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Krönender Abschluss einer Legende Von Thomas Molke / Foto: © Leszek Januszewski
Zum Ende der Spielzeit endet nach über 20 Jahren Xin Peng Wangs Zeit als Leiter der Tanzsparte in Dortmund. Als die damalige Intendantin Christine Mielitz ihn 2003 von Meiningen nach Dortmund holte, hatte wohl niemand damit gerechnet, welches "Ballettwunder" er hier vollbringen würde und dass er in kürzester Zeit den Grundstein für einen Platz in der internationalen Tanzszene legen würde, die das Ballett Dortmund auch überregional berühmt machte. Außerdem setzte er sich intensiv für den Nachwuchs ein, indem er das Ensemble unter anderem um das NRW Junior Ballett erweiterte, das ebenfalls im In- und Ausland große Erfolge verbuchen konnte. Das Publikum von nah und fern begeisterte er dabei nicht nur mit zahlreichen neu kreierten Handlungsballetten auf Klassiker der Weltliteratur, die teilweise noch nie für den Tanz erschlossen worden waren. Erinnert sei an dieser Stelle beispielsweise an Dantes Divina commedia in drei Teilen. Auch mit den klassischen Handlungsballetten setzte er sich immer wieder neu auseinander. Allein für das "Ballett aller Ballette", Tschaikowskys Schwanensee, fand er insgesamt drei unterschiedliche Zugänge, die trotz gewisser Neudeutungen immer dem klassischen Original verhaftet blieben und damit einen absoluten Publikumsmagneten darstellten. Zum Abschied hat er sich nun mit einem Werk auseinandergesetzt, das unter Fans des klassischen Handlungsballetts auch das "heilige Ballett" genannt wird und das in Westeuropa zwar namentlich bekannt, allerdings nur äußerst selten auf dem Spielplan steht: La Bayadère. "Ballet blanc" im "Königreich der Schatten" (Damen-Ensemble) Das Stück um die indische Tempeltänzerin Nikija, die den edlen Krieger Solor liebt, der allerdings der Tochter des Radschas, Gamzatti, als Ehemann versprochen ist, gehört seit der Uraufführung am 4. Februar 1877 am Bolschoi-Theater in Sankt Petersburg zu den Grundpfeilern des russischen Repertoires. Hierin vereinte der Choreograph Marius Petipa alle Elemente eines groß dimensionierten Handlungsballetts der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und vervollkommnete den Stil eines erfolgreichen Ballettspektakels. Hauptattraktion war der dritte Akt, das "Königreich der Schatten". In einem rund halbstündigen "ballet blanc" lässt Petipa Solor auf die zuvor von ihrer Nebenbuhlerin getötete Nikija in einem Schattenreich treffen, in dem Nikija von zahlreichen in weißen Tütüs gekleideten Tänzerinnen umgeben ist. Bei der Uraufführung sollen es 64 gewesen sein, die Petipa später selbst auf 32 reduzierte. Diese bewegen sich in einer Schlangenlinie eine Rampe hinab nach vorne, um sich dann zu einem Block zu formieren. Dabei wiederholen sie unablässig dasselbe Motiv mit einer Arabesque penchée. Dieser Teil war auch der erste Auszug, der 1926 außerhalb Russlands in Paris in einer Produktion von Nikolai Sergejew zu erleben war. Erst 1980 brachte Natalija Makarowa das vollständige Ballett beim American Ballet Theatre in New York heraus. Seitdem haben bedeutende, große Compagnien das Werk sehr sporadisch auf den Spielplan gestellt, dabei allerdings meistens den vierten Akt weggelassen, in dem ein Erdbeben den Palast des Radschas bei Solors Hochzeit mit Gamzatti zum Einsturz bringt und alle unter den Trümmern begräbt, so dass Solor und Nikija in einer anderen Welt doch noch zueinander finden. Solor (Giorgi Potskhishvili) liebt die Tempeltänzerin Nikija (Anna Tsygankova). Für seine letzte Inszenierung als Ballettintendant in Dortmund wartet Wang mit allem auf, was die Tanzsparte in Dortmund zu bieten hat, und verzichtet selbstverständlich nicht auf den vierten Akt. Dabei bettet er die Geschichte in eine Rahmenhandlung ein, die es ihm ermöglicht, vor allem den 2. und 3. Akt in der Choreographie nach Marius Petipa zu spielen und sich dem Rest in einer neoklassischen Tanzsprache zu nähern. Man befindet sich im Hollywood der 1920er Jahre, wo gerade ein neuer Stummfilm