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Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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Von Tarot zum Computerspiel Von Thomas Molke / Fotos: © Anne Orthen Als "Very British" bezeichnet die Deutsche Oper am Rhein den neuen Opern-Doppelabend in Duisburg. Das ist aber auch das einzige, was die beiden rund 300 Jahre auseinanderliegenden Werke miteinander verbindet. Peter Maxwell Davies galt von den 1960er bis 1980er Jahren in Großbritannien als einer der bedeutendsten Komponisten Großbritanniens, der musikalisch in der Nachfolge von Benjamin Britten stand. Henry Purcell wird der "Orpheus Britannicus" genannt und zählt neben Georg Friedrich Händel auch heute noch zu den berühmtesten Opern-Komponisten des Landes. Dabei hat er mit Dido and Aeneas nur eine einzige Oper komponiert. Bei den anderen Werken handelt es sich um "Semi-Operas", in denen der Gesang in der Regel nur den Nebenfiguren vorbehalten ist, oder Schauspielmusiken. Nun stellt man in Duisburg mit zwei komplett unterschiedlichen Regie-Teams Purcells Dido and Aeneas Davies' Kammeroper The Lighthouse gegenüber, die am 2. September 1980 im Rahmen des Edinburgh Festivals am Murray House Gymnasium uraufgeführt wurde und heute zu seinen bekanntesten Werken zählt. Interessant ist, dass bereits das Musiktheater im Revier 2009 die beiden Komponisten in einem Doppelabend miteinander verbunden hat (siehe auch unsere Rezension). Während man in Gelsenkirchen die beiden Stücke allerdings zu einer Einheit verwob, bleiben sie in Duisburg losgelöst voneinander. Vor Gericht berichten die drei Marineoffiziere (von links: Sami Luttinen, Roman Hoza und Adrian Dwyer) von ihrer Ankunft am Leuchtturm. Den Anfang macht Davies' Der Leuchtturm. Das Libretto, das er selbst verfasst hat, basiert auf einer wahren Geschichte. Im Dezember 1900 verschwanden aus dem Leuchtturm Flannan Isles auf den Äußeren Hebriden auf unerklärliche Weise die drei Leuchtturmwärter. Bis heute konnte nicht aufgeklärt werden, ob und wie sie zu Tode kamen. Davies ändert den Namen des Leuchtturms in Fladda und benennt die drei Leuchtturmwärter in Sandy, Blazes und Arthur um, um Angehörige der vom ursprünglichen Vorfall Betroffenen nicht zu verletzen. In einem Prolog und einem Akt erzählt er die Geschichte der drei Männer, ohne eine eindeutige Antwort zu liefern, was am 15. Dezember 1900 tatsächlich in diesem Leuchtturm passiert ist. Der Prolog beginnt mit drei namentlich nicht näher bezeichneten Marineoffizieren, die vor Gericht ihre Aussage zu den verschwundenen Leuchtturmwärtern machen. Nachdem das Gericht trotz widersprüchlicher Aussagen den Fall damit schließt, dass ein Tod durch Unfall angenommen wird, schlüpfen die Offiziere in die Rollen der drei Leuchtturmwärter und durchleben noch einmal den letzten Tag im Leuchtturm, der mit dem Schrei einer Bestie endet. Am Ende verwandeln sie sich wieder in die Offiziere zurück und erscheinen in dem menschenleeren Leuchtturm. Blazes (Roman Hoza, links), Arthur (Sami Luttinen, Mitte) und Sandy (Adrian Dwyer, rechts) warten im Leuchtturm auf ihre Ablösung. Das Regie-Team um Haitham Assem Tantawy taucht mit eindrucksvollen Videoprojektionen von Manuela Hartel nahezu gespenstisch in die Geschichte ein und liefert durch eindrucksvolle Lichteffekte recht unheimliche Momente. Nachdem wie bei einem Cold Case auf einer Leinwand die sachlichen Fakten dem Publikum mit Fotos der drei Wärter in einer Art Nachrichtentext präsentiert worden sind, verwandelt sich die Leinwand in das Segel, das die drei Marineoffiziere zum Leuchtturm bringt. Zwei positionierte Scheinwerfer leuchten in einzelnen Momenten wie zwei Augen durch dieses Segel und deuten die gruselige Atmosphäre an, die die drei Offiziere in ihrem Bericht über die Ankunft beim Leuchtturm beschreiben. Dabei werden die drei Offiziere von drei Tänzern gedoppelt, die zunächst als gesichtslose Wesen auftreten, die sich im weiteren Verlauf in Bilder aus Tarotkarten verwandeln, die in der Inszenierung und auch in einem im Programmheft abgedruckten Text des Komponisten für die Oper eine besondere Rolle spielen. Tische und Stühle werden aus dem Schnürboden herabgelassen und hängen so schief über der Bühne, wie die Berichte der drei Offiziere sind, die in zahlreichen Punkten deutlich voneinander abweichen. Im Zentrum der Tarotkarten