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Eine kleine und doch ganz große makabre Kriegsrevue
Von Stefan Schmöe /
Fotos von Bettina Stoess
Wenn es die Macht des Schicksals allzu toll treibt, mag man nicht recht an sie glauben. Schon bei der Uraufführung von Verdis La forza del destino 1862 in St. Petersburg fielen die Reaktionen sehr gemischt aus. Eine ebenso verworrene wie unglaubwürdige Handlung, so lautet bis heute der Hauptvorwurf. Eine Pistolenkugel, die sich versehentlich löst und den Vater von Leonore di Vargas trifft, trägt ebenso dazu bei wie die wiederholten zufälligen Treffen von deren rachsüchtigem Bruder Carlo und ihrem Geliebten Alvaro, ohne dass diese sich erkennen. Daran ändert auch die heute meist gespielte zweite Fassung für die Mailänder Scala von 1869 nicht viel. Für seine in Koproduktion der Welsh National Opera Cardiff, der Oper Lissabon und der Oper Bonn entstandene Inszenierung lässt Regisseur David Pountney die Wahrsagerin Preziosilla als Schicksalsgöttin agieren, die bedeutungsschwer das Schicksalsrad dreht (im Video), wie ein Zirkusdirektor auftritt oder gleich einem Todesengel gravitätisch über die Bühne schreitet.
Kann man mit solchem Kitsch den, pardon, Kitsch der Handlung bannen? So leidlich. An vielen Stellen wirkt die Inszenierung wie eine rabenschwarze Revue. Der fabelhaft singende Chor (Einstudierung: André Kellinghaus) ist meist in groteske Einheitskostüme gekleidet und bewegt sich, sorgsam durchchoreographiert (Michael Spenceley), in synchronen Bewegungen. Das Bühnenbild (Raimund Bauer) besteht aus zwei dreh- und verschiebbaren Wänden, mit denen die unterschiedlichen Räume angedeutet werden. Der Blutfleck nach dem fatalen Schuss ist ebenso präsent wie ein Durchgang in Form eines großen Kreuzes für das Kloster, in dessen Einsiedelei sich Leonora zurückzieht. So erzählt Pountney die wirre Geschichte mit recht pauschaler Personenregie einigermaßen gut nachvollziehbar, ohne sich in falschem Realismus zu verlieren. Besonders berührt wird man vom Schicksal der Protagonisten allerdings auch nicht.
Leonoras Bruder Don Carlo (links) und Alvaro lernen sich im Krieg kennen und retten einander gegenseitig das Leben. Weil sie sich die richtigen Namen verschweigen, begreifen sie erst später, dass diese Freundschaft wenig tragfähig ist, denn Carlo will seinen Vater rächen und Alvaro töten.
Es geht um Krieg - wobei die ersten beiden Akte mit "Frieden", die letzten beiden mit "Krieg" in großen Buchstaben per Videoprojektion angekündigt werden. Immer wieder sieht man eine Videosequenz mit dem in Zeitlupe fliegenden Projektil, das die Katastrophe auslöst. Die Kostüme (Marie-Jeanne Lecca) zeigen allerlei militärische Fantasieuniformen, die sich historisch nicht verorten lassen. So bleibt die Antikriegsbotschaft universell. Man kann die Oper in dieser Sichtweise als einen großen Totentanz auffassen. Das alles ist nicht falsch, aber auch nicht gerade mitreißend - im Gegensatz zur Musik. Denn was man hier zu hören bekommt, ist großes Musikdrama.
Im Orchester pfeift, grummelt und heult es. Dirigent Will Humburg spitzt die Klangeffekte immer wieder zu, lässt das Beethoven Orchester, das über sich hinauswächst (großartige Holzbläsersoli!), scharf attackieren. Die kleinen Noten haben die Präzision von Nadelstichen. Kontraste werden hervorgehoben. Das ist weit weg von einem behaglichen Wohlfühl-Verdi. Und dann gibt es die melodischen Linien, die ohne Pathos und Sentiment, aber mit schicksalhafter Größe erklingen. Manche Phrase weist in ihrer geradezu lakonischen Interpretation auf den späten Verdi voraus. Gleichzeitig ist Humburg ein exzellenter Begleiter der Sängerinnen und Sänger. Wie gut die Balance zwischen Orchester und Bühne ausgehört ist, zeigt sich etwa daran, dass Yannick-Muriel Noah in der Partie der Leonora ein expressives Piano in einen satten Forte-Klang hinein singen kann und sofort den Fokus auf sich lenkt.
Don Carlo (liegend) ist im Duell von Alvaro tödlich verwundet worden und hat mit seinem letzten Atemzug noch schnell aus Rache seine Schwester Leonora erschossen. Das ist halt die Macht des Schicksals, befindet Padre Guardiano (hinten). Alvaro (links) muss seit der zweiten Fassung der Oper mit dieser Erkenntnis weiterleben.
Mit warmer, glutvoller Stimme, die auch in den Forte-Attacken nicht an Schönheit einbüßt, gibt sie eine glanzvolle Leonora ab. Franco Vassallo singt ihren rachsüchtigen Bruder Don Carlo mit raumfüllendem, gleichzeitig elegantem Bariton. Den Liebhaber Alvaro gestaltet George Oniani mit kraftvollem, nicht unbedingt sehr "italienischem", aber in schönen Linien geführtem und in der Höhe unangefochten strahlendem Tenor Glanz. Pavel Kudinov ist ein kerniger, vergleichsweise junger Padre Guardiano ohne altväterliche Sonorität, dafür mit zupackender Energie (den Marchese di Calatrava, Leonoras und Carlos Vater, singt er gleich noch dazu). Enrico Marabelli glänzt als komödiantisch angelegter Klosterbruder Melitone. Stimmlich ein wenig leichtgewichtig, aber mit quirliger vokaler Präsenz gestaltet Dschamilja Kaiser die Preziosilla.
Musikalisch wird hier mit einem in allen Bereichen - Chor, Orchester, Bühne - tollen Ensemble ganz große Oper geboten. Mit der Inszenierung kann man leben.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Szenische Einstudierung
Bühne
Kostüme
Licht
Beleuchtungseinrichtung
Bewegungschoreographie
Chor
Video
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Donna Leonora
Don Carlo di Vargas
Don Alvaro
Padre Guardiano / Marchese di Calatrava
Fra Melitone
Preziosilla / Curra
Mastro Trabuco
Ein Chirurg
Ein Alkade
Eine Mutter
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