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Die Welt braucht mehr Cowgirls
Von Stefan Schmöe / Fotos von Jochen Quast
Wenn das Mädchen aus dem goldenen Westen ein Nischendasein als Liebhaber-Stück fristet, dann liegt das (neben dem Fehlen einer wunschkonzerttauglichen Arie) sicher auch am Sujet. Den "wilden Westen", den hat das Kino für sich vereinnahmt. Und die keusche Saloon-Besitzerin Minnie, die sich den ersten Kuss (und was folgt) für den (dadurch prompt geläuterten) Banditen Ramerez aufspart, wirkt im rauen Goldgräbermilieu Kaliforniens einigermaßen deplatziert. Dabei bietet die Oper, die um die typische Dreieckskonstellation "Sopran (Minnie, das Mädchen aus dem Westen) liebt Tenor (also den Banditen Ramerez) und muss eifersüchtigen Bariton (Sheriff Jack Rance) abwehren" konstruiert ist, große Musik. Musikalisch erhält diese ihren Zusammenhang aus den effektvollen Personalthemen. Puccini nimmt da durchaus vieles vorweg, womit Ennio Morricone später im Soundtrack von Spiel' mir das Lied vom Tod zur Ikone der Filmmusik wurde. Und in Detmold scheuen das Orchester des Landestheaters und Chefdirigent Per-Otto Johansson nicht den süffigen, farbreichen Tonfall, der oft an großes Kino erinnert, aber schnell gefangen nimmt. Großer Auftritt: Minnie, das Mädchen aus dem goldenen WestenUngebrochen will Regisseur Kay Link die, man muss es wohl so sagen: Schmonzette allerdings nicht spielen lassen. So konstruiert er um die Geschichte herum einen desillusionierenden Rahmen in Form eines Wild-West-Museums, in dem die Akteure als Figuren in Dioramen die gängigen Western-Klischees zwischen Karl May, John Wayne und den Lucky-Luke-Comics bedienen, dann aber - immer noch in ihren Kostümen - aus dieser Welt der falschen Illusion heraustreten. Aus Minnies Saloon wird eine Art Kantine, in der die schlecht bezahlten, fast durchweg männlichen Mitarbeiter dieses Museums vom besseren Leben und vielleicht sogar dem Liebesglück bei Minnie hoffen. Mehr und mehr vermischen sich die beiden Ebenen. Etwas anders ist der zweite Akt angelegt, der Minnies Zimmer im schaurig-schönen Stil der 1970er-Jahre zeigt: Ein Albtraum in orange. Damit will Link auf die Zeit der (auch sexuellen) Emanzipation der Frauen anspielen. Ein bisschen viel Konstrukt, das irgendwie funktioniert und das bunte Kostümspektakel rechtfertigt, aber nicht näher berührt. Schicksalhafte Begegnung: Minnie und der (gar nicht so böse) Bandit Ramerez Weil aber die Geschichte sorgfältig erzählt wird, was beim detailverliebten Puccini ja immer wichtig ist, können die sehr guten Darstellerinnen und Darsteller ihre Figuren klar profilieren. Eleonore Marguerre legt die Minnie als moderne junge Frau in Cowboystiefeln an, der man kein Wort ihres permanenten Lamentierens über fehlende Bildung abnimmt - sie ist ganz sicher nicht das "einfache Mädchen", wie es das bestenfalls mittelprächtige Libretto weismachen möchte, sondern die starke Frau, der Puccini ein großformatiges Motiv auf den Leib komponiert hat, das alles andere beiseite räumt. Die Sängerin stößt mit ihrem durchaus großen, aber auch nicht riesigen, lyrisch geprägten Sopran an ihre stimmlichen Grenzen, aber sie füllt die Rolle mit ihrer Interpretation beeindruckend aus: Für diese Frau geht es um alles. Liebe wie in den 1970er-Jahren: Ramerez und MinnieDabei hat sie musikalisch starke Widersacher. Ji-Woon Kim singt mit dunkel timbriertem, nicht übermäßig farbreichem, aber kraftvollem und durchsetzungsfähigem Tenor einen beeindruckenden Ramerez (der sich unter falschem Namen Dick Johnson einschleicht und auch so in der Besetzungsliste vermerkt ist). Und in der hier besprochenen Aufführung ist Alik Abdukayumov ein stimmgewaltiger, dabei baritonal eloquenter Sheriff Jack Rance, der mit Minnie um deren Gunst und das Leben des Banditen pokert. Unter den durchweg gut besetzten kleineren Rollen ragt Andreas Jören (im Lucky-Luke-Kostüm) als stimmlich imposanter Goldgräber Sonora heraus. Die klangvoll, aber auch fein abgestuft singenden Herren von Chor und Extrachor (Einstudierung: Francesco Damiani) vervollständigen das beeindruckende Ensemble. Diese Fanciulla kann sich unbedingt hören lassen. Happy End: Minnie und Ramerez werden gleich in eine bessere Zukunft abgehen. Sonora (rechts im Lucky-Luke-Kostüm) schaut entsagungsvoll zu. Einen alternativen bösen Schluss liefert die Regie später nach. Der ohnehin durchsetzungsfähigen Minnie wird noch die von der Dienerin zur Freundin aufgewertete Wowkle (viel zu singen hat Franziska Pfalzgraf in der kleinen Partie allerdings nicht) zur Seite gestellt - und ein junges Mädchen (Nika Wesch-Potente), das als stille Betrachterin durch die Szenerie streift, als suche sie nach Rollenvorbildern. Damit unterstreicht die Regie die Frauenpower noch einmal. Das junge Mädchen tauscht dann auf der Werbetafel für die Show im Schriftzug "THE WORLD NEEDS MORE COWBOYS" kurzerhand die Buchstaben aus, sodass aus den "COWBOYS" folgerichtig "COWGIRLS" werden. Und dann wird der Westen tatsächlich für einen kurzen Moment golden: Minnie, die Ramerez in letzter Sekunde vor der Lynchjustiz rettet, darf mit ihm im goldgelben Licht nach hinten abgehen, weil Puccini hier tatsächlich ein happy end vorgesehen hat. Die Regie allerdings glaubt nicht daran und bietet zu den letzten Akkorden einen alternativen, realistischeren Schluss mit dem gehängten Verbrecher an.
Eine Inszenierung aus der Rubrik "ganz o.k.": Kay Link sichert sich in seiner Regie mit vielen Brechungen gegen vermeintlichen Kitsch, ein veraltetes Frauenbild und andere Klippen des Librettos ab, was nicht falsch ist, aber auch ein wenig aufgesetzt wirkt. Mit beeindruckenden Sängerdarstellerinnen und -darstellern wird auch so großes Musiktheater daraus. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Maske
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Minnie
Jack Rance
Dick Johnson
Nick
Ashby
Sonora
Trin
Sid
Bello
Harry
Joe
Happy
Larkens
Billy Jackrabbit
Wowkle
Jake Wallace
José Castro
Das Mädchen
Kinderbetreuung
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