über La Bayadère gedreht werden soll. Der Filmregisseur hat seine Tochter, einen berühmten Hollywood Star, für die Rolle der Gamzatti engagiert und plant, sie im Rahmen der Produktion mit einem anderen Hollywood Star, der den Solor spielen soll, zu verheiraten. Der Filmproduzent bringt ein Hollywood Starlet mit, die er für die Rolle der Tempeltänzerin vorschlägt. Der Regisseur ist von ihrem Talent begeistert, rechnet aber nicht damit, dass sich der Darsteller des Solor in die junge Darstellerin verliebt. Der Produzent, der sich selbst Hoffnungen bei dem Starlet gemacht hat, ist über ihre Zurückweisung enttäuscht und sinnt auf Rache. So verrät er dem Regisseur, dass der Solor-Darsteller die Tempeltänzerin liebt und sie dem Glück seiner Tochter im Weg steht. Bei einem Fest verabreichen der Regisseur und seine Tochter der Rivalin ein Gift, an dem sie stirbt. Solor ist verzweifelt und gibt sich dem Rausch hin, der ihn in einem Traum in einer Schattenwelt wieder mit Nikija zusammenbringt. Als sein Freund, der Studio Manager, ihn wieder in die Realität zurückholt, kommt es auf der Hochzeitsfeier zum Eklat. Der Regisseur zerreißt den Vertrag des Darstellers und schmeißt ihn raus. Der Manager zündet in seiner Verzweiflung das Studio an, das in Flammen aufgeht. Während alle vor dem Feuer fliehen, stellt sich Solor den Flammen und findet in einer anderen Welt wieder mit Nikija zusammen. Proben am Film-Set der 1920er Jahre (Ensemble) Die Ausstattung von Jérôme Kaplan taucht in der Opulenz tief in die goldene Epoche der Hollywood-Ära der damaligen Zeit ein. Mit Liebe zum Detail wird eine kitschige orientalische Welt erzeugt, die mit Indien genauso wenig zu tun hat wie die damaligen Vorstellungen der Menschen über den exotischen Orient. Da darf auch der riesige Elefant auf der Bühne nicht fehlen, mit dem der Radscha zu den Feierlichkeiten hereingefahren wird. Die Kostüme sind ebenfalls absolut opulent gehalten, wie es für einen damaligen Stummfilm üblich war, weil man im Film ja eine Illusion erzeugen will. Wenn die Geschichte in die 1920er Jahre wechselt, sind die Figuren in Kostümen der Zeit gekleidet. Auf der Seitenbühne sitzt Karsten Scholz am Klavier und steuert in den Zwischenszenen Musik bei, die im Stil an klassische Untermalung von Stummfilmen erinnern. Mathieu Gremillet und Thomas Van Damme haben Videos zusammengestellt, indem sie teilweise altes Filmmaterial verwenden und auch Szenen mit der Compagnie im Stil von klassischen Stummfilmen gedreht haben. Wenn beispielsweise im Originalstück der Bramahne, der selbst an der Tempeltänzerin interessiert ist, dem Radscha verrät, dass Solor die Tempeltänzerin liebt und Gamzatti nicht heiraten möchte, sieht man diese Szene nur in einer Filmsequenz, in der der Produzent im Kostüm des Bramahnen in die Rolle schlüpft. Filip Kvačák als Studio Manager am Filmset Da zu jeder Zeit mit Scheinwerfern und sonstigem Gerät auf der Bühne sichtbar ist, dass man sich bei einem Filmdreh befindet, bewegt man sich ständig zwischen Realität und Fiktion und überträgt die unglückliche Liebesgeschichte zwischen der Tempeltänzerin und dem Krieger in eine andere Dimension der "Filmrealität". Das ist ganz großes Kino für die Augen und wird von Wang in einer großartigen Choreographie umgesetzt. Die Compagnie, die um Gastsolisten und -solistinnen, Gasttänzer und Gasttänzerinnen und das Juniorballett ergänzt wird, stellt unter Beweis, auf welch hohem Niveau hier in Dortmund getanzt wird. Direkt zu Beginn begeistert Filip Kvačák als Studio Manager und Freund des Solor-Darstellers, der den Tänzerinnen und Tänzern mit exakt angesetzten, kraftvollen Sprüngen genaue Anweisungen gibt, wer wo zu stehen hat und sich wie bewegen soll. Etwas unklar bleibt zwar, wieso er am Ende das Studio in Brand steckt. Sieht er sein Lebenswerk zerstört, wenn der Regisseur dem Hauptdarsteller kündigt und der Film eventuell nicht mehr produziert werden kann? Das Lichtdesign von Carlo Cerri, das die Bühne in flammendes Rot dabei taucht, ist jedenfalls absolut beeindruckend und wird durch