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Don Giovanni

Dramma giocoso in zwei Akten
Libretto von Lorenzo Da Ponte
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 5' (eine Pause)

Premiere  im Opernhaus Dortmund am 18. Januar 2025




Theater Dortmund
(Homepage)
"Oper aller Opern" auf hohem musikalischem Niveau

Von Thomas Molke / Fotos: © Björn Hickmann

Mozarts Don Giovanni gilt nicht nur als die bedeutendste musikalische Umsetzung des Don-Juan-Stoffes, sondern wird seit E.T.A. Hoffmann auch gerne als die "Oper aller Opern" bezeichnet, die wie kaum ein anderes Werk ganze Generationen bis heute über Fragen philosophieren lässt, auf die die Geschichte keine eindeutige Antwort gibt. Wie schafft es ein unmoralischer Herzensbrecher, auf sämtliche Frauen eine derartige Faszination auszuüben, dass sie ihm reihenweise erliegen? Wieso erträgt Leporello die ewigen Demütigungen seines Herrn und quittiert nicht einfach den Dienst? Was geschah wirklich in Donna Annas Schlafzimmer, und warum hält sie den ihr treu ergebenen Verlobten Don Ottavio das ganze Stück über hin? Welche Funktion erfüllt der steinerne Gast, den Don Giovanni am Ende zum Essen einlädt? Gerade Don Giovannis Höllenfahrt am Ende der Oper, die neben der Amoralität und Lebensfreude der Titelfigur das zentrale Thema der früheren Auseinandersetzungen mit dem Stoff von dem spanischen Dramatiker Tirso de Molina bis hin zu Molière und Goldoni bildeten, waren zur Zeit der Aufklärung eigentlich bereits aus der Mode gekommen, so dass Mozart vielleicht gar nicht begeistert war, als Pasquale Bondini, der Prinzipal des Nationaltheaters in Prag, ihm nach dem großen Erfolg der vorangegangenen Oper Le nozze di Figaro diesen Stoff vorschlug. Aber Mozart ließ sich auf dieses Experiment in Prag ein und feierte mit der Uraufführung am 29. Oktober 1787 einen überwältigenden Erfolg, der sich am Kaiserhof in Wien ein Jahr darauf allerdings nicht wiederholte. Hier wurde das Stück nach 15 Vorstellungen bereits wieder abgesetzt. Joseph II. soll zwar die musikalische Qualität in höchsten Tönen gelobt haben, aber das Sujet sei halt "kein Bissen" für die Wiener.

In Dortmund stand die Oper das letzte Mal 2015 in einer Inszenierung des damaligen Intendanten Jens-Daniel Herzog auf dem Spielplan, der mit einem Steg ins Parkett unter anderem versuchte, die Barriere zum Publikum aufzuheben (siehe auch unsere Rezension). Nun hat man für die Regie mit Ilaria Lanzino eine Frau engagiert, für die laut Programmheft das Stück ebenfalls die "Oper aller Opern" darstellt. Dabei sieht sie die Titelfigur als quasi zeitlosen Charakter, während sie die anderen Figuren und die Geschichte in der Gegenwart verortet. Dies drückt sich vor allem in den Kostümen von Emine Güner aus. So tritt Don Giovanni mit dunkler wallender Mähne mit einem schwarzen Umhang auf, der dunkelrot gefüttert ist. Dieser Rot-Ton wird im Futter von Leporellos Sakko wieder aufgegriffen, vielleicht um anzudeuten, dass Leporello in mancher Hinsicht seinen Herrn bewundert und ihm nachzueifern versucht, was Lanzino in der Personenregie unterstreicht. Auch Don Ottavio trägt einen Pullover aus rotem Stoff, den er allerdings die meiste Zeit unter seinem dunklen Anzug und einer Weste verdeckt. Beim Commendatore befindet sich im dunklen Anzug immerhin noch ein rotes Einstecktuch. Nur Masetto scheint in seinem weißen Outfit noch die reine Unschuld zu sein und ist noch nicht in die Tiefen der "sündigen Verführung" hinabgestiegen.

