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Mozart als Labor-Experiment
Von Thomas Molke / Fotos von Björn Hickmann Wenn man die Spielzeit mit der am häufigsten aufgeführten deutschsprachigen Oper eröffnet und die Ankündigung auf der Homepage mit der Überschrift "Die Zauberflöte - neu gedacht" einleitet, dürfte dem Publikum klar sein, dass hier keine klassische Mozart-Oper zu erwarten ist, die gerade jüngeren Menschen einen Einstieg in die Welt der Oper eröffnen könnte. Nach der heftigen Kritik, die es nach der Premiere gehagelt hatte, war man schon beinahe ein wenig besorgt, ob die dritte Aufführung am Sonntag überhaupt noch Publikum anlocken würde oder ob die Reihen im Saal leer bleiben würden. Ausverkauft war das Haus am Sonntag zwar nicht, aber dennoch sehr gut besucht, wobei es sich sicherlich nicht nur um Menschen handelte, die an einem Theaterskandal interessiert waren. Der blieb nämlich aus. Stattdessen gab es großen Beifall für das Ensemble und das Orchester. Wie man auf das Regie-Team reagiert hätte, kann nur gemutmaßt werden. Tamino (Aljoscha Lennert) und Pamina (Lisa Wittig) bei den Prüfungen Nun birgt eine Auseinandersetzung mit Mozarts Zauberflöte immer Risiken. Was auf den ersten Blick wie ein einfaches Märchen wirkt, das junge Zuschauerinnen und Zuschauer begeistern kann, ist in Wirklichkeit viel komplexer, wenn man die Welt Sarastros und das Reich der Königin der Nacht psychologisch durchdringen will. Von daher ist die Idee, die Geschichte "neu zu durchdenken" grundsätzlich nicht schlecht. Die Frage ist nur, ob das für die Inszenierung von Magdalena Fuchsberger auch gilt. Sie verlegt die Handlung in ein Labor, das Menschen Glück durch Homogenität verspricht. Namenspatron ist der Gott der Heilkunst, Aesculap, aus der griechischen und römischen Mythologie, der zu Beginn des zweiten Aufzuges auch auf der Bühne in einer großen antiken Statue verehrt wird. Wieso bei "Aesculab" das "e" verkehrt herum geschrieben wird, bleibt genauso unklar wie die Tatsache, was der Gott der Heilkunst mit dieser künstlichen Welt überhaupt zu tun hat. In einem großen Behälter werden jedenfalls zu Ehren des Gottes Spendengelder gesammelt, die wohl in erster Linie der Königin der Nacht und Sarastro zugute kommen, die gemeinsam dieses Labor betreiben. Papageno (Tobias Greenhalgh) ist verzweifelt. Zu Beginn der Ouvertüre treten zwei junge Paare, Pamina und Papageno und schließlich auch Tamino und Papagena, von den Seiten vor dem Vorhang auf und betrachten die Schilder, die auf das Labor hinweisen. Die Ouvertüre wird nach dem ersten Teil unterbrochen, und es folgt das Duett zwischen Pamina und Papageno, "Bei Männern, welche Liebe fühlen", aus dem ersten Aufzug, das in der Inszenierung so gedeutet werden kann, dass Pamina und Papageno ein Paar sind, auch wenn dies der restlichen musikalischen Anlage der Figuren nicht entspricht. In Fuchsbergers Lesart machen sich die beiden auf den Weg nach Aesculab, um dort ihr Glück zu finden. Das suchen wohl auch Tamino und Papagena, die sich nichts zu sagen haben und vielleicht hoffen, im Labor Hilfe zu finden. Monika Biegler hat einen hohen klinisch weißen und sterilen Laborraum entworfen, in dem die Königin der Nacht und Sarastro in einer oberen Ebene über dem ganzen Geschehen thronen und durch das Drücken verschiedener Knöpfe Entscheidungen treffen und Befehle geben. Die Königin der Nacht und ihr Gefolge treten in zartem Barbie-Rosa auf, während die Kostüme von Sarastro, Monostatos und seinen Dienern dunkel gehalten sind und mit den weißen Perücken an Robespierre und Rudolf Steiner erinnern. Durch einzelne Farben sollen konkrete Elemente dieser künstlichen Welt ausgedrückt werden. Rosa steht für den Kult des Herzens, Blau für den Kult der Vernunft, Schwarz für das Totenreich, Gold für die Eingeweihten und Weiß für die reine, perfekte Welt. Die Paare, die sich in diesem Labor finden, tragen farblich aufeinander abgestimmte Pullover, die nur Gleichheit zulassen. Tamino (Aljoscha Lennert, unten Mitte mit den drei Damen (von links: Bettina Ranch, Nataliia Kukhar und Bryndis Gudjonsdottir) wird mit seiner Angst konfrontiert (rechts oben: Königin der Nacht (Judith Spiesser) und Sarastro (hier: Sebastian Pilgrim)). Unterstützt wird dieses Konzept durch eindrucksvolle Videoprojektionen von Aron Kitzig, die die Figuren in virtuelle Welten eintauchen lassen. Im Hintergrund sieht man eine sich ständig verändernde Rückwand, die mal als Logo von Aesculab ein Hexagon zeigt, dann in opulente virtuelle Naturaufnahmen eintauchen lässt oder die Figuren mit ihren Ängsten konfrontiert. So wirkt die Schlange, die Tamino zu Beginn der Oper bedroht, in der Videoprojektion sehr einschüchternd. Wenn die Figuren "geprüft" werden, wird eine Pyramide, die aus Leuchtstoffröhren besteht, auf ihren Kopf herabgelassen, nachdem sie zuvor von einem Gas im wahrsten Sinne des Wortes benebelt worden sind. Die