eine gewaltige Lichtexplosion noch unterstützt. So gerät diese vermeintliche Logikfrage angesichts der prachtvollen Bilder schnell in Vergessenheit. Auch Cyril Pierre und Guillem Rojo i Gallego begeistern als Filmproduzent, der selbst Interesse an der Nikija-Darstellerin hat, und als Regisseur, der nur das Glück seiner Tochter im Blick hat, durch großartiges pantomimisches Spiel. Die drei Hauptpartien sind ebenfalls hervorragend besetzt. Da ist zunächst Anna Tsygankova als Bayadère Nikija zu nennen, die die Tempeltänzerin absolut zerbrechlich mit exaktem Spitzentanz anlegt. Schon bei ihrem ersten Auftritt macht sie mit filigranen Bewegungen deutlich, wieso sowohl der Produzent als auch der Regisseur von dieser Tänzerin begeistert sind. Relativ barsch weist sie die Avancen des Produzenten zurück. Ihr Herz schlägt für den Darsteller des Solor. Giorgi Potskhishvili gestaltet ihn mit exorbitanten Sprüngen und großartiger Akrobatik, die das Publikum an mehreren Szenen in Begeisterungsstürme ausbrechen lässt. Absolut innig gelingt das Pas de deux im ersten Akt, in dem sich die beiden ineinander verlieben, und auch die Wiederbegegnung im Schattenreich geht unter die Haut. Daria Suzi ist als Gamzatti eine gefährliche Rivalin, die nicht bereit ist, den geliebten Mann der anderen zu überlassen. Auch sie punktet mit präzisem Spitzentanz und ist im Petipa-Akt ganz die Diva, wie es auch ihrer Rolle entspricht. In den Stummfilmsequenzen begeistert sie mit einer großartig ausgefeilten Mimik, die verrät, dass sie den Plan hat, die Rivalin aus dem Weg zu räumen. Hervorragend gelingt den beiden Damen auch die große Auseinandersetzung am Ende des ersten Aktes, wo ebenfalls die Grenzen zwischen Film und Geschichte verschwimmen. Auch auf das Solo des goldenen Idols im zweiten Akt wird in dieser Produktion nicht verzichtet. Mit António Ferreira hat man einen Tänzer, der mit großartigen Sprüngen und enormer Körperbeherrschung begeistert. Für den berühmten Schattentanz im dritten Akt kann man in Dortmund mit immerhin 24 Tänzerinnen aufwarten, die in einem großartigen Bild im Hintergrund einen Berg hinabsteigen, sich zu sechs Vierergruppen formieren und dort mit atemberaubendem Spitzentanz begeistern. Unterstützt wird dieses beeindruckende Bild durch das großartige Lichtdesign von Cerri. Amanda Vieira, Kasumi Iwata und Paulina Bidzińska glänzen als Schattenvariationen in beeindruckenden Soli. Die Herren punkten vor allem als Bühnenarbeiter im Tanz mit dem Manager und später als Soldaten in pittoresken Kostümen mit exakten Sprüngen. Motonori Kobayashi führt die Dortmunder Philharmoniker mit sicherer Hand ganz im Sinne des Tanzes durch die Partitur und zeigt sich in einer hervorragenden Abstimmung mit den Tänzerinnen und Tänzern auf der Bühne. Karsten Scholz zaubert am Klavier in den Zwischenstücken musikalisches Flair der 1920er Jahre auf die Bühne. So gibt es für alle Beteiligten stehenden Applaus, der noch einmal ganz besonders anschwillt, wenn Xin Peng Wang die Bühne betritt. Ein großartigeres Abschiedsgeschenk kann der Ballettintendant seinem Publikum kaum machen. FAZITXin Peng Wang fügt der Ballettgeschichte, die er in den vergangenen Jahren in Dortmund geschrieben hat, ein weiteres Kapitel mit einem absoluten Glanzpunkt hinzu. 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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Choreographie und Inszenierung
Kostüme und Bühne
Assistenz Bühnenbild
Lichtdesign
Video
Dramaturgie
Choreographische Assistenz Solo
Choreographische Assistenz Gruppe
Einstudierung Akt II und Akt III
Dortmunder Philharmoniker
Klavier Statisterie
Tänzerinnen und Tänzer *Premierenbesetzung
Nikija / Hollywood Starlet
Gamzatti / Hollywood Star
Solor / Hollywood Star
Filmregisseur / Vater der
Filmproduzent
Studio Manager
Radscha
Schleiertanz Duett
Schleiertanz Gruppe
Grand Pas Damen
Grand Pas Herren
Das goldene Idol
Schattenvariation 1
Schattenvariation 2
Schattenvariation 3
Ensemble Damen / Schatten
Ensemble Herren
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