Eine besondere Lesart hat Lanzino in ihrer Inszenierung für die drei Frauenpartien, die laut Aussage im Programmheft im Mittelpunkt ihres Konzeptes stehen und drei unterschiedliche Pole bilden. So ordnet sie sie drei verschiedenen Generationen zu. Zerlina ist bei Lanzino ein junges Mädchen, das in der Liebe noch total unerfahren ist und sich aufgrund einer gewissen Naivität auf Don Giovanni einlässt, ohne dabei zu überlegen, was sie Masetto, den sie liebt, damit antut. Ihr weißes Kleid deutet eine gewisse Unschuld an. Donna Anna ist bei Lanzino ca. eine Generation älter als Zerlina und schwanger von Don Ottavio. Anders als im Libretto ist sie bereits mit ihm verheiratet, führt ein unbefriedigendes Leben an seiner Seite, da er sie nur als Hausfrau und angehende Mutter sieht. So scheint sie als frustrierte Ehefrau für Don Giovanni leichte Beute zu sein. Doch sie will nicht von ihm sexuell erobert werden, sondern sucht emotionalen Halt und Geborgenheit, was sie von Giovanni natürlich nicht erhält, so dass es zur Eskalation kommt, bei der ihr Vater, der Commendatore, sein Leben lässt. Donna Elvira hingegen ist in einem Alter, in dem sie, wie Lanzino es im Programmheft bezeichnet, von den Männern als "sexuelles Wesen" nicht mehr wahrgenommen wird, in ihrem roten Kleid aber eigentlich ein weibliches Pendant zu Don Giovanni sein möchte.

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Don Giovanni (Denis Velev, vorne) bedrängt Donna Anna (Anna Sohn).

Dieser Ansatz wird in der Ouvertüre zunächst überzeugend angelegt. Die Bühne von Frank Philipp Schlößmann ist durch eine Bühne auf der Bühne zweigeteilt. So sieht man zunächst Don Giovanni und Leporello auf einer Bank, die die einzelnen Frauen beobachten, die während der Ouvertüre bereits als Figuren eingeführt werden. Leporello hat dabei einen Block, in dem er alle amourösen Errungenschaften seines Herrn notiert. Der Commendatore erscheint mit seinem "Schwiegersohn" Don Ottavio in ein "ernstes Männergespräch" vertieft, während dieser seine schwangere Gattin Donna Anna relativ schonungslos hinter sich herzieht. Anna verliert ihren blauen Schal, den Don Giovanni aufhebt. Es kommt zu einem kurzen Blickkontakt zwischen den beiden, der in Anna Hoffnung aufkeimen lässt, weshalb sie ihn wohl später in ihre Wohnung lässt. Zerlina tritt mit ihrem Bräutigam Masetto auf und lässt sich in allen möglichen Posen mit ihm fotografieren, was Don Giovannis Interesse weckt, so dass er sich einmal mit auf ein Foto schleicht, was bei Masetto und Zerlina im Anschluss Verstörung auslöst. Elvira hat sich über eine Dating-Plattform mit Männern verabredet, die jedoch alle beim Zusammentreffen mit ihr feststellen, dass sie nicht mit dem Profilbild übereinstimmt und sie deshalb einfach stehen lassen. Auch Don Giovanni möchte von ihr nicht bemerkt werden. Dann öffnet sich der schwarze Vorhang zur Bühne auf der Bühne, und man sieht ein klassisches Esszimmer mit einem Wohnraum dahinter, in dem Ottavio und der Commendatore sitzen, während Anna den Tisch deckt. Hier kommt nun der erste szenische Bruch. Wieso reagieren die beiden Männer im hinteren Raum nicht, wenn Giovanni versucht, Anna zu vergewaltigen? Wieso kommt relativ spät nur der Commendatore, um seiner Tochter zu helfen, während Ottavio völlig unbeteiligt bleibt?

