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Der Krieg der Mächtigen
Von Stefan Schmöe / Fotos von Sandra Then
S'ist Krieg. Die Menschen leiden. Jedenfalls die einfache Bevölkerung irgendwo in der Ukraine oder in Gaza. Regisseurin Ilaria Lanzino legt sich geographisch und politisch nicht fest; die schmucklose Hochhausfassade, die Bühnenbildnerin Dorota Caro Karolczak zum Zeichen der Zerstörung flach auf den Bühnenboden gelegt hat und durch eine riesige schräg gestellte Spiegelwand permanent sichtbar macht, verortet das Kriegsgeschehen ebenso in der Gegenwart wie die Kostüme (Carola Volles), die verdreckte und verschlissene Alltagskleidung von heute zeigen. Man sieht ein Leben in Trümmern, allzu detailverliebt in der Personenregie und dadurch oft am Rande unfreiwilliger Komik. Da gibt es eine Sturzgeburt auf offener Bühne, Begräbnisse, musizierende Kinder, viel Gefuchtel mit Waffen und mehr dieser Art. Ein Stück mehr abstrahierende Distanz zum Geschehen statt des Bemühens um vermeintlichen Realismus könnte die Inszenierung vor allzu großer Niedlichkeit, in die sie immer wieder verfällt, schützen. Aber die Intention, eine kriegstraumatisierte Gesellschaft zu zeigen, die aus ganz normalen Menschen besteht, wird sichtbar. Hausfassade im Spiegelbild: Hebräer und Leviten als Opfer des Krieges
S'ist Krieg. Familienkrieg. Bombardierung, das kümmert die Mächtigen nicht allzu sehr. In ihren schicken Palästen kommt die Zerstörung nicht an. Da beschäftigt man sich vielmehr mit gestörten Familienverhältnissen. Herrscher Nabucco hat von seinen beiden Töchtern die eine, Fenena, gegenüber der anderen, Abigaille, allzu sehr bevorzugt. Immer wieder baut die Regie Szenen ein, in denen man die beiden Mädchen als Kinder sieht (Anastasiia Buianevych und Clara Misini spielen die Rollen mit beeindruckender Präsenz). Das ziemlich schematische Gut-Böse-Schema im Libretto der Oper bekommt dadurch ein paar interessante Facetten. Die historisierenden, im besten Sinn theatralischen Fantasiekostüme entrücken diese Oberschicht unserer Gegenwart. Die Herrscherclans waren und sind eben zu allen Zeiten ein Fall für sich. Mit diesen Setzungen tariert Ilaria Lanzino die verschiedenen Ebenen der Oper - Staatskonflikt und Familiendrama, Historienstück und Gegenwartsbezug - überzeugend aus. Unten das Volk, oben die Mächtigen: Da kommt der Krieg erst an, als die Familienintrigen zu einem Attentat führen
Während die Geschichte von der Unterdrückung der Hebräer und Leviten durch die Babylonier unter der Herrschaft von König Nabucco zunächst recht nah am Libretto entlang erzählt wird, erlaubt sich die Regie im zweiten Teil einige gewichtige Eingriffe in die Handlung. In der zerstörten Stadt stehen sich bald zwei geschundene Völker gegenüber, nur durch Barrikaden getrennt - farblich hübsch getrennt in die Blauen und die Roten. Den berühmten Gefangenenchor "Va, pensiero", eigentlich der Wunsch nach Befreiung aus der Unterdrückung, singen sie gemeinsam (und das im zurückgenommenen Piano ohne großes Pathos - wären Chor und Orchester genauer zusammen, dann wäre es großartig). Die Idee ist klar: Die Bevölkerung auf beiden Seiten möchte Frieden, die Machthaber Krieg. Es ist eine durchaus anrührende Utopie, die Ilaria Lanzino da aufbaut. Ob dieser Ansatz der Gegenwart gerecht wird, ist eine andere Frage. Nun kann man einwenden, dass die Oper nicht die Kunstform ist, die komplexe politische Fragen verhandeln kann. Andererseits ist ja gerade Nabucco in der italienischen Freiheitsbewegung sehr politisch interpretiert und das "Va, pensiero" zur heimlichen Hymne des erträumten Nationalstaates erhoben worden. Da dürfte die Regie vielleicht doch ein wenig genauer auf die Konflikte schauen. Abigaille schiebt Papa Nabucco auf's Altenteil
Dem speziellen Charakter des frühen Verdi und speziell dieser etwas vordergründigen und reißerischen Oper, die ja auch unverhohlen Spektakel sein möchte, wird die Regie aber durchaus gerecht. Dabei verzichtet sie darauf, Nabucco als zunehmend wahnsinnigen Tyrannen zu zeichnen, wie das ja eigentlich vorgesehen ist. Hier wird er als Greis in den Rollstuhl gesetzt und Tochter Abigaille übernimmt das Kommando, während Fenena der Absprung aus den Gefilden der Machthaber gelingt und sich dem Volk zuwendet. Und damit gerade noch rechtzeitig auf der richtigen Seite steht, denn hier ist es nicht eine plötzliche Einsicht Nabuccos, die die Situation zum Kippen bringt, sondern ein handfester Aufstand des Volkes. Die Inszenierung ist mit ihrer Erzählung allerdings eine knappe halbe Stunde früher fertig als die Oper und hat alles gesagt, obwohl die Musik noch weiterläuft. Ob die neuen Herrscher aus dem Volk ihre Sache besser machen werden als ihre Vorgänger, die auf der Hinterbühne verbrannt werden sollen?
Sängerisch präsentiert Alexey Zelenkov einen machtvoll eindrucksvollen, ein bisschen altväterlichen, nicht allzu dämonischen Nabucco. Svetlana Kasyan als Abigaille kann ihm mit ihrer enormen Präsenz sängerisch den Rang ablaufen: Sie hat mit ihrem eher hellen Mezzo ganz starke Momente, wobei die Stimme in anderen Passagen auch an ihre Grenzen kommt. Kimberley Boettger-Soller bleibt als Fenena dagegen recht brav und ein wenig blass. Eduardo Aladrén gibt ihren Liebhaber Ismaele mit geschmeidigem Tenor, ohne allzu viel Eindruck zu hinterlassen. Liang Li singt einen durch und durch soliden Priester Zaccaria. Chor und Extrachor (Einstudierung: Patrick Francis Chestnut) sind prachtvoll im Klang, singen sehr differenziert und verfallen nie in den gefährlichen Hurra-Modus, der nahe liegt. Allerdings sind Chor und Orchester immer wieder leicht auseinander. Vitali Alekseenov, der neue Chefdirigent der Rheinoper, dirigiert die sehr zuverlässigen Düsseldorfer Symphoniker mit viel Gespür für Zwischentöne in dieser Musik, bei der er das gefürchtete "Rumtata" gut unterdrücken kann. So präsentiert er die Partitur in schillernden Farben, und bei allem, was mit dem Blick auf den späten Verdi hier noch unausgegoren erscheinen mag, als frühes Meisterwerk. Und diesen Ansatz kann nicht nur das Ensemble gut umsetzen, sondern auch die Regie bei allen Schwächen unterstützen. So ist dieser Nabucco gerade in seinen Widersprüchen dann doch eine sehens- und hörenswerte Angelegenheit.
Die Analyse des Familienkriegs im Hause Nabuccos überzeugt mehr als der etwas naive Blick auf die Kriege unserer Gegenwart: Nicht alles gelingt, aber die Produktion hat szenisch wie musikalisch ihre starken Seiten. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Nabucco
Ismaele
Zaccaria
Abigaille
Fenena
Der Oberpriester des Baal
Abdallo
Anna
Junge Abigaille
Junge Fenena
Junger Ismaele
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