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Sehnsucht nach Bürgerlichkeit
Von Stefan Schmöe / Fotos von Mark Lontzek Ein glückliches Paar: Albin/Zaza (links) und Georges Georges und Albin sind ein Paar, und das ist gut so. Georges ist Besitzer des Clubs La cage aux Folles, Albin als Travestiekünstler unter dem Namen Zaza der Star des Hauses. Und weil Georges 25 Jahre zuvor eine kurze, aber folgenschwere Affäre mit einer Frau hatte (die ihm dann neun Monate später einen Säugling namens Jean-Michel vor die Tür legte), sind sie auch eine Familie. Nur blöd, dass Jean-Michel jetzt ausgerechnet die Tochter des erzkonservativen Politikers Dindon heiraten will. Braut wie Brauteltern, längst auf dem Weg zum Antrittsbesuch, dürfen weder von der ungewöhnlichen Familienkonstellation noch von dem wenig bürgerlichen Umfeld erfahren. Für einen Tag muss also ein Familienleben mit Vater, Mutter und Kind vorgespielt werden, ganz nach den Vorstellungen in den politischen Kreisen Dindons. Wobei Albin, der eigentlich unsichtbar bleiben sollte, kurzerhand in Frauenkleidern die Rolle der Mutter übernimmt. Was auffliegt und letztendlich doch zum Erfolg führt. Die Beziehung von Albin/Zaza und Georges hat Kratzer bekommen. Jean Poirets Boulevardkomödie La Cage aux Folles wurde 1973 in Paris uraufgeführt, 1978 von Edouard Molinaro verfilmt (mit Michel Serrault und Ugo Tognazzi in den Hauptrollen) und 1983 von Harvey Fierstein mit Songtexten und Musik von Jerry Herman zum Broadway-Musical umgearbeitet. Man merkt dem Stoff sein Alter vor allem deshalb an, weil er noch von eindeutigen binären Geschlechtern ausgeht - Georges und Albin sind Männer. Aus heutiger Sicht wäre man sich bei Albin nicht so sicher, ob "er", "sie" oder das diverse "they" das passende Pronomen wäre. Randy Diamond, der nicht nur Albin/Zaza spielt, sondern auch Regie führt (mit seiner Frau Katajun Peer-Diamond als Co-Regisseurin), legt die Figur sehr weiblich an. Die Charakterzeichnung bleibt dabei aber unscharf und kann sich nicht recht entscheiden, ob sie aus der Perspektive von heute oder aus den 1980er-Jahren auf Albin schauen will. Besuch der Brauteltern: (von links) Diener Jacob, Albin/Zaza in der Rolle von Jean-Michels Mutter und das Ehepaar DindonAlbin ist die tragische Figur des Stücks. Albin hat Jean-Michel großgezogen (offensichtlich mit mehr Zuwendung als der pragmatische Georges), fühlt sich als vollwertiges Elternteil und darf genau das am Tag der Begegnung mit der Familie der Braut nicht sein. Diese Ebene steht im Zentrum der Inszenierung. Die Farce um das Aufeinandertreffen der ungleichen Familien und die beinahe geplatzte Hochzeit wickelt das Regieteam dagegen ziemlich klamaukig und fast nebensächlich ab. Dem Konflikt geht aber auch deshalb ein wenig die Luft aus, weil Albin/Zaza allzu bereitwillig die Mutter- und Frauenrolle im traditionellen Sinn annimmt (das durchzieht selbst die Revuenummern): Eine Mutter, die ins Taschentuch spuckt, um dem Sohnemann einen Flecken vom Gesicht zu wischen. Da schimmert eine durch und durch konservative Familienstruktur durch, wie sie sich die Dindons dieser Welt erträumen - wenn man davon absieht, dass Albin/Zaza eben mit den falschen Geschlechtsorganen aufgewachsen ist. Nur passt das nicht recht zur frivolen Welt des Travestieclubs, die im Haushalt von Georges und Albin/Zaza hier allerdings nur noch wie ein fernes Zitat wirkt und nicht wie eine Lebenseinstellung. Betrachtet man ihr Privatleben, so wie es hier vorgeführt wird, könnten die beiden auch bei der Sparkasse Paderborn-Detmold-Höxter arbeiten. Am Ende muss der erzkonservative Politiker Dindon doch in die Heirat seiner Tochter Anne mit Jean-Michel einwilligen. Es geht also vergleichsweise bürgerlich zu. Heiner Junghans spielt den Butler Jacob so, als wäre eine Mischung aus Otto Waalkes und Klaus Kinski versehentlich ins Dinner for One geraten (was zwangsläufig bedeutet: Die Figur ist recht anstrengend). Nikos Striezel gibt ein wenig holzschnittartig zuerst den undankbaren, später reumütigen Sohn Jean-Michel, Laura Zeiger seine niedliche und sehr brave Verlobte Anne wie aus den 1960er-Jahren, Torsten Lück einen donnernden Dindon und Brigitte Bauma dessen gutmütige Gattin, die schnell die Seiten wechselt. Sie alle bleiben mehr oder weniger Staffage für Mike Garling als sehr eleganten, reflektierten und liebevollen Georges und Randy Diamond als vordergründig kapriziöse Diva Zaza, hinter deren Fassade sich ein unglücklicher Mensch mit der Sehnsucht nach einem Familienleben wie aus der 18-Uhr-Fernsehwerbung verbirgt. Im Travestieclub "Cage aux Folles": Zaza, der Star; rechts Conférencier GeorgesDie Aufführung lebt daher weniger vom Witz als vom Charme der Darstellenden - und von der Musik. Singen können Randy Diamond und Mike Garling, aber auch Nikos Striezel ganz ausgezeichnet. Im Graben spielt dazu das Symphonische Orchester des Landestheaters Detmold unter der Leitung von Mathias Mönius groß auf und packt die Musik in ein üppiges Klanggewand. Der Opernchor singt prächtig, die Ensemblenummern sind klanglich ausgewogen. Die Aufführung hat das richtige Timing, und das Ballett des Landestheaters macht, unabhängig vom Geschlecht, in Strapsen "bella figura". Das war es dann aber auch schon an Frivolitäten, und letztendlich sind sogar die Nachtclubszenen familientauglich. So geht es schwungvoll und unterhaltsam durch den Abend, und die Sympathien liegen natürlich eindeutig bei Albin/Zaza. Das gut gelaunte Premierenpublikum sorgt verlässlich für viel Zwischenapplaus, und am Ende gibt es stehende Ovationen.
Es mag ein bisschen brav zugehen in diesem Cage aux Folles mit seiner Sehnsucht nach Bürgerlichkeit, aber Spaß macht diese sehr ordentliche Musical-Produktion allemal. Der Appell für Akzeptanz ("Ich bin, was ich bin, und was ich bin, ist ungewöhnlich") kommt an. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Co-Regie
Choreographie
Ausstattung
Licht
Maske
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Georges
Albin
Jacob
Jean-Michel
Anne Dindon
Edouard Dindon
Marie Dindon
Jaqueline
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