Doch das bleiben nicht die einzigen Ungereimtheiten in Lanzinos Regie-Konzept. Auch das Baby, das Anna nach der Pause in den Armen trägt und kurz vor Schluss in einem Kinderwagen über die Bühne schiebt, wenn sie Ottavio laut Libretto bittet, noch etwas Geduld mit ihr zu haben und die Hochzeit zu verschieben, macht eigentlich keinen Sinn. Noch fraglicher ist die Charakterzeichnung der Elvira als alternder Vamp. Wenn sie laut Libretto eigentlich auf der Suche nach dem untreuen Don Giovanni ist, befindet sie sich in Lanzinos Inszenierung in ihrem Badezimmer und kämpft gegen die optischen Zeichen des Alters an. Wieso Giovanni und Leporello sich in ihrer Badewanne verstecken, erschließt sich überhaupt nicht. Auch bleibt unklar, wieso Elvira bei Leporellos Registerarie mit einem eigenen rosafarbenen Ordner kontert, in dem sie ihre umfangreichen Eroberungen dokumentiert hat. Wenn sie wie Giovanni die freie Liebe zelebriert hat, macht es keinen Sinn, dass sie ihm jetzt nachtrauert. Lanzino versucht, dies damit zu retten, dass Elvira für die Männer nicht länger attraktiv ist. So tritt während Leporellos Arie eine junge Statistin auf, die zahlreiche Männer hinter sich herführt und sich nacheinander mit einzelnen vergnügt, sie dabei aber ähnlich benutzt wie Giovanni die Frauen. Als Elvira in ihre Rolle schlüpfen will, nehmen die Männer jedoch allesamt Reißaus. Das ist sehr schonungslos von Lanzino umgesetzt.

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Das Schloss ist Zerlinas Schlafzimmer: Don Giovanni (Denis Velev) verführt Zerlina (Sooyeon Lee).

Witzig hingegen ist Elviras Auftritt in der Verführungsszene Zerlinas. Giovanni führt das junge Bauernmädchen bei dem berühmten Duett "Là ci darem la mano" in ihr Schlafzimmer, in dem eigentlich alles bereits für die Hochzeitsnacht mit Masetto vorbereitet ist. Auf der linken Seite befinden sich rote Luftballons in Herzform und auf der rechten Seite rahmen zwei silberne Luftballons mit Zerlinas und Masettos Initialien ein weiteres Herz ein. Auch dass Zerlina am Ende des Duetts den aktiven Part übernimmt, wird szenisch umgesetzt, indem sie Giovanni ein Kondom reicht, das er allerdings einfach wegwirft. Da taucht Elvira mit dem Kondom hinter einer Kleiderstange auf und unterbricht die ganze Verführungsszene. Im Hintergrund dieses Zimmers prangt auch ein Bild der Medusa mit ihren Schlangenhaaren, das am Ende des Stücks in anderer Form wieder aufgegriffen wird.

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Bei Don Giovanni (Denis Velev, vorne Mitte) und Leporello (Ks. Morgan Moody, rechts) erscheint der steinerne Gast (Artyom Wasnetsov, im Hintergrund).

Diese konkreten Räume befinden sich jeweils auf der hinteren Bühne und werden bei zugezogenem Vorhang umgebaut, wobei man sich fragt, ob das stellenweise nicht etwas leiser gegangen wäre. Gerade Rezitativ-Szenen auf der vorderen Bühne werden durch ein Gerumpel dahinter ein wenig gestört. Nach der Pause befinden sich dann nur noch einzelne Bestandteile dieser drei Zimmer wie eine Badewanne, ein Sofa oder ein Sessel auf der Bühne, die außerdem mit zahlreichen schwarzen undefinierbaren Dingen übersät ist. Sollen das Steine auf dem Friedhof sein, da sich später Statistinnen und Statisten mit riesigen leuchtenden Kreuzen hier auf den Boden legen, wenn der steinerne Gast erscheint und von Giovanni zum Essen eingeladen wird? Aus dem Schnürboden werden in mehreren Reihen leuchtende Neonröhren herabgelassen, die bisweilen eine unheimliche Atmosphäre schaffen. Wieso sich dann alle Männer zum Gastmahl bei Giovanni einfinden und feiern, bis der steinerne Gast auftritt, bleibt unklar. Dieser Auftritt wird allerdings eindrucksvoll inszeniert. Aus der Tiefe der Hinterbühne taucht der steinerne Gast gewissermaßen als Kopf der Medusa mit zahlreichen riesigen weißen Schlangen, die von den Statisten als Haare gehalten werden auf, um Giovanni mit sich in sein Reich zu nehmen. Hier spielen auch die drei Frauen Elvira, Anna und Zerlina eine bedeutende Rolle, die die Medusa einrahmen und das kollektive Unrecht verkörpern, was Giovanni den Frauen angetan hat. Mit der Höllenfahrt lässt Lanzino den Abend enden. Auf das moralisierende Schlusssextett verzichtet sie.