steht der Turm, der von einem Blitz getroffen wird und aus dem zwei Personen herausfallen. Die Situation im Leuchtturm eskaliert (von links: Andrea Zinnato, Roman Hoza als Blazes, Sami Luttinen als Arthur, Davide Troiani, Adrian Dwyer als Sandy und Lorenzo Malisan). Im eigentlichen Akt der Oper verwandelt sich die Bühne von Matthias Kronfuß in einen in Einzelteile zerlegten Leuchtturm. Der Boden ist als aufgestellter Ring angelegt, in dem die Leuchtturmwärter wie in einem Hamsterrad gefangen sind. Im Hintergrund führt ein Gerüst in den Leuchtturm hinauf, in dem Arthur zu Beginn das Leuchtfeuer entfachen will. Dieses Feuer taucht im weiteren Verlauf immer wieder wie ein magisches Licht auf. Die drei Tänzer korrespondieren als Tarotkarten jeweils mit einem der drei Leuchtturmwärter und tauchen mit ihnen tief in die Psyche der Figuren ein. Unterstützt wird die unheimliche Atmosphäre durch diffuse Projektionen im Hintergrund. Die Bestie, die bei Davies eigentlich nur erwähnt wird, lässt Tantawy in Form der drei Tänzer auftreten. Über den Offizierskostümen tragen sie riesige Flügel und gehen auf Stelzen, so dass sie tatsächlich wie Ungeheuer aussehen. Soll damit angedeutet werden, dass es die drei Offiziere waren, die die Leuchtturmwärter getötet haben? Eine eindeutige Antwort darauf gibt die Inszenierung nicht. Die packend erzählte Geschichte wird von einer musikalischen Sprache untermalt, die die unheimliche Atmosphäre betont. Das zwölfköpfige Ensemble der Duisburger Philharmoniker fängt unter der Leitung von Killian Farrell die unterschiedlichen Klangfarben eindrucksvoll ein und geht mit der erzählten Geschichte eine packende Einheit ein. Musikalisch heraus stechen stechen die drei Lieder, die die drei Leuchtturmwärter singen und einiges über ihre persönliche Geschichte verraten. Adrian Dwyer träumt als Sandy mit lyrischem Tenor von einer nie erlangten Liebesbeziehung. Roman Hoza durchlebt als Blazes mit kraftvollem Bariton noch einmal das Verbrechen, das er begangen hat und das zum Verlust seiner Eltern geführt hat. Sami Luttinen zeichnet als Arthur mit schwarzem Bass einen fanatischen Gläubigen, der nahezu krankhaft seine Rettung in Gott sucht. So verwundert es nicht, dass es musikalisch und szenisch zur Katastrophe in diesem Leuchtturm kommen muss. Die drei Tänzer Davide Troiani, Andrea Zinnato und Lorenzo Malisan setzen in der Choreographie von Yoav Bosidan die Alter Egos der drei Leuchtturmwärter und Offiziere eindrucksvoll um, so dass es am Ende des ersten Teils großen Jubel für alle Beteiligten gilt. Während der erst Teil szenisch in die Vergangenheit geht, in der die Geschichte spielt, holt das Regie-Team um Julia Langeder die mythologische Geschichte um die karthagische Königin Dido und den trojanischen Fürsten Aeneas in die Gegenwart und verlegt sie in ein Computerspiel mit dem Namen "Karthago". Auch der Librettist Nahum Tate hatte in seiner Bearbeitung des Mythos einige Änderungen zur Vorlage von Vergils Aeneis vorgenommen. Während bei Vergil Aeneas auf seiner Irrfahrt nach Italien zunächst in Karthago bei Dido landet und durch seine Liebe zu ihr für eine Weile seine eigentliche Bestimmung, in Italien eine neue Heimat zu suchen, vergisst und ihn erst der Götterbote Merkur ermahnen muss, Dido wieder zu verlassen, führt Tate eine Zauberin ein, die auf Didos Liebesglück eifersüchtig ist und deshalb die Königin vernichten will. Merkur ist hier nur ein verwandelter Geist, der von der Zauberin zu Aeneas geschickt wird. Bei Vergil gehorcht Aeneas schweren Herzens dem göttlichen Befehl, was dazu führt, dass Dido den Geliebten verflucht und ewigen Hass zwischen Karthago und Aeneas' künftiger Heimat Rom schwört. Bei Purcell will Aeneas angesichts der leidenden Dido seine Meinung ändern und in Karthago bleiben, doch Dido drängt ihn zur Abreise, um anschließend in ihrem großen Lamento "When I am laid in earth" Abschied vom Leben zu nehmen, ohne den Geliebten zu verfluchen. Belinda (Sylvia Hamvasi, Mitte) und die Zweite Frau (Romana Noack, links) versuchen, Dido (Anna Harvey, rechts) aufzuheitern. Bei Langeder startet die Geschichte also in der Gegenwart. Natalie Krautkrämer hat zwei moderne Zimmer entworfen, in denen sich zwei Jugendliche im Computerspiel "Karthago" als Avatare Dido und Aeneas begegnen. Dabei wird mit einem Statisten und einer Statistin gearbeitet, die optisch Dido und