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Von Stefan Schmöe / Fotos von Yan Revazov
Der Titel Signaturen dieses Ballettabends ist programmatisch zu verstehen, denn es geht um einen Neubeginn des Düsseldorf-Duisburger Balletts. Nach der oft berauschenden Ära unter Martin Schläpfer von 2009 bis 2021 (mit weitgehendem Verzicht auf die großen Handlungsballette, was nicht jedem gefiel) und dem ziemlich kurzen, wenig prägenden, allerdings gleich zu Beginn von der Corona-Pandemie ausgebremsten Intermezzo unter Demis Volpi (der jetzt die Nachfolge von John Neumeier in Hamburg angetreten hat), übernimmt jetzt Bridget Breiner die künstlerische Leitung. In der Region ist sie keine Unbekannte, war sie doch von 2012 bis 2019 Ballettchefin am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier. Aus dieser Zeit sind noch Stücke wie Charlotte Solomon: Der Tod und die Malerin oder Prosperos Insel in Erinnerung; die preisgekrönte Aschenputtel-Version Ruß! wird sie in dieser Spielzeit auch mit dem Ballett am Rhein aufführen. Zuletzt war Breiner als Leiterin der Ballettsparte am Badischen Staatstheater Karlsruhe tätig. In Düsseldorf und Duisburg wird sie für die künstlerische Ausrichtung verantwortlich sein, nicht zuletzt als Chefchoreographin. Als Ballettdirektor steht ihr Raphaël Coumes-Marquet zur Seite. Zum Auftakt ihrer Amtszeit sollen die künstlerischen Handschriften - oder eben Signaturen - erkennbar werden, die zukünftig das künstlerische Profil prägen, die aber auch verorten, wo die Wurzeln von Breiner und Coumes-Marquet liegen.
Den niederländischen Altmeister Hans van Manen, inzwischen 92 Jahre alt, hat das neue Führungsduo als "inoffiziellen Hauschoreographen" betitelt. Seine Four Schumann Pieces aus dem Jahr 1975 machen den Auftakt - sie sind zum ersten Mal in Düsseldorf, wo viele Choreographien van Manens getanzt wurden, zu sehen. Dass mit der Musik Robert Schumanns (das Streichquartett A-Dur op. 41 Nr. 3 in einer Fassung für Streichorchester) ein Komponist auf dem Programm steht, der von 1850 - 1854 als städtischer Musikdirektor in Düsseldorf amtierte und damit engen Bezug zur Stadt hat, mag zur Auswahl des Werkes beigetragen haben. Van Manen hat hier ein erlesen schönes Werk in der neoklassischen Tradition Georges Balanchines geschaffen. Im leeren Bühnenraum wirken die weiten, zartrosafarbenen Hemden der Herren und die blassblauen, ins Türkise changierenden schleierartigen Kleider der Frauen im faszinierenden nachtblauen Licht (Bert Dalhuysen) federleicht. Schon wie Gustavo Carvalho beim Öffnen des Vorhangs mit großer Körperspannung im Zentrum der Bühne bewegungslos dasteht, ist ein großer Moment - wie später auch Chiara Scarrone und Nami Ito einfach durch ihre unbewegte, auch ungekünstelte (aber natürlich in jeder Faser bewusste und dadurch artifizielle) Haltung eine Kraft und Eleganz ausstrahlen, wie man sie so wohl nur bei van Manen sieht. Im Gegensatz zu dieser statischen Kraft stehen die Bewegungsabläufe, die mit bestechender Eleganz und Leichtigkeit choreographiert sind - ein fast feenhaftes Fließen. Von der Compagnie wird das großartig umgesetzt (Einstudierung: Rachel Beaujean und Feline van Dijken). Four Schumann Pieces: Künstler und Muse (Gustavo Carvalho, Nami Ito) Van Manen erzählt zu dem viersätzigen Werk eine Geschichte in vier Episoden, die man als Künstlergeschichte auffassen kann. Im ersten Satz ist der Solist (eindrucksvoll: Der schon genannte Gustavo Carvalho) isoliert, je fünf