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Sweeney Todd
The Demon Barber of Fleet Street

Musical-Thriller in zwei Akten
Buch von Hugh Wheeler nach dem gleichnamigen Stück von Christopher Bond
Orchestrierung von Jonathan Tunick
Deutsche Fassung von Wilfried Steiner und Roman Hinze
Musik und Gesangstexte von Stephen Sondheim

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 3 h 5' (eine Pause)

Premiere  im Opernhaus Dortmund am 15. September 2024




Theater Dortmund
(Homepage)
Zwischen Rache und Menschenfleischpastete

Von Thomas Molke / Fotos: © Björn Hickmann

Stephen Sondheim galt seit den 1960er Jahren als einer der "experimentierfreudigsten Komponisten" des US-amerikanischen Musiktheaters, weil nahezu jedes seiner Werke eingängige, melodiöse und temporeiche Elemente des Genres mit den Ansprüchen des Sprechtheaters verbindet und Sondheim dabei für jedes Stück eine ganz eigene Sprache fand, wodurch eine eindeutige Zuordnung seines Gesamtwerkes zu einer bestimmten Stilrichtung unmöglich gemacht wird. Nachdem er seine Karriere als Textdichter unter anderem für Bernsteins West Side Story begonnen hatte, feierte er sein Broadway-Debüt als Komponist 1962 mit A Funny Thing Happened on the Way to the Forum. Obwohl das Musical als "Bestes Musical" ausgezeichnet wurde, schien es dem Publikum zunächst genauso sperrig zu sein wie der Titel. Erst die Verfilmung mit Zero Mostel als Sklave Pseudolus brachte dem Stück einen großen Erfolg. Ähnlich verhielt es sich bei dem Musical-Thriller Sweeney Todd, der am 1. März 1979 am George Gershwin Theatre in New York seine Uraufführung erlebte. Das Konglomerat aus blutigem Rachedrama, anrührender Romantik und bitterböse Komik löste trotz der Auszeichnung mit mehreren Tony Awards beim Publikum eher Skepsis aus. Erst die legendäre Verfilmung von Tim Burton mit Johnny Depp in der Titelrolle des mordenden "Teufelsbarbiers" und Helena Bonham Carter als Pastetenbäckerin Mrs. Lovett brachte dem Stück weltweit eine riesige Fangemeinde ein. In Dortmund hat man nun "Musical-Spezialist" Gil Mehmert für eine Neuinszenierung verpflichtet, der zuletzt im vergangenen Jahr das Publikum mit der Doppelpremiere von Puccinis Opernklassiker La bohème und dem Musical Rent im nahezu identischen Bühnenbild begeistert hat.

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Sweeney Todd (Ks. Morgan Moody, links) will Rache an Richter Turpin (Andreas Laurenz Maier, rechts) nehmen.

Schon rein optisch kann es die Produktion mit den kommerziellen Musical-Tempeln aufnehmen und bietet bereits im Foyer das erste Highlight. So darf man dort in dem Rasiersessel Platz nehmen, in dem der Barbier Benjamin Parker, der unter dem Namen Sweeney Todd nach 15 Jahren in seine Heimatstadt London zurückgekehrt ist, um blutige Rache für das einst erlittene Unrecht zu nehmen, seine Kunden bei der Rasur ins Jenseits befördert. Im Saal fungiert eine je nach Lichteinstellung durchsichtige Leinwand mit einer riesigen Projektion Londons aus der Zeit der Industrialisierung als Vorhang. Auch die Kostüme von Falk Bauer schwelgen in viktorianischer Opulenz. Der Opernchor stellt in hellen Kostümen das einfache Volk dar, das hier auf den Straßen herumlungert. Die Gesichter werden durch Masken größtenteils verdeckt, was den Figuren einen leicht unheimlichen, fratzenhaften Charakter verleiht. Das elfköpfige Ensemble, das in dem Stück teilweise als Erzähler agiert und die Rolle eines antiken Chors einnimmt, stellt mal in schwarzen Kostümen die feine viktorianische Gesellschaft dar, tanzt in farbigen Kleidern als Reminiszenz an Benjamins für tot gehaltene Ehefrau Lucy mit verbundenen Augen über die Bühne oder stellt in weißen Zwangsjacken die Insassen von Mr. Foggs "Heilanstalt" dar, in der Richter Turpin Parkers Tochter Johanna vor dem jungen Matrosen Anthony versteckt. Auch für die Solistinnen und Solisten hat Bauer ausdrucksstarke Kostüme entworfen, die die Charaktere der Figuren hervorheben. So ändert sich beispielsweise Mrs. Lovetts Outfit nach der Pause, wenn sie durch die neuartigen Pasteten zu einem gewissen Ruhm gelangt. So drückt zumindest die neue Corsage einen gewissen Wohlstand aus, während die löchrigen Strümpfe ihre wahre Herkunft weiterhin nicht verleugnen können.