Aeneas sehr nahe kommen, so dass sie zumindest im hinteren Bereich des Saals wohl kaum voneinander unterschieden werden können. Anna Harvey und Jake Muffett singen mal als Figuren der Oper in Kostümen, die modernen Computerspielen angepasst sind, und wechseln dann wieder die Rollen und sitzen als Jugendliche vor dem Computer. Krautkrämer hat für die virtuelle Welt passende Videoprojektionen entworfen, die mal eine realistische Landschaft zeigen, dann einen goldenen Palast und beim Auftritt der Zauberin und der beiden Hexen wie ein Computer-Virus den Bildschirm zum Flackern bringen. Vor dieser Projektion befindet sich ein weißer Halbkreis in mehreren Ebenen der als flexible Spielfläche für die Computerwelt fungiert. Die Zauberin (Morenike Fadayomi, links) will Dido (Statistin, rechts) vernichten (im Hintergrund: Charlotte Langner als Geist). Auch wenn die Idee, die Handlung in ein Computerspiel zu verlegen, die Möglichkeit bietet, den Mythos zu modernisieren, ohne ihn dabei komplett gegen den Strich zu bürsten, kann nicht jeder Regie-Einfall Langeders überzeugen. Zum einen wirken die ersten Level, die im Spiel eingeführt werden, bis Dido auf Aeneas trifft, unnötig. Sie erzählen zwar eine Art Vorgeschichte, die aber eigentlich gar nicht ins Geschehen der Oper passt. Auch ist der Shit-Storm, der sich über Dido nach dem Komplott der Hexen ergießt zwar leider aus heutiger Sicht häufig im Internet an der Tagesordnung, passt aber nicht zur Geschichte, zumal nicht klar wird, welche Rolle Aeneas dabei eigentlich spielt. In einer Nebenhandlung hat man den Eindruck, dass er die Lust am Spiel verliert, weil er mit seinen Freunden zu anderen virtuellen Abenteuern aufbrechen will. Dass er am Ende, wenn er Dido tatsächlich verlässt, seinen Freund küsst, ist ebenfalls eine an dieser Stelle unnötige Verfremdung. Noch verwirrender hingegen ist, dass sich Dido am Ende des Computerspiels gemeinsam mit ihrem Avatar durchsetzt und den Chor der Hexen zu Boden wirft. Nach ihrem großen Lamento geht sie schließlich als Siegerin im Computerspiel hervor, was das Ende völlig verdreht. So mischt sich unter die jubelnden Beifallsbekundungen auch vereinzelter Unmut für die Inszenierung. Der Geist (Charlotte Langner, Mitte) fordert Aeneas (Jake Muffett, rechts) auf, Dido (Anna Harvey, 2. von links) zu verlassen (ganz links: Sylvia Hamvasi als Belinda). Musikalisch sind auch beim zweiten Teil des Abends keine Abstriche zu machen. Anna Harvey glänzt als Dido mit warmem und in den Höhen sicherem Mezzosopran. Besonders ihr großes Lamento präsentiert sie mit bewegender Intensität. Überzeugend wechselt sie auch darstellerisch die Rollen zwischen dem leicht verunsicherten Teenager am Computer und der selbstbewussten Königin im Computerspiel. Jake Muffett begeistert als Aeneas mit virilem Bariton und überzeugendem Spiel. Ihm nimmt man ab, dass er irgendwann die Lust am Computerspiel verliert und er in andere virtuelle Welten eintauchen will, andererseits aber nicht zusehen kann, wie Dido leidet. Sylvia Hamvasi legt Didos Vertraute Belinda mit strahlendem Sopran an. Romana Noack gibt die Zweite Frau in der realen Welt als eine Art Mutterfigur Didos und Belindas mit leuchtenden Höhen. Morenike Fadayomi zeichnet die Zauberin in faszinierendem Kostüm als missgünstiges Wesen mit bewusst angelegten Schärfen. Auch die übrigen Solistinnen und Solisten und der von Gerhard Michalski einstudierte Chor überzeugen auf ganzer Linie. Killian Farrell vollzieht am Pult der Duisburger Philharmoniker mit einer exakt aufspielenden Continuo-Gruppe einen enormen musikalischen Wechsel zum ersten Teil und taucht dabei absolut feinfühlig in die filigranen Barockklänge ein.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Licht Der Leuchtturm Inszenierung Bühne und Kostüme Video Choreographie Dramaturgie
Duisburger Philharmoniker Klarinette Horn Trompete Posaune Schlagzeug Piano Gitarre Violine Viola Violoncello Kontrabass Solistinnen und Solisten*Premierenbesetzung Sandy / 1. Offizier
Blazes / 2. Offizier
Arthur / 3. Offizier
Tarots
Dido und Aeneas Inszenierung Bühne und Video Kostüme Chor Dramaturgie Duisburger Philharmoniker Theorbe Violoncello Kontrabass
Cembalo
Chor der
Statisterie der Solistinnen und Solisten
Dido
Aeneas
Belinda
Zweite Frau
Zauberin
Erste Hexe
Zweite Hexe
Seemann
Geist
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