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Mitreißender Tanz zwischen Mathematik und Architektur
Von Stefan Schmöe / Fotos von Roman Novitzky, Daniel Senzek und Bettina Stöß
Der Vorhang hat sich noch nicht ganz geöffnet, da gibt es bereits Szenenapplaus. Man sieht Tänzerinnen und Tänzer in einer Linie aufgereiht, auf Spitze stehend in rotglitzernden Kostümen (mit Krönchen für die Damen), was von den geometrisch strengen roten Linien im Bühnenbild von Pepe Leal aufgegriffen wird. Mit diesem Bild als Auftakt ist George Balanchine in der Tat ein Coup gelungen. Rubies (also "Rubine"), uraufgeführt 1967 am New York City Ballett, war ursprünglich der Mittelteil eines dreiteiligen Balletts Jewels. Balanchine lässt es in aufreizendem Rot so richtig funkeln. Dabei verbindet er Schritte und Figuren des klassischen Balletts virtuos und oft witzig mit Elementen des Revuetheaters. Auftritte und Formationen organisiert er symmetrisch wie in einer Show. Es ergibt sich ein Spiel von Mathematik und Tanz voller Humor.
Rubies: Ensemble (Foto: Roman Novitzky)
Mathematik erkennt man nicht nur im Bezug auf die Geometrie, sondern auch in der Zahl der Rollen. Eine Solistin (Svedlana Bednenko), ein Paar (Simone Messmer, Orazio di Bella), vier Herren, acht Damen - dahinter steht die aus permanenter Verdopplung entstehende Zahlenreihe 1, 2, 4, 8. So wie Edelsteine streng geometrisch geschliffen sind, damit sie angemessen funkeln, setzt Balanchine seine Choreographie effektvoll in Szene. Gleichzeitig unterläuft er diesen mathematischen Ansatz mit einer gehörigen Portion an Ironie. Mancher übertrieben groß oder betont wichtig ausgeführte Schritt erhält eine parodistische Note. Der Ernst des neoklassischen Balletts wird sanft durchwoben mit Showdance, und das gelingt Balanchine, das Wort passt hier natürlich bestens, brillant. Als Musik dazu erklingt Igor Strawinskys Capriccio für Klavier und Orchester, ein virtuos verspieltes Stück aus dem Jahr 1929. Alina Bercu glänzt als Solistin, die (auf dem Besetzungszettel nicht erwähnten) Duisburger Philharmoniker begleiten unter der Leitung von Christoph Stöcker feinsinnig und transparent. ![]()
Auf das strahlende Rot des ersten Teils folgt ein ätherisch kühles Blau in Hans van Manens Visions Fugitives (etwa "flüchtige Erscheinungen") aus dem Jahr 1990. Das Werk verwendet eine gleichnamige Komposition von Sergej Prokofjew, 20 Miniaturen für Klavier (komponiert 1917), von Rudolf Barshai für Streichorchester arrangiert. Van Manen verwendet eine Auswahl von 15 dieser kurzen Stücke, die vom Orchester in ihrer filigranen Verästelung mit großer Zerbrechlichkeit, die mitunter allerdings etwas wackelig erscheint, interpretiert werden. Die farblich feín gegeneinander abgestuften, von diagonalen Streifen geprägten Ganzkörperkostüme von Keso Dekker betonen den Körperbau der sechs Tänzerinnen und Tänzer und haben etwas Unwirkliches an sich. Je nach Beleuchtung lassen sie die Tanzenden wie abstrakte Kunstwerke erscheinen, schwebende Figuren im Raum. In den nur ein oder zwei Minuten kurzen Szenen erhält jede Bewegung und jede Geste Gewicht. Nichts ist überflüssig in dieser hochkonzentrierten, ungemein fesselnden Choreographie, die auf engstem Raum einen ganzen Kosmos ausbreitet. ![]() Visions Fugitives: Vinícius Vieira und Svetlana Bednenko (Foto: Bettina Stöß)