Tänzerinnen und Tänzer agieren im Hintergrund. Der Solist schließt sich den Bewegungsfolgen an, als probiere er dieses und jenes aus - wie ein Künstler auf der Suche. Im zweiten Satz tritt er aus dem Stück heraus, legt sich am Bühnenrand auf den Boden und wird zum Betrachter. Im dritten Satz erscheinen Chiara Scarrone und Nami Ito, und mit jeder der beiden tanzt er einen ganz wunderbaren Pas de deux, und da hinein legt van Manen ein ganzes Universum an Gefühlen, oft nur angedeutet. Man kann die Tänzerinnen wohl als Musen des Künstlers interpretieren. Es gibt einen weiteren Pas de deux mit einem Tänzer, wobei es hier zu einer Art Aufspaltung des Künstlers kommt und er sich verdoppelt, und jeder der beiden Herren bekommt eine der Damen an die Seite gestellt. So bleiben beide Musen gleichberechtigt. Der Finalsatz ist der euphorische Schluss mit einem strahlenden Künstler, der sein Ziel erreicht hat - vielleicht eine Spur zu aufgesetzt. Ansonsten ist das Werk sanft von van Manens feiner Ironie durchzogen. Im Orchestergraben spielt die Streichergruppe der Düsseldorfer Sinfoniker unter der Leitung von Benjamin Pope ausgesprochen delikat und macht die filigrane Struktur sehr schön durchhörbar.
Ohnehin ist dies ein musikalisch beeindruckender Abend, auch später in Sergej Rachmaninows zweitem Klavierkonzert, das Solistin Alina Bercu mit viel Poesie und Transparenz spielt und das vom Orchester sensibel begleitet wird - ohne Bombast, der bei Rachmaninow oft nahe liegt. Zuvor ist aber Empire Noir des britischen Komponisten Greg Haines an der Reihe, 2015 eigens für David Dawsons gleichnamige Choreographie komponiert. Die farbige und abwechslungsreiche Musik könnte der Soundtrack eines Spielfilms sein und bedient ein breites Spektrum an Gefühlen. Dirigent Benjamin Pope tut gut daran, mit dem Pathos Maß zu halten. Auch so liefern er und das Orchester die große Klangkulisse für eine Choreographie mit Überwältigungscharakter. Der Titel - in etwa "schwarzes Imperium" - verweist auf die nachtschwarze Stimmung, die sich ebenso in den knappen, ziemlich erotischen Trikots zeigt (Kostüme: Yumiko Takeshima) wie in der fast monochrom schwarz-weißen, dabei keineswegs kalten Ausleuchtung (Licht: Bert Dalhuysen). Zunächst stehen die zehn Tänzerinnen und Tänzer in einer Reihe, alle streng in der fünften Position, doch die Ordnung löst sich schnell auf und weicht einem Feuerwerk an schnell wechselnden, sehr virtuosen Miniaturen. Bestimmte Motive wie das Abwinkeln der Handflächen (wobei eine Hand nach oben, die andere nach unten steht) wiederholen sich und geben eine latente Struktur. Eine Handlung gibt es nicht, vielmehr zeigt die Choreographie ein Spektrum an Möglichkeiten und eine Welt in permanenter Veränderung. Aus der Fülle der Elemente und der atemlosen Abfolge ergibt sich ein Sog von enormer Intensität, dem gleichzeitig etwas Bedrohliches, in seiner mitunter akrobatischen Technik etwas bewusst Unterkühltes anhaftet. Waren die Four Schumann Pieces ein mondlichtdurchflutetes, romantisch leuchtendes Nachtstück, so zeigt Empire Noir die dunkle, mondlose Nacht. In der Publikumsgunst lag das effektvolle, aber auch ein wenig reißerische Stück, dem Applauspegel nach zu urteilen, in der hier besprochenen (zweiten) Vorstellung ganz vorne. Verdient haben die zehn gleichberechtigten Tänzerinnen und Tänzern den Jubel allemal. Biolographie: Humboldt, getragen von einer Gruppe paradiesvogelartiger Wesen