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Mrs. Lovett (Bettina Mönch) und Sweeney Todd (Ks. Morgan Moody) haben eine blutrünstige Geschäftsidee (im Hintergrund unter dem Tisch: Julius Störmer als Tobias).

Die Bühne von Jens Kilian zeigt einen riesigen Backofen, der größtenteils in den Bühnenboden herabgelassen werden kann, wodurch verschiedene Räume entstehen. Ein Schornstein im Hintergrund auf diesem Backofen dient zunächst als Mast auf dem Schiff, auf dem Benjamin Parker nach langer Abwesenheit in Begleitung von Anthony, der ihm einst das Leben gerettet hat, als er in einem Floß auf dem Meer trieb, nach London zurückkehrt. Hinter der großen Backofentür auf der rechten Seite befindet sich Mrs. Lovetts Wohnung, die zunächst sehr ärmlich mit wenigen Requisiten eingerichtet ist, da sie kein geeignetes Fleisch für ihre Pasteten hat und damit niemand ihre Pasteten essen möchte. Im zweiten Akt hat sie sich dort mit einem Harmonium eingerichtet und zählt ihre Einnahmen, die nur so sprudeln, seit sie ihre Pasteten mit "köstlichem" Menschenfleisch füllt. Ganz am Ende stellt dieser Raum den Ofen dar, in den Sweeney Todd sie voller Wut stößt, nachdem er erfahren hat, dass sie ihm verschwiegen hat, dass seine Ehefrau Lucy noch lebt. Das Schiff vom Anfang verwandelt sich in Todds Rasierstube, in der er seine Kunden empfängt. Im zweiten Akt wird dort auch der Rasierstuhl aufgestellt, mit dem Todd durch eine Falltür seine Opfer direkt in den darunter liegenden Keller befördern kann, wo sie dann durch den Fleischwolf gedreht werden, um zur Pastete verarbeitet zu werden. Dieser Keller stellt im ersten Akt noch die Wohnung von Richter Turpin dar, in der dieser Parkers Tochter Johanna, die er einst als Mündel aufgenommen hat, eingesperrt hält, um die mittlerweile junge Frau, für die er nun keine väterlichen Gefühle mehr hegt, bald zu heiraten. Der Balkon, auf dem Johanna Anthony begegnet und sich sofort unsterblich in ihn verliebt, ist über dieser Wohnung mit einer kleinen Öffnung sichtbar, die hervorhebt, dass es für Johanna kein Entkommen aus diesem Gefängnis gibt.

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Anthony (Jonas Hein) will Johanna (Harriet Jones) befreien.

Um dieses Ambiente herum bewegt sich der Chor quasi als Beobachter auf einem Podest, das die Bühne einrahmt und Ausschnitte aus dem Bild von der Vorhangsprojektion wieder aufgreift. In enormem Tempo entfaltet sich hier nun in einer ausgeklügelten Personenregie die ganze Geschichte, die musikalisch ein breites Spektrum vom klassischen "Dies irae" zu Beginn des Abends über Zitate aus Hitchcocks Psycho-Soundtrack bis hin zu romantischen Songs der Liebenden Johanna und Anthony spannt. Verwendet wird die deutsche Fassung von Wilfried Steiner und Roman Hinze, die den Sprachwitz des Originals sehr gut beibehalten. Besonders deutlich wird dies bei dem großartigen Duett vor der Pause zwischen Todd und Mrs. Lovett, im Original "A Little Priest", in dem die beiden den Geschmack der einzelnen Opfer mit ihrem jeweiligen Beruf in Verbindung bringen. Für die Titelpartie hat man mit Ks. Morgan Moody ein Ensemble-Mitglied am Haus, das die Partie in jeder Hinsicht bestens ausfüllt. Moodys diabolisches Spiel kann es mit Depps Darstellung in der berühmten Verfilmung aufnehmen. Absolut glaubhaft stellt er die Verletztheit Todds dar, die ihn zu seinen grausamen Taten antreibt und ihn zwingt, an Richter Turpin für das erlittene Leid Rache zu nehmen. Dabei verfügt er über eine kraftvolle Musical-Stimme mit hervorragender Diktion.

