Cinderella ohne Schuh
Von Thomas Molke
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Fotos: © Hans Gerritsen Aller guten
Dinge sind drei, könnte man meinen. Nachdem in der Spielzeit 2004/2005 der
Ballettklassiker Cinderella von Sergej Prokofjew in einer Choreographie
von Davide Bombana am Aalto Theater auf dem Spielplan stand und Ben Van Cauwenbergh
die Spielzeit 2013/2014 mit dem gleichen Stück in der
Choreographie seines Landsmannes Stijn Celis eröffnet hat (siehe auch
unsere Rezension), setzt
auch das neue Leitungs-Duo Armen Hakobyan und Marek Tůma den Klassiker als
zweite Ballettpremiere nach der Intendanz von Van Cauwenbergh auf den Spielplan,
und hat für die Choreographie Jean-Christophe Maillot, den Ballettdirektor von
Monte-Carlo, eingeladen. 1999 erarbeitete er diese Kreation mit seiner Compagnie
in Monaco, bevor er sie an mehreren Bühnen weltweit mit anderen Ensembles
einstudierte. In Essen macht er mit dieser Choreographie nun erstmals Halt in
Deutschland, und auch wenn er auf den Schuh der Vorlage von Charles Perrault
verzichtet, findet er dennoch einen absoluten märchenhaften, dabei aber auch
zeitlosen Zugang zu der Geschichte, der jede Altersgruppe begeistern dürfte.

Noch sind sie glücklich vereint: Cinderellas
Mutter (Yuki Kishimoto) und ihr Vater (Enrico Vanroose).
Im Zentrum des Geschehens steht nicht nur das von den Stiefschwestern und der
Stiefmutter gepeinigte Aschenputtel, das aufgrund einer glücklichen Fügung zum
Ball des Prinzen kommt und dort dessen Herz gewinnt. Maillot verknüpft die Rolle
der Fee mit der verstorbenen Mutter, um die Cinderella und ihr Vater trauern und
die ihre Tochter auf magische Weise ihrem Glück zuführt. Dafür stellt Maillot
eine Szene der Geschichte voran. Man sieht Cinderellas Vater in einem traumhaft
schönen Pas de deux mit Cinderellas Mutter. Allerdings ist sie von Krankheit
gezeichnet und stirbt schließlich in seinen Armen. Während er Trost in den Armen
der Stiefmutter sucht, die mit ihren beiden Töchtern ins Haus kommt, wird
Cinderella mit dem Verlust zunächst nicht fertig. Im weiteren Verlauf erscheint
die Fee auch immer wieder dem Vater und dem Prinzen und lenkt die Schritte der
beiden. So gehört auch das letzte große Pas de deux nicht Cinderella und ihrem
Prinzen, sondern dem Vater, der in der Fee seine verstorbene Frau wiederfindet
und sich augenscheinlich von der Stiefmutter löst. Auch wenn sich der Schluss
für ihn nur als Traum entpuppt, sieht man am Ende Cinderella und den Prinzen
glücklich im Goldregen vereint.

Die Stiefmutter (Mariya Tyurina, Mitte) will mit
ihren beiden Töchtern (Anna Maria Papaiakovou, links, und Silvia Insalata,
rechts) zum Ball des Prinzen. Ernest
Pignon-Ernest hat ein fantasievolles Bühnenbild entworfen, das den
Märchencharakter der Vorlage aufgreift. So erinnern die einzelnen weißen
Bühnenelemente zunächst in der Form an Schreibblätter, auf denen die Geschichte
des Märchens geschrieben scheint. Diese Blätter lassen sich im weiteren Verlauf
zu neuen Räumen verbinden. Im zweiten Akt bilden sie mit wunderbaren
Projektionen den Saal des Prinzen, in dem er zum festlichen Ball eingeladen hat.
Eine Treppe führt in diesen Saal hinein. Wenn der Prinz sich im dritten Akt auf
die Suche nach der schönen Unbekannten macht und ferne Länder bereist, werden
die Elemente zu den Segeln eines Schiffes geformt, so dass mit einem wehenden
blauen Tuch die Illusion erzeugt wird, dass der Prinz über die Meere fährt. Am
Schluss landet man wieder in Cinderellas Stube und man sieht wieder die Blätter
des Buches.