Den Abschluss des Abends bildet eine Uraufführung von Bridget Breiner. Schon der Titel Biolographie deutet an, dass es kompliziert wird. Zum ersten Satz von Rachmaninows Klavierkonzert sieht man einen jungen Mann, der Umgeben ist von einer Schar von, nun ja, Paradiesvögeln. So jedenfalls sehen die Tänzerinnen und Tänzer aus (Ausstattung: Jürgen Franz Kirner). Im Programm wird dieser Mann als "Humboldt, ein Mensch" bezeichnet, und auf Alexander von Humboldt verweisen auch die zahlreichen Zeichnungen, die im Verlauf des Satzes den Bühnenhintergrund bebildern. Humboldt, der Natur- und Weltvermesser, steht wohl für die Suche nach einem Umgang mit der Natur und unserer Beziehung dazu - nur bleibt die Figur tänzerisch ziemlich blass, was wohl weniger an Tänzer Lucas Erni liegt als daran, dass dieser Humboldt ein recht zögerlicher Beobachter bleibt. Im zweiten Satz tritt eine Figur namens "Tochter" hinzu, die von drei Personen getanzt wird (in der hier besprochenen Aufführung: Olgert Collaku, Eric White und Balkiya Zhanburchinova). Man mag darin verschiedene Generationen erkennen, vielleicht auch verschiedene Verwandtschaftsbeziehungen und damit den Versuch, in der Natur als Mensch einen Platz zu finden. Im dritten Satz tanzt das Ensemble in hautfarbenen Kostümen, auf denen Linien und Muster aufgetragen sind, die an die "Paradiesvögel" des ersten Satzes erinnern. Dazu wird im Hintergrund ein zerklüftetes Bergmassiv angedeutet. Am Ende werden Humboldt und die dreifache Tochter in das Ensemble aufgenommen. Die Versöhnung von Mensch und Natur?
Biolographie erstickt am allzu großen Ballast, den der gedankliche Überbau abgibt (dazu gehört auch noch ein Gedicht der amerikanischen Schriftstellerin Maria Hummel, das auszugsweise im Programmheft abgedruckt ist). Dabei ist die Tanzsprache Bridget Breiners, die das klassische Vokabular aufgreift und in alltägliche und oft auch sportliche Bewegungsabläufe überträgt, durchaus fesselnd. Nur bräuchte es dafür keinen Humboldt und keine dreifache Tochter, sondern den Verzicht auf den Anspruch, gleich die ganz großen Fragen abzuarbeiten wie die Suche des Menschen nach seinem Platz in der Welt. Dass es die ganz kleinen Gesten sein können, die große Aussagekraft entwickeln und keine begleitenden Worte brauchen, hat schließlich zuvor Hans van Manen gezeigt.
Signaturen ist ein spannender und kurzweiliger, aber kein ganz großer Ballettabend geworden, bei dem Hans van Manen für Tradition und klassische Moderne, David Dawson für die Gegenwart und Bridget Breiner mit ihrer allzu komplizierten Uraufführung für Aufbruch und Zukunft stehen. Auch wenn dabei nicht alles aufgeht: Keine schlechten Aussichten für das Ballett am Rhein. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Dramaturgie Düsseldorfer Symphoniker Four Schumann Pieces
Choreographie
Bühne
Kostüme
Licht
Choreographische Einstudierung Tänzerinnen und TänzerGustavo CarvalhoChiara Scarrone Damián Torío Nami Ito Eric White Lotte James Niklas Jendrics Norma Magalhães Nelson López Garlo Sara Giovanelli Edvin Somai Empire Noir
Choreographie
Bühne
Kostüme
Licht
Choreographische Einstudierung Tänzerinnen und TänzerChiara ScarroneEmilia Peredo Aguirre Simone Messmer Phoebe Kilminster Sophie Martin Márcio Mota Alejandro Azorín Skyler Maxey-Wert Lucas Erni Joan Ivars Ribes Biolographie
Choreographie
Klavier
Bühne und Kostüme
Licht - Uraufführung - Tänzerinnen und Tänzer
Humboldt, ein Mensch
Tochter
Svetlana Bednenko
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