Als Idealbesetzung kann auch Bettina Mönch als Mrs. Lovett bezeichnet werden, die in Dortmund seit vielen Jahren immer wieder ein gern gesehener Gast im Musical-Bereich ist. Erinnert sei beispielsweise an ihre Darstellung der Lucy in Jekyll & Hyde oder Sally Bowles in Cabaret. Auch als Mrs. Lovett punktet sie durch überbordende Bühnenpräsenz und komödiantisches Spiel. Sehr subtil lässt sie bei aller plappernden Schnodderigkeit immer wieder ihre Gefühle für Todd durchscheinen, die schließlich auch der Anlass dafür sind, dass sie ihm nicht verrät, dass sich hinter der verrückten Bettlerin seine Frau Lucy verbirgt. Wunderbar spielt sie auch Mrs. Lovetts Irritation über die aufrichtigen Gefühle ihres Lehrbuben Tobias aus, die es ihr sichtlich schwer machen, ihn im Keller einzusperren, um ihn von Todd mundtot machen zu lassen. Jonas Hein und Harriet Jones geben ein herrlich naives Liebespaar Anthony und Johanna ab, bei denen man sich fragt, ob sie in dieser grausamen Welt bestehen können. Ihr großes Liebes-Duett ist so zuckersüß, dass es einen extremen Kontrast zur blutrünstigen Geschichte bildet. Dabei ist Anthony allerdings ein noch größerer Gutmensch als Johanna. Als er sie aus der Anstalt befreien will, schafft er es nicht, den ihn bedrohenden Mr. Fogg zu erschießen. Da muss Johanna die Initiative ergreifen und abdrücken. Wunderbar naiv legt auch Julius Störmer die Rolle des Tobias an, der bei Mrs. Lovett erstmals so etwas wie Zuneigung erfährt, was ihn in Liebe zu ihr entbrennen lässt, so dass er schließlich auch zum Äußersten für sie bereit sind.

Nina Janke gibt die Bettlerin herrlich verrückt und teilweise abstoßend, so dass es nicht verwundert, dass Todd darin nicht seine ehemalige Ehefrau Lucy erkennt. Umso tragischer ist es, dass er sie am Ende selbst zum Schweigen bringt, da sie droht, seine Taten auffliegen zu lassen. Wenn er seinen Fehler erkennt, ist er derart traumatisiert, dass er für Tobias leichte Beute wird. Fritz Steinbacher schlüpft in die Doppelrolle des arroganten Adolfo Pirelli und des leicht verrückten Mr. Fogg und punktet durch skurriles Spiel. Andreas Laurenz Maier und Florian Sigmund runden als Bösewichte Richter Turpin und Büttel Bamford das spielfreudige Ensemble hervorragend ab. Koji Ishizaka arbeitet mit den Dortmunder Philharmonikern die abwechslungsreiche Klangsprache aus dem Orchestergraben differenziert heraus, und der von Fabio Mancini einstudierte Opernchor präsentiert sich stimmgewaltig und ebenfalls sehr spielfreudig, so dass es für alle Beteiligten großen Jubel und stehende Ovationen gibt.

FAZIT

Die Oper Dortmund erweist sich einmal wieder als kongenialer Musical-Tempel, der es mit den kommerziellen Musical-Produktionen in jeder Beziehung aufnehmen kann. Man sollte sich frühzeitig Karten für dieses Ereignis sichern.

 

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Koji Ishizaka /
Andrea Alessandrini /
Karsten Scholz

Inszenierung
Gil Mehmert

Bühne
Jens Kilian

Kostüme
Falk Bauer

Choreographische Mitarbeit
Yara Hassan

Lichtdesign
Michael Grundner

Mitarbeit Lichtdesign
Stephanie Erb

Licht
Florian Franzen

Sounddesign
Joerg Grunsfelder

Choreinstudierung
Fabio Mancini

Dramaturgie
Nikita Dubov

 

Dortmunder Philharmoniker

Opernchor Theater Dortmund

 

Solistinnen und Solisten

Sweeney Todd
Ks. Morgan Moody

Mrs. Lovett
Bettina Mönch

Anthony Hope
Jonas Hein

Johanna Barker
Harriet Jones

Tobias Ragg
Julius Störmer

Richter Turpin
Andreas Laurenz Maier

Büttel Bamford
Florian Sigmund

Bettlerin
Nina Janke

Adolfo Pirelli / Mr. Fogg
Fritz Steinbacher

Ensemble
Anna Teodora Donosa-Danila
Elena Franke
Albert Gaßmann
Jonathan Guth
Anna Hirzberger
Lino Kalich
Maximilian Lochmüller
Timm Moritz Marquardt
Constanza Pérez de Lara Bonatti
Katalin Rohse
Alina Simon

 


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