Spiel im Spiel: Cinderella (hier: Sena Shirae,
links) hört und sieht das Märchen vom Aschenputtel (Harry Simmons) und dem
Prinzen (Wataru Shimizu). Während mit
einer humorvollen Erzählung die Fee im ersten Akt Cinderella von dem möglichen
Ausgang des Besuchs des Balls beim Prinzen erzählt, fügt Maillot eine weitere
Ebene mit vier Mannequins ein, die wie vier Kleidungsständer dienen. Während sie
zunächst die Kostüme für die Stiefschwestern und die Stiefmutter tragen, in
denen sie zum Ball aufbrechen wollen, schlüpfen sie anschließend in märchenhafte
Kostüme und nehmen in Gestalt des Prinzen und Cinderella das Ende vorweg. Hier
ist es wirklich ein Schuh, den das Mannequin auf dem Ball verliert und der als
Erkennungsmerkmal für den Prinzen dient. In der späteren "realen" Geschichte ist
es nur Goldstaub. Wenn am Anfang der Vater seine Frau verliert, wird sie mit
Goldstaub bedeckt. In diesem Goldstaub begegnet die Fee anschließend Cinderella
und taucht ihre Füße in diesen Goldstaub in einer großen Schale, der dann an
Cinderellas nackten Füßen haftet. Diese nackten Füße sind es dann auch, an denen
der Prinz die geheimnisvolle Schöne am Ende wiedererkennt. Da können die
Stiefschwestern, die mit verbundenen Beinen versuchen, diesen Fuß nachzubilden,
nichts ausrichten und versagen kläglich mit rot geschundenen Waden. Jérôme
Kaplan hat dafür zauberhafte Kostüme gefunden, die mit goldenem Glanz den
märchenhaften Charakter der Erzählung unterstreichen, in strahlendem Weiß
Cinderellas Unschuld und Reinheit hervorheben und die Stiefschwestern und vor
allem die Stiefmutter ihrem Charakter entsprechend erscheinen lassen. So hat das
Kleid, das die Stiefmutter zum Ball trägt, einen langen Stachel, der an einen
giftigen Skorpion erinnert.

Fest beim Prinzen (Compagnie des Aalto Ballett
Essen, im Hintergrund: Kieren Bofinger als Prinz und Sena Shirae als Cinderella)
Dass die Aufführungen am Wochenende nach der Premiere stattfinden konnten, war
ein absoluter Glücksfall. Am Freitag hatte sich nämlich der Tänzer des Prinzen,
Kieren Bofinger, eine Verletzung zugezogen, so dass er nicht auftreten konnte.
Zum Glück konnte Jérôme Tisserand aus Monte-Carlo kurzerhand einspringen, der in
Monte-Carlo die Partie getanzt hat, und zwar mit Alessandra Tognoloni als
Cinderella, die für die Einstudierung der Choreographie sowieso in Essen war.
Tognoloni begeistert mit einer jugendlichen Frische und großer Intensität.
Tisserand gibt den Prinzen mit großer Eleganz und kraftvollen Sprüngen. Yuki
Kishimoto gestaltet die Mutter und Fee mit akkuratem Spitzentanz und großem
Zauber. Mit Enrico Vanroose als Vater gelingen ihr zwei traumhafte Pas de deux
am Anfang und Ende des Abends. Vanroose spielt die Trauer des Vaters absolut
bewegend aus. Mariya Tyurina ist eine herrlich böse Stiefmutter, die allerdings
auch einen gewissen Charme versprüht. Damit will Maillot erklären, wieso
Cinderellas Vater diese Frau überhaupt geheiratet hat. Anna Maria Papaiakovou
und Silvia Insalata überzeugen als böse Stiefschwestern mit komödiantischem
Spiel. Akzente setzen auch Wataru Shimizu und Hiroki Amemiya als Diener beim
Prinzen.Auch das übrige Ensemble begeistert
durch große Spielfreude. Einziger Wermutstropfen ist, dass die Musik nur vom
Band kommt. Da der Orchestergraben nicht bespielt wird, sogar teilweise
heruntergefahren ist, fragt man sich, wieso dieser Abend nicht von den Essener
Philharmonikern begleitet wird. Das hätte die Frische des Tanzes unterstrichen
und mehr Möglichkeit zu verdientem Zwischenapplaus gegeben. So entlud sich die
Begeisterung nur am Ende mit stehenden Ovationen.FAZIT
Jean-Christophe Maillot beweist in seiner Choreographie, dass eine zeitlose und
moderne Lesart der Geschichte keineswegs ihren märchenhaften Zauber nimmt.
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Produktionsteam
Choreographie
Jean-Christophe Maillot
Bühne
Ernest Pignon-Ernest
Kostüme
Jérôme Kaplan
Licht
Dominique Drillot
Einstudierung
Alessandra Tognoloni
George Oliveira
Dramaturgische Betreuung
Patricia Knebel Compagnie des Aalto Ballett Essen
Solistinnen und Solisten
*rezensierte Aufführung Cinderella
Sena Shirae /
*Alessandra Tognoloni
Prinz
Kieren Bofinger /
*Jérôme Tisserand
Mutter / Fee
Yuki Kishimoto Vater
Enrico Vanroose
Stiefmutter
Mariya Tyurina
Schwestern
Anna Maria Papaiakovou
Silvia Insalata
Diener
Wataru Shimizu
Hiroki Amemiya
Mannequins
Davit Bassénz
Harry Simmons
David McMillan Mikkelsen
Moisés León Noriega 4 Freunde
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Paul Faure
Igor Volkovskyy
William Emilio Castro Hechavarría
Frauen aus fernen Ländern
Maria Horianski
Rosa Pierro
Isabell Bromm
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