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Himmel, Hölle und Fegefeuer
Von Stefan Schmöe
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Fotos Matthias Baus / Clärchen und Matthias Baus Fanny und Alexander beginnt in einem Paradies. Im großbürgerlichen Haus der sehr wohlhabenden Familie Ekdahl, einer Dynastie von Theaterschaffenden, feiert man Weihnachten. Die Stimmung ist ausgelassen, die Geisteshaltung liberal. Über die sexuellen Eskapaden Onkel Gustav Adolfs etwa sieht man großzügig hinweg. Die ganze Welt erscheint wie ein großes, opulentes Theaterstück. Doch ein paar Tage später stirbt Adolf, Vater von Fanny und Alexander, bei den Proben zu Hamlet. Emilie, seine junge Witwe, wird ein Jahr später den strengen Bischof Vergerus heiraten, und für die Kinder bedeutet das die Vertreibung aus dem Paradies. Auf sie wartet ein puritanisch strenges Leben - und auf den heranwachsenden, pubertär rebellischen Alexander eine Folge von brutalen körperlichen Züchtigungen. Vorbereitungen für die Weihnachtsfeier im Hause Ekdahl: rechts Alma und Gustav Adolf Ekdahl, hinten Matriarchin Helena Ekdahl und Jugendfreund Isaak Jacobi (Foto © M&CBaus)
In seinem letzten Film (1982) stellt Ingmar Bergmann zwei sehr unterschiedliche Sphären einander gegenüber: Die sinnenfrohe Welt der Ekdahls (bei der Bergman natürlich nicht die Risse unter der glänzenden Oberfläche verheimlicht) und die asketische Strenge im Hause des Bischofs. Und weil es bei dem schwedischen Regisseur immer um mehr ging, ahnt man dahinter auf der einen Seite einen gutmütig verzeihenden, auf der anderen einen konsequent strafenden Gott. Aber Bergman beschwört eine dritte Welt herauf, nämlich eine jüdisch-kabbalistische im Haus Isaaks. Dieser Jugendfreund von Matriarchin Helena Ekdahl entführt die Kinder auf abenteuerliche Weise aus dem Haus des Bischofs, weil eine Scheidung nicht möglich ist (nach geltendem Recht würden die Kinder beim gewalttätigen Stiefvater verbleiben). Fanny und Alexander treffen auf der Flucht auf Isaaks geheimnisvollen Neffen Ismaël, vielleicht nur das Alter Ego Alexanders, der dessen finsterste Gedanken offen ausspricht. Jedenfalls entsteht aus der Kraft von Alexanders Fantasie ein Fegefeuer, in dem der Bischof verbrennt. Vielleicht war das auch nur ein banales Unglück, aber was hier Traum ist und was Wirklichkeit, das lässt sich ohnehin nicht so genau sagen. Oscar, der Vater von Fanny und Alexander, stirbt (Foto © M&CBaus)
Für die Brüsseler Oper hat Royce Vavrek das Drehbuch zum (englischsprachigen) Opernlibretto umgearbeitet, das die Geschichte verkürzt, aber linear und weitgehend unverändert nacherzählt. Die emotional aufgeladene Musik von Mikael Karlsson verdichtet die Atmosphäre wie ein gewaltiger Soundtrack. Das Grundmodell ist vergleichsweise schlicht: In Dauerschleifen wiederholte vier- oder achttaktige Basslinien geben ein leicht wiedererkennbares, rhythmisch wie harmonisch strukturierendes Fundament, über dem sich mal mehr, mal weniger dissonante Figuren als orchestrales Füllmaterial auftürmen. Der Orchesterklang verschmilzt mit Elektronik, was kompositorisch keinen nennenswerten Mehrwert bringt, aber den Klang noch weiter aufgepeppt und zeitgemäß modern erscheinen lässt - eine Brücke zur Popkultur. Das "immersive Klangerlebnis" durch einen Surround-Klang, das im Programmbuch versprochen wird, stellt sich allerdings kaum ein. Aber Fanny and Alexander positioniert sich als ein Werk, das über das typische Abo-Publikum hinaus ein nicht zwingend opernerfahrenes Publikum ansprechen möchte - mit einer Musik, die man unmittelbar verstehen oder besser: erleben kann. Strenge Erziehung: Bischof Vergerus züchtigt seinen Stiefsohn Alexander, Haushälterin Justina (rechts) schaut zu, Fanny schaut weg (Foto © Matthias Baus)
Dementsprechend geht es vor allem darum, die Geschichte spannend und stimmungsvoll auf der Opernbühne zu erzählen. Das Team um Regisseur Ivo van Hove findet dazu die passsenden großen Bilder, nah an der jeweiligen Situation, aber doch ein wenig surrealistisch verfremdend (Bühne: Jan Versweyveld). So findet das Weihnachtsfest der Ekdahls an einer gedeckten Tafel vor einem veritablen Tannenwald statt, der Tod Oscars im nüchternen Theater wird eindrucksvoll aus der Vogelperspektive gefilmt und auf die Rückwand projiziert. Die eher modernen Kostüme (An D'Huys) lösen das Stück aus der historischen Fixierung (der Film spielt am Beginn des 20. Jahrhunderts). Nicht zuletzt das effektvolle Feuer sorgt für einen spektakulären Effekt. So bietet die fast dreieinhalb Stunden (bei einer Pause) lange Aufführung durchaus fesselndes Theater über die ganz großen Glaubensfragen. Im Hause Isaaks: Isaak mit Fanny und Alexander; hinten: Aron (Foto © M&CBaus)
Ziemlich unscharf allerdings bleibt die musikalische Charakterisierung der Figuren. Das liegt auch daran, dass der Schwerpunkt der Musik auf der großflächigen instrumentalen Stimmungsmalerei liegt. Die Gesangslinien wirken dagegen ziemlich austauschbar. Zudem arbeitet das Orchester der Brüsseler Oper unter der Leitung von Ariane Martiakh zwar sehr schön die Klangfarben heraus, spielt aber meistens eine Spur zu laut, als dass sich die Stimmen entfalten könnten. Das Familienoberhaupt der Ekdahls, die gutmütige Helene (Susan Bullock gibt ihr, stimmlich solide, ein etwas biederes Erscheinungsbild), beginnt und beendet die Oper mit einer ohne Begleitung vor sich hingesungenen Phrase - diese Idee hat Jake Heggie in seiner (ebenfalls auf Breitenwirkung bedachten) Oper Dead Man Walking ungleich wirkmächtiger und dramaturgisch zwingender umgesetzt. Die Gesangspartien in Fanny und Alexander wirken insgesamt dem Orchester untergeordnet und haben vor allem die Aufgabe, Text zu transportieren. So bleiben vor allem Oskar (mit angestrengtem Tenor: Peter Tantsits) und Emilie (mit klangschönem, nicht allzu großem Sopran: Sasha Cooke) ziemlich blass. Der wie immer überaus elegante und mit noblem Bariton singende Thomas Hampson gibt einen würdevollen Bischof, dessen innere Wut die Musik kaum zum Ausdruck bringt. Anne Sofie von Otter steuert mit immer noch silbrigem Sopran eine strenge Haushälterin Justina bei. Traum oder Wirklichkeit: Alexander (vorne) beschwört mit Hilfe Ismaëls ein Inferno herauf. Mutter Emilie (links) schaut zu (Foto © M&CBaus)
Man fragt sich schon, warum der Komponist den Hauptfiguren Fanny und Alexander (achtbar: Sarah Dewez und Jay Weiner) keine interessanteren Gesangspartien geschrieben hat. Den größten und musikalisch spektakulärsten Auftritt hat in einer rasanten Steigerung auf den Schluss hin der Countertenor Aryeh Nussbaum Cohen als Ismaël, der mit bestechender stimmlicher Präsenz der Figur eine unheimliche und nicht fassbare Aura verleiht (wogegen sein Kostüm irgendwo zwischen "divers" und "nicht binär" im bürgerlichen Modekanon hängen bleibt). Wie hier die Höllenfahrt des verhassten Bischofs heraufbeschworen wird, das ist szenisch wie musikalisch großes Musiktheater. FAZIT Nichts für Avantgardisten: Mikael Karlssons Musik liefert eine eingängliche, großformatige Klangkulisse, zu der Ivo van Hove eindrucksvolle Bildwelten geschaffen hat. Nicht unbedingt ein Meisterwerk, aber es gelingt, damit einen mit fast dreieinhalb Stunden nicht eben kurzen, dennoch ziemlich spannenden Theaterabend zu auf die Bühne zu bringen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Licht
Kostüme
Videodesign
Dramaturgie
Solisten
Helena Ekdahl
Oscar Ekdahl
Emilie Ekdahl
Fanny
Alexander
Bishop Edvard Vergerus
Justina
Isak Jacobi
Ismaël
Aron
Carl Ekdahl
Lydia
Gustav Adolf Ekdahl
Alma Ekdahl
Paulina
Esmeralda
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