Königin der Nacht und Sarastro kategorisieren nach diesen Untersuchungen die "Patienten" und entscheiden, ob jemand eine Prüfung bestanden hat oder nicht. So ist es schließlich auch ihre Entscheidung, dass Tamino und Pamina zusammengeführt werden sollen und nicht Pamina und Papageno. Tamino trägt zunächst einen rosafarbenen Tüllrock als Zeichen dafür, dass er von der Königin der Nacht instrumentalisiert wird, während Papageno mit seiner weißen Federhose zum "Vogelhändler" gemacht wird. Da Monostatos optisch genauso aussieht wie Sarastro, wird auf einen anderen Trick zurückgegriffen, um ihn als bösen Charakter einzuführen. Er bekommt einen riesigen Krokodilskopf, während Papageno als Kasper auftritt, der die schöne Prinzessin Pamina vor dem bösen Krokodil retten soll. "Ratschläge" im heimischen Wohnzimmer: ganz rechts: Königin der Nacht (Judith Spiesser), links daneben: Pamina (Lisa Wittig), auf dem Sofa: Sarastro (hier: Sebastian Pilgrim), vorne liegend Tamino (Aljoscha Lennert) Im zweiten Aufzug ist dann ein Teil des Labors verschwunden. Stattdessen wird ein abgeschlossener Bühnenkasten nach vorne geschoben, in dem sich hinter einem Vorhang eine Art Wohnzimmer mit Kommode befindet. In gelben Kostümen versuchen hier die Königin der Nacht und Sarastro Pamina relativ zusammenhanglos nacheinander, Pamina zu beeinflussen. Tamino liegt währenddessen im vorderen Bereich des Raumes. Durch den abgeschlossenen Raum wirkt die ganze Sequenz absolut statisch und erschließt sich genauso wenig, wie die Tatsache, dass Papageno im ersten Aufzug als Strafe für seine Angeberei ein Schloss vor den Mund bekommt, obwohl er sich gar nicht damit gebrüstet hat, die Schlange besiegt zu haben. So wirken viele Szenen wie bei einem musikalischen Querschnitt lieblos aneinandergereiht, und man bewegt sich recht abgehackt von einer Musiknummer zur nächsten. Während man hierbei vielleicht den Vorwurf machen kann, dass dies alles ein wenig uninspiriert ist, kommt der "Knüller" dann zum Schluss. Die Prüfungen, die wieder von beeindruckenden Projektionen begleitet worden sind, sind erfolgreich bestanden, und die richtigen Paare haben sich - farblich korrekt - gefunden, Pamina und Tamino in Rosa und Papageno und Papagena in weißem Federkleid. Auf einem runden hellblauen Bett räkelt sich Sarastro und lässt sich am Ende Pamina zuführen. Als er sich ihr unsittlich nähert, stürmen Sicherheitskräfte die Bühne und räumen sie. Zum "Adagio" aus Mozarts Gran Partita löst sich das Labor allmählich auf. Die Bühnenelemente werden nach oben gezogen, und neue Paare finden sich, darunter Pamina und Papageno und auch gleichgeschlechtliche Paare, was in einer von Konformität geprägten Welt undenkbar gewesen wäre. Einen neuen
Zugang zum Stück verschafft dieser Ansatz nicht. Musikalisch hat der Abend
dagegen durchaus seine Meriten. Christopher Moulds zaubert mit den Essener
Philharmonikern aus dem Graben einen klaren und leichten Mozart-Sound und geht
mit den Brüchen und Sprüngen in der Handlung sehr souverän um, auch wenn das
Duett Pamina und Papageno inmitten der Ouvertüre musikalisch wie ein Fremdkörper
wirkt und nicht an diese Stelle passt. Das sanft angesetzte "Adagio" am Ende
bildet einen Ruhepunkt am Ende der Aufführung, als ob man den Puls eines
empörten Publikums wieder herunterbringen wolle. Andrei Nicoara verfügt als
Sarastro über eine volle Mittellage. Nur in den ganz tiefen Tönen fehlt ihm ein
wenig das Volumen und damit der Figur auch die Autorität. Judith Spiesser setzt
die Koloraturen der Königin der Nacht glasklar an. In ihrer ersten Arie ist die
Beweglichkeit in den Läufen noch ausbaufähig. Dies gilt für ihre zweite Arie,
"Der Hölle Rache", nicht. Lisa Wittig punktet als Pamina mit rundem Sopran und
warm angesetzten Höhen, die die Milde und Sanftmut der Figur unterstreichen.
Aljoscha Lennert stattet die Partie des Tamino mit lyrischem, beweglichem Tenor
aus. Tobias Greenhalgh gibt den Papageno mit großer Leichtigkeit und Spielfreude
und überzeugt durch flexiblen Bariton. Interessant für Raritätensammler dürfte
ein relativ unbekanntes Duett zwischen Papageno und Tamino im zweiten Aufzug
sein, in dem beide auf der Suche nach ihrer Geliebten sind. So gibt es
musikalisch einiges zu entdecken, auch wenn das Regie-Konzept nicht aufgeht. FAZIT
Das Labor-Experiment "Mozart" ist zumindest szenisch nicht geglückt. Musikalisch
hat der Abend seine Meriten.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme Video
Choreinstudierung
Kinderchoreinstudierung
Dramaturgie
Essener Philharmoniker Opernchor des Aalto-Theaters Statisterie des Aalto-Theaters Solistinnen und Solisten*rezensierte Aufführung Sarastro
Königin der Nacht
Tamino
Pamina
Papageno
Papagena
Erste Dame
Zweite Dame
Dritte Dame
Monostatos
Sprecher / Erster Priester
Zweiter Priester
Erster geharnischter Mann Zweiter geharnischter Mann
Drei Knaben
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