Massenprügelei des zweiten Aktes, einem plötzlichen Ausbruch der Gewalt, brennen in diesem typischen Mehrzweckraum die elektrischen Sicherungen durch und unter Funkenflug fallen Teile der Wandverkleidung ab - und geben den Blick auf die darunter verborgenen NS-Adler frei. Der Faschismus ist also doch nur sehr dünn überdeckt. Aber es geht Stiehl weniger um die Vergangenheit als um die Bedrohungen unserer Demokratie. Auf der Bühne erscheinen lebensgroße Pappfiguren von illustren Vertretern illiberaler Parteien Deutschlands und Europas, darunter auch Trump und Putin. Den Pappmachékopf des russischen Präsidenten singt Hans Sachs später an, wenn er "Wahn, Wahn, überall Wahn" sieht. Damit spielt Stiehl auch auf den politischen Karneval mit seinen Mottowagen an.
Der fröhliche Gegenentwurf dazu ist die Welt der Meistersinger. Diese zeichnet Stiehl als würdevolle, gleichzeitig durchweg ein wenig verschrobene, aber durchaus sympathische Gestalten von stark ausgeprägter Individualität. Menschen, wie man sie aus der Regenbogenpresse kennt. Jeder hat seinen eigenen Spleen, und nicht nur hier ist die Personenregie bis ins kleinste Detail durchgearbeitet. Das setzt sich bei den Lehrbuben und dem Chor fort. Die Kostüme lassen sich zeitlich nicht exakt verorten, beschreiben aber die besseren Jahre der Bonner Republik. Ganz wunderbar ist der kurzärmlige Strickpullover mit schwarz-rot-gold-weißem Streifenmuster, den Lehrbube David trägt. So kann man Nationalfarben auftragen, ohne auch nur entfernt in falsch verstandenen Patriotismus abzudriften. Stiehl zeichnet eine gut gelaunte, in manchen Elementen ein wenig biedere, dann wieder chaotische Gesellschaft, die das alte und vorbelastete Gebäude für sich erobert hat. Hier kann man streiten und sich üble Worte an den Kopf werfen. Und man ist bereit zu vergeben. Die Rivalen Sachs und Beckmesser schütteln sich am Ende die Hände: Zur Utopie gehört auch der Wunsch nach Konsens.
Zu dieser Meistersinger-Welt gehört ganz selbstverständlich auch jemand wie dieser durchaus kluge Stadtschreiber und "Merker" Beckmesser. Joachim Goltz singt und spielt ihn mit großer Stimme und einer hinreißenden Mischung aus Witz und Würde. Stimmlich kann der Hans Sachs von Tobias Schabel nicht dagegenhalten, dazu fehlt es ihm an Volumen und auch an Glanz. Schabel besticht durch sein elegantes Auftreten, musikalisch auch durch schöne Phrasierung. Die Beinahe-Liebesbeziehung zur um eine Generation jüngeren Eva (mit draufgängerisch strahlendem Sopran: Anna Princeva) hat man selten so schön und anrührend ausinszeniert gesehen wie hier. Es fehlt nicht viel, und Eva ginge die Ehe mit Sachs ein. Da muss sich Stolzing, den Mirko Roschkowski mit geschmeidig hellem und leichtem, dennoch strahlkräftigem Tenor singt, mächtig ins Zeug legen. Er tritt als Clown auf, was man als Reminiszenz an Heinrich Böll verstehen kann. Manuel Günther singt einen wunderbar wendigen David.
Das Schicksal König Markes will Sachs sich ersparen: Es bleibt bei einer Beinahe-Liebesbeziehung mit der viel jüngeren Eva
Es gibt eine Fülle liebevoll ausgestalteter Episoden am Rand, die die Aufführung sehr unterhaltsam machen. Und der Karneval wird von Stiehl keineswegs karikiert, sondern mit großem Prunk und aufwendigen Kostümen zelebriert. Chor und Extrachor der Oper Bonn (Einstudierung: André Kellinghaus) sind nicht nur bestens bei Stimme, sondern auch ausgesprochen spielfreudig. Die Prügelfuge allerdings gerät in der hier besprochenen zweiten Aufführung ziemlich verwackelt und lärmend. Am Pult des zuverlässigen und klangschönen Beethoven Orchesters steht Kapellmeister Hermes Helfricht, kurzfristig für den erkrankten GMD Dirk Kaftan eingesprungen. Er wählt flüssige Tempi und einen weitgehend unpathetischen Zugang (der "Wach auf!"-Chor darf dann aber doch machtvoll und breit erklingen).
Und die gefürchtete Schlussansprache des Sachs? Wenn der vor den drohenden Gefahren warnt, fällt in der Bühne des Mehrzweckraums die barocke Kulisse (die das historische Bonn statt Nürnberg zeigt) in sich zusammen und erneut erscheinen als Puppen die Feinde der Demokratie. Der folgenden Aufforderung "ehrt Eure deutschen Meister" kommt der Chor nach, der sich an den Seiten des Parketts aufreiht und Pappschilder mit den Namen solcher deutschen Meister hochhält - und Meisterinnen. Neben dem unvermeidlichen Albrecht Dürer (der war schließlich Nürnberger) werden auch Künstler wie Hildegard Knef oder Fatih Akin gefeiert. So wird die Gesellschaft am Ende auch noch ein bisschen vielfältiger.
Aron Stiehl inszeniert sehr vergnügliche und ungeheuer detailverliebte Meistersinger als Loblied auf die demokratische Gesellschaft und Warnung vor ihren illiberalen Gegnern. Musikalisch auf gutem Niveau.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Chor
Choreographie
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Hans Sachs
Veit Pogner
Kunz Vogelgesang
Konrad Nachtigall
Sixtus Beckmesser
Fritz Kothner
Balthasar Zorn
Ulrich Eißlinger
Augustin Moser
Hermann Ortel
Hans Schwarz
Hans Foltz
Walther von Stolzing
David
Eva
Magdalena
Ein Nachtwächter
Lehrbube Tenor 1
Lehrbube Tenor 2
Lehrbube Tenor 3
Lehrbube Tenor 4
Lehrbube Tenor 5
Lehrbube Tenor 6
Lehrbube Mezzo 1
Lehrbube Mezzo 2
Lehrbube Mezzo 3
Lehrbube Mezzo 4
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