Durch van Manens ebenfalls mathematisch stringent anmutende Abstraktion und Reduktion der Mittel wie auch durch die klare Farbgebung stellen sich viele Bezüge zu Balanchines Rubies ein. Auch das trägt zum Reiz dieses von Bridget Breiner und Raphael Coumes-Marquet, der Doppelspitze des Balletts am Rhein, klug komponierten Ballettabends bei. In Visions Fugitives erscheint Balanchines neoklassische Sprache extrem zugespitzt und auf bestechende Weise auf das Wesentliche verknappt. Auch hier ist der Tanz von subtilem Humor durchzogen. Dazu entwickeln sich aus der Abstraktion heraus mit zwei, drei Bewegungen kleine Handlungsszenen, eine scheiternde Liebesgeschichte etwa, und am Ende steht offenbar der Tod. Auch wenn es sich keineswegs um ein Handlungsballett handelt, beschreibt die Choreographie das Leben. Wenn nach knapp 20 Minuten (wie bereits nach den etwa gleich langen Rubies) schon wieder Pause ist, benötigt man diese als Zäsur. ![]()
Kann man Architektur tanzen? William Forsythe bezieht sich in Enemy in the Figure (entstanden für das Ballett Frankfurt 1989) auf Zeichnungen des Architekten Daniel Libeskind. Der wurde in Deutschland wohl vor allem durch den Bau des Jüdischen Museums Berlin bekannt und ist in Düsseldorf mit dem Kö-Bogen ein paar Schritte jenseits des Opernhauses präsent und damit dem Ballett am Rhein ziemlich nahe. Nach dem Rot und Blau zuvor sind die individuell gestalteten Kostüme (Forsythe ist sein eigener Ausstatter) jetzt in schwarz und weiß gehalten. Die Bühne ist schmucklos leer, an den Seiten durch Wände begrenzt, und in der Mitte steht eine gewellte Holzwand. Auf die betörende Schönheit der Bühnenräume in den beiden Stücken zuvor folgt hier eine erst einmal ernüchternde Leere, in der allein diese Wand eine Ahnung gibt, was sein könnte. Dieser ansonsten offene Raum muss durch Bewegungen gefüllt werden. Die lässt Forsythe solistisch oder in kleinen Gruppen wie nebenbei erfolgen. In starkem Kontrast zu den oft extrem auf das Publikum ausgerichteten Rubies tanzt man hier wie für sich, oft im Halbdunklen oder halb verdeckt durch die Wand in der Bühnenmitte. Dabei setzt Forsythe durch große Bewegungen und extrem gespannte Körper ungeheure Energie frei. ![]() Enemy in the Figure: Márcio Mota und Sophie Martin (Foto: Bettina Stöß)
Mit einem fahrbaren Scheinwerfer wird mal diese, mal jene Szene beleuchtet. Durch Schattenwürfe entstehen immer wieder unwirkliche Bilder. So entsteht der Eindruck, man wandere als Publikum durch einen Gebäudekomplex hindurch, bei dem sich immer neue Perspektiven ergeben. Wenn harte, abreißende Bewegungen neben fließenden, allmählich das Ensemble durchwandernden Figuren stehen, mag man daran die oft auf Brüche und Kontraste setzende Formsprache Libeskinds erahnen. Die Musik des halbstündigen Werkes ist eine elektronische Komposition von Thom Willems (* 1955), die aus perkussiven Elementen besteht und in ihrem fast vollständigen Verzicht auf Melodik hart und spröde klingt wie eine Maschinenmusik. Daraus erwächst ein schroffes, kühles, aber in jeder Sequenz faszinierendes Ballett. Obwohl ein Jahr vor Visions Fugitives entstanden, wirkt Enemy in the Figure moderner und radikaler, und man mag kaum glauben, dass diese Choreographie 35 Jahre alt ist und bereits den Status eines "Klassikers" besitzt. Die Kompagnie des Balletts am Rhein tanzt in allen drei Werken dieses ungemein spannenden Abends (der bereits 2023 in Düsseldorf zu sehen war) großartig.
Hier sind nicht nur drei auf ihre Weise faszinierende Choreographien nebeneinandergestellt, sondern durch ihre klare Ästhetik und den Willen zur strengen Form und Abstraktion ergänzen sie sich sinnstiftend zu einem durchweg beeindruckenden Ballettabend. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Dramaturgie
Rubies
Choreographie
Bühne
Kostüme
Choreographische Einstudierung
Klavier
Uraufführung:
Solo Paar
Solo Dame
Acht Damen
Vier Herren
Choreographie
Bühne und Kostüme
Licht
Choreographische Einstudierung Uraufführung:
Choreographie
Bühne, Kostüme, Licht
Bühnen-/Licht-Einrichtung
Choreographische Einstudierung Uraufführung: |
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