Wenn sich auch szenisch nicht alles erschließt, lässt der Abend musikalisch keine Wünsche offen und begeistert auf ganzer Linie. Da ist zunächst Denis Velev in der Titelpartie zu nennen, der nicht nur optisch und darstellerisch einen großartigen Don Giovanni gibt, sondern auch mit virilem Bass und wunderbarer Flexibilität in der Stimme begeistert. Ihm nimmt man es ab, dass die Frauen reihenweise auf ihn hereinfallen. Ks. Morgan Moody versprüht als sein Diener Leporello zum einen eine wunderbare Komik, wenn er versucht, seinen Herren zu kopieren und in seine Rolle schlüpft, arbeitet aber zum anderen auch sorgfältig heraus, dass dieser Diener viel mehr Gefühl und Empathie als sein Herr besitzt. So kommt es zwischen ihm und Elvira zu einer durchaus ernstzunehmenden Zärtlichkeit. Dies alles setzt Moody auch stimmlich mit beweglichem Bariton um. Tanja Christine Kuhn stattet die Donna Elvira mit dramatischem Sopran aus und stellt sie recht bemitleidenswert dar. Man nimmt ihr ab, dass sie eine Frau ist, die sich nach Zärtlichkeit sehnt, der diese jedoch verwehrt wird. Anna Sohn glänzt als Donna Anna ebenfalls mit großartigen Koloraturen und strahlenden Höhen. Sungho Kim punktet als etwas unsympathischer Don Ottavio mit kraftvollem und höhensicherem Tenor. Sooyeon Lee gestaltet die Zerlina mit lieblichem Sopran und zeichnet eine junge Frau, die genau weiß, wie sie ihren Masetto um den Finger wickeln kann. Daegyun Jeong gibt den Masetto herrlich naiv und eifersüchtig mit frischem Bariton. Artyom Wasnetsov rundet das Ensemble als Commendatore mit furchteinflößendem Bass ab, so dass man vor dem steinernen Gast durchaus erzittert. Der von Fabio Mancini einstudierte Opernchor wird von Lanzino in der Personenführung gut in Szene gesetzt und überzeugt stimmlich durch homogenen Klang. Mit George Petrou, dem Leiter der Internationalen Händel-Festspiele in Göttingen hat man einen absoluten Barock-Spezialisten am Pult der Dortmunder Philharmoniker, der das Orchester mit sicherer Hand und scheinbarer Leichtigkeit durch die Partitur führt und zusammen mit dem großartigen Ensemble musikalisch unterstreicht, wieso Mozarts Werk durchaus den Titel "Oper aller Opern" verdient.

FAZIT

Ilaria Lanzinos szenisches Konzept geht in großen Teil auf. Musikalisch begeistert der Abend auf ganzer Ebene.

 

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*George Petrou /
Olivia Lee-Gundermann

Inszenierung
Ilaria Lanzino

Bühne
Frank Philipp Schlößmann

Kostüme
Emine Güner

Licht
Kevin Schröter

Choreinstudierung
Fabio Mancini

Dramaturgie
Nikita Dubov

 

Dortmunder Philharmoniker

Opernchor Theater Dortmund

Statisterie Theater Dortmund

Solistinnen und Solisten

*Premierenbesetzung

Don Giovanni
Denis Velev

Il Commendatore
Artyom Wasnetsov

Donna Anna
*Anna Sohn /
Elisa Verzier

Don Ottavio
*Sungho Kum /
Ju Hyeok Lee

Donna Elvira
Tanja Christine Kuhn

Leporello
Ks. Morgan Moody

Masetto
Daegyun Jeong

Zerlina
Sooyeon Lee

 


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