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Der Kreidekreis

Oper in drei Akten
Libretto von Alexander von Zemlinsky nach dem gleichnamigen Schauspiel von Klabund (Alfred Henschke)
Musik von Alexander von Zemlinsky


in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 10' (eine Pause)

Premiere am 1. Dezember 2024 im Opernhaus Düsseldorf


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Rheinoper
(Homepage)
Mit feiner Kreide gezeichnet

Von Stefan Schmöe / Fotos von Sandra Then

Ein Kreidekreis soll es richten: Zwei Frauen behaupten, Mutter eines Säuglings zu sein. Welcher es gelingt, den Jungen aus dem Kreis heraus zu sich zu ziehen, der soll die Mutterschaft zugesprochen werden. Die wahre Mutter wird aber letztendlich daran erkannt, dass sie nachgibt, um das Kind nicht zu verletzen. Was dem biblischen Urteil Salomos ähnelt, entstammt hier einem chinesischen Singspiel aus dem 14. Jahrhundert, von Klabund 1925 als vielbeachtetes Schauspiel auf die deutschen Theaterbühnen gebracht (nachhaltige Wirkung hatte auch rund 20 Jahre später Bertolt Brechts Variante Der kaukasische Kreidekreis). Alexander von Zemlinsky komprimierte die Version Klabunds zum Opernlibretto und vertonte es auf ganz eigene Weise. Gesungene und (oft in Form eines Melodrams über die Musik) gesprochene Passagen wechseln sich ab. Stilistisch verbindet er virtuos die gefühlsgeladene Spätromantik mit der ironisch-sachlichen Zeitoper der 1920er-Jahre. Sachlich-nüchterne Passagen und emotionale Ausbrüche sind geschickt miteinander verzahnt.

Szenenfoto

Im "Teehaus" (das eigentlich ein Bordell ist) des Herrn Tong: Tschang-Haitang

Die Düsseldorfer Symphoniker unter der Leitung von Hendrik Vestmann bewältigen diesen Spagat beeindruckend sicher. Der Orchesterklang ist von luftiger Transparenz und kammermusikalischer Klarheit und schwebt oft wie ein federleichter Kommentar über der Szene. Die Musik klingt delikat und fein instrumentiert. Vestmann romantisiert nichts, sondern hebt hervor, wie nah sich Zemlinsky an die Auflösung des Tonartensystems heranwagt. In den expressiven Ausbrüchen, die das in der Vorgeschichte erlittene Leid der Hauptfigur Tschang-Haitang ausdrücken, bleibt in Vestmanns sorgfältig ausgearbeiteter Interpretation ein gewisses Maß an Sachlichkeit erhalten. Das geht ganz ausgezeichnet auf, weil es hervorragend mit der antiillusionistischen Regie von David Bösch und dem bei aller Konzentration auf die Versuchsanordnung des Stücks sehr poetischen Bühnenbild (Patrick Bannwart) korrespondiert.

Szenenfoto

Seit sie einen Jungen und damit einen männlichen Erben zur Welt gebracht hat, findet Steuereintreiber Ma Gefallen an Nebenfrau Tschang-Haitang. Den Tee, den ihm seine um Erbe wie Privilegien fürchtende Hauptfrau Yü-Pei gleich reichen wird, überlebt er daher nicht. Gerichtsdiener Tschao sinniert im Hintergrund, wie er von der Sache profitieren kann.

Ein kurzer Abriss der Handlung: Nach dem Suizid ihres Vaters wird Tschang-Haitang zunächst an das Bordell des Herrn Tong und von diesem postwendend an den despotischen Steuereintreiber Ma verkauft (ausgerechnet der hatte ihren Vater in den Tod getrieben). Im Hause des Herrn Ma steht sie als Nebenfrau an untergeordneter Stelle, bringt aber den erhofften Sohn zu Welt - worauf Ma sie an Stelle von Yü-Pei in den Rang der Hauptfrau und Erbin einsetzen will. Die wiederum will ihre privilegierte Stellung nicht aufgeben und vergiftet Ma, um dann Tschang-Haitang als Mörderin zu bezichtigen und sich selbst als Mutter des Säuglings auszugeben. In einem durch und durch korrupten Gerichtsprozess wird Tschang-Haitang zum Tode verurteilt und nur dadurch gerettet, dass der Kaiser stirbt und dessen Sohn Pao als Nachfolger alle Todesurteile persönlich überprüfen wird. So kommt der besagte Kreidekreis zum Einsatz. Tschang-Haitang wird rehabilitiert und, wir sind im Märchen, sogar zur Kaiserin erhoben.

Die Spielfläche besteht aus zwei konzentrischen Kreisen, wodurch der Kreidekreis (dem schon vor dem beschriebenen Urteil mehrfach symbolische Bedeutung zugeschrieben wird) allgegenwärtig ist. Überhaupt wird Kreide im Bühnenbild zum optischen Leitmotiv. Auf den schwarzen Wänden wie auch auf den Zwischenvorhängen, mit denen die einzelnen Szenen angekündigt werden, sind Kreidezeichnungen zu sehen. Das setzt sich in einer Erzählform fort, die ihre Geschichte grob umreißt - eben wie mit Kreide skizziert.

Szenenfoto

Das Gericht (in roter Robe: der durch und durch korrupte Richter Tschu-Tschu) spricht Tschang-Haitang (vorn kniend) des Mordes und der versuchten Kindesentführung schuldig.

Lavinia Dames verkörpert die Tschang-Haitang in einer hinreißenden Mischung aus leidendem Mädchen und artifizieller Symbolfigur. Die gesprochenen Stellen trägt sie mit bestechend klarer Deklamation vor. Stimmlich besitzt sie nicht den großen dramatischen Sopran, den die Musik in den Aufwallungen mitunter zu fordern scheint, aber das ist nicht von Nachteil - sie bewahrt dadurch die Figur davor, zur spätromantischen Heroine stilisiert zu werden. Der Expressivität wird sie auch mit ihrem lyrischen Sopran bestens gerecht. Matthias Koziorowski imponiert mit strahlendem Tenor als Prinz Pao, dem späteren Kaiser. Joachim Goltz gibt einen einerseits dämonisch bösen, aber in der Beziehung zu Tschang-Haitang vielschichtigen Steuereintreiber Ma mit großformatigem Bariton. Sarah Ferede ist szenisch wie stimmlich sehr präsent als Yü-Pei, Hauptfrau und Gattenmörderin. Richard Šveda gibt mit leidenschaftlichem Bariton den revolutionär gestimmten Bruder Tschang-Haitangs. Auch die weiteren Rollen sind exzellent besetzt, bis hin zu den beiden bestochenen Zeugen, deren kurze Auftritte Sander de Jong und Henry Ross zu komischen Kabinettstückchen machen.

Szenenfoto

Wer das Kind aus dem Kreidekreis zieht, der soll die Mutterschaft zuerkannt werden - aber Tschang-Haitang (links) gibt nach, um das Kind nicht zu verletzen. Aber genau damit wird Yü-Pei als Lügnerin überführt.

Es wird durchweg sehr genau gespielt und im gesprochenen Text jedes Wort kunstvoll zelebriert. Die sehr konzentrierte Inszenierung greift die vordergründige Naivität des Stücks geschickt auf und spielt lustvoll mit der ungewöhnlichen Form, indem sie die einzelnen Szenen sehr klar umreißt und doch ein großes Maß an Leichtigkeit bewahrt. Das chinesische Kolorit ist in der strengen Ästhetik präsent und wirkt nie folkloristisch. Statt an der Säuglingspuppe wird am Ende an einer überdimensionalen Pappfigur gezogen, neben der die Menschen klein erscheinen - klein eben auch gegenüber einem System, das nicht zu greifen und nicht zu beherrschen ist.


FAZIT

Die Rheinoper liefert mit dieser szenisch wie musikalisch herausragenden Produktion ein starkes Plädoyer für Zemlinskys Kreidekreis.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Hendrik Vestmann

Inszenierung
David Bösch

Bühne und Video
Patrick Bannwart

Kostüme
Falko Herold

Licht
Volker Weinhart

Dramaturgie
Anna Melcher



Düsseldorfer Symphoniker


Solisten

Tschang-Haitang
Lavinia Dames

Frau Tschang, ihre Mutter
Katarzyna Kuncio

Tschang-Ling, ihr Bruder
Richard Šveda

Tong, ein Kuppler
Cornel Frey

Pao, ein Prinz
Matthias Koziorowski

Ma, ein Manderin
Joachim Goltz

Yü-Pei, seine Gattin ersten Ranges
Sarah Ferede

Tschao, Sekretär bei Gericht
Jorge Espino

Tschu-Tschu, Oberrichter
Werner Wölbern

Hebamme
Romana Noack

Ein Mädchen
Elisabeth Freyhoff

1. Kuli
Sander de Jong

2. Kuli
Henry Ross

Soldat
Dashuai Jiao



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Rheinoper